Dienstag, 22.02.2011 - 00:41

Sehr geehrter Herr (Dr.) zu Guttenberg

Offener Brief

Sehr geehrter Herr (Dr.) zu Guttenberg,

vorweg: Ich verwende den Doktortitel in der Anrede, auch wenn ich nicht mehr glaube, daß er Ihnen zusteht. Sie selbst wollen "auf das Führen des Titels verzichten" - meiner beschiedenen Meinung als Nicht-Jurist nach liegt das nicht in Ihren Händen: darüber haben andere zu entscheiden.

Ihre Erklärungen zum Thema, die am Freitag und erst recht die heutige empfinde ich als Zumutung. Sie haben jahrelang an dieser Doktorarbeit gesessen und sie müssen sich ein Wochenende damit beschäftigen, um die gemachten Fehler zu erkennen? Ich selbst bin kein Akademiker, aber diverse meiner Freunde haben ihren Doktortitel. Einige haben ihre Arbeit als junge Familienväter geschrieben, mußten ihre Familie ernähren mit ihrer Arbeit. Und diese Zeit, die Entbehrungen, die Belastung für die Familien und Freunde hat und wird keiner von diesen vergessen, genausowenig wie den Inhalt ihrer Arbeit und wie er zustandekam. Ich habe keine Umfrage gestartet, aber ich bin mir sicher, keiner von meinen Freunden müßte lange darüber nachdenken, wenn er sich mit solchen Vorwürfen konfrontiert sähe. Denn meine Freunde haben ein Gewissen. Hätte einer von ihnen derartige Fehler wie sie Ihnen vorgeworfen werden in ihrer Arbeit, er wüßte es, weil er bis heute nicht schlafen könnte.

Und überhaupt: Fehler! Ich habe mir einige der bekannten Stellen, um die es bei den Vorwürfen gegen Sie geht, angeschaut. Beim besten Willen, aber es fällt mir schwer, an Versehen zu glauben. Den "Überblick verloren"? Ich habe lang genug in der Schule und in der Uni verbracht, um Grundzüge des Zitierens zu kennen. Leicht veränderte Passagen, umgestellte Sätze sind nicht gerade ein Zeichen dafür, daß hier nur die ein oder andere Fußnote fehlt. Und wenn auch nur 10% der Stellen sich bei näherer Prüfung als problematisch erweisen würden, wäre das fernab dessen, was ich noch als Fehler - sprich ohne Vorsatz - durchgehen lassen würde.

Desweiteren ist da noch das, was andere "Krisenmanagement" Ihrerseits nennen. Für mich ist das ein Einblick in Ihre Denkweise, in Ihren Charakter. Sie haben Ihrer Karriere die ein oder andere Karriere ihrer Untergebenen geopfert, im aktuellen Falle des Kapitän Schatz wohl einen ganzen Lebenstraum. Ohne auf endgültige Ergebnisse zu warten, ohne eine solche Last an Beweisen, wie sie derzeit gegen Sie vorliegt. Anstatt sich hinter ihre Mitarbeiter oder Soldaten zu stellen, haben Sie auf deren Kosten Politik gemacht, eine Politik, die nicht dem Land, sondern im wesentlichen Ihrer Person diente. Und Sie sind nicht bereit, die gleichen Maßstäbe an sich selbst anzulegen. Das finde ich mehr als bedenkliche Charakterzüge für jemanden, der als Bundesminister der Verteidigung Menschen in potentiell gefährliche Situationen, letztlich auch in den Tod schickt.

Wenn Sie noch immer einen Rücktritt ausschließen, dann machen Sie sich eines klar: Ein Arbeitnehmer, womöglich in einer Führungsposition, dessen Arbeitgeber mit den gleichen Vorwürfen konfrontiert würde, sähe sich wohl folgender Situation gegenüber: Der Personalleiter erörtert die Vorwürfe und bietet, solange es nur Vorwürfe und keine endgültige Klärung (z.B. durch Entziehung der Doktorwürde) gibt, an zu kündigen, falls die Vorwürfe der Wahrheit entsprechen. Kündigen Sie nicht und die Vorwürfe bewahrheiten sich, dann würden Sie sich einer frislosen Kündigung ausgesetzt sehen - unabhängig von der Tatsache, ob der Doktortitel fachlich ihre Arbeit betrifft oder nicht, wäre das Vetrauensverhältnis an dieser Stelle wohl nachhaltig gestört. Als Bundesminister haben Sie zwar keinen klassischen Arbeitgeber, aber bedenken Sie: Ihr Arbeitgeber bin ich. Und mit mir Millionen andere Bürger dieses Landes. Das Volk ist der Souverän. Und da ist es mir persönlich zunächst mal hinreichend egal, was ihre Parteifreunde oder sogar die Kanzlerin sagen. Das sollte Ihnen der hoffentlich verbliebene Rest Ihrer Ehre gebieten, jetzt die Konsequenzen zu ziehen.

In den letzten Tagen wurde der Vorwurf einer Hetzkampagne, einer Treibjagd laut. Schuld sind "die Medien". Auch hier muß ich widersprechen. Nach einem Anfangsverdacht weiterzuforschen ist ganz normal. Und Ihre Nicht-Reaktion, Ihre ungeheure Ignoranz hat mit großer Sicherheit dazu beigetragen, den Jagdinstinkt einiger Menschen erst richtig anzuregen - ebenso wie ihre jahrelange Selbstinszenierung sie natürlich als lohnendes Ziel in Stellung gebracht hat. Die Medien, die Sie selbst so gerne für sich nutzten, die wenden sich jetzt gegen Sie. Und dennoch muß ich sagen, es ist falsch, Plattformen wie GuttenPlag anzuprangern - anzuprangern ist die Tatsache, daß soetwas nötig war, weil sie zum einen die Grundlage lieferten und zum anderen in dem Moment, als der Stein im Rollen war nicht die Größe besaßen, zu den Vorwürfen korrekt Stellung zu nehmen. Haben Sie wirklich geglaubt, daß sich das aussitzen ließe? Oder wollten Sie aus rein politischen Gründen wenigstens die Hamburg-Wahl abwarten - was wenigstens Ihren Parteifreunden, wenn auch nicht der eigenen Karriere geschuldet wäre.

Und noch etwas möchte ich Ihnen zu Bedenken geben: Sie lenken mit Ihrem Verhalten den Blick auch auf die Uni Bayreuth. Die bayerischen Landesuniversitäten als Kaderschmieden der CSU. Schon ab und zu kam dieses Thema am Rande auf, aber bei so einem eklatanten Fall - immerhin wurde Ihrer Arbeit mit der besten aller möglichen Noten bewertet - muß der Blick zwangsweise auf die Verquickungen zwischen Politik und Hochschule gehen. Ich bin mir sicher, daß eine direkte Einflußnahme weder stattfand noch nötig war. Aber ich bin mir fast genauso sicher, daß bei der Bewertung Ihrer Arbeit nicht nur bzw. nicht primär die kritische und ordentliche Prüfung ihres Inhalts und ihrer Form die Grundlage waren. Und das beschädigt, sozusagen als Kollateralschaden, auch den Ruf dieser Universität und des Fachbereichs.

Und all dies nur für ihr Ego.

Mit freundlichen Grüßen

Oliver Brandmüller

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