Sehr geehrter Herr (Dr.) zu Guttenberg
Offener Brief
Sehr geehrter Herr (Dr.) zu Guttenberg,
vorweg: Ich verwende den Doktortitel in der Anrede, auch wenn ich
nicht mehr glaube, daß er Ihnen zusteht. Sie selbst wollen
"auf das Führen des Titels verzichten" - meiner beschiedenen
Meinung als Nicht-Jurist nach liegt das nicht in Ihren Händen:
darüber haben andere zu entscheiden.
Ihre Erklärungen zum Thema, die am Freitag und erst recht die
heutige empfinde ich als Zumutung. Sie haben jahrelang an dieser
Doktorarbeit gesessen und sie müssen sich ein Wochenende damit
beschäftigen, um die gemachten Fehler zu erkennen? Ich
selbst bin kein Akademiker, aber diverse meiner Freunde haben ihren
Doktortitel. Einige haben ihre Arbeit als junge Familienväter
geschrieben, mußten ihre Familie ernähren mit ihrer
Arbeit. Und diese Zeit, die Entbehrungen, die Belastung für
die Familien und Freunde hat und wird keiner von diesen vergessen,
genausowenig wie den Inhalt ihrer Arbeit und wie er zustandekam.
Ich habe keine Umfrage gestartet, aber ich bin mir sicher, keiner
von meinen Freunden müßte lange darüber nachdenken,
wenn er sich mit solchen Vorwürfen konfrontiert sähe.
Denn meine Freunde haben ein Gewissen. Hätte einer von ihnen
derartige Fehler wie sie Ihnen vorgeworfen werden in ihrer
Arbeit, er wüßte es, weil er bis heute nicht schlafen
könnte.
Und überhaupt: Fehler! Ich habe mir einige der
bekannten Stellen, um die es bei den Vorwürfen gegen Sie geht,
angeschaut. Beim besten Willen, aber es fällt mir schwer, an
Versehen zu glauben. Den "Überblick verloren"? Ich habe lang
genug in der Schule und in der Uni verbracht, um Grundzüge des
Zitierens zu kennen. Leicht veränderte Passagen, umgestellte
Sätze sind nicht gerade ein Zeichen dafür, daß hier
nur die ein oder andere Fußnote fehlt. Und wenn auch nur 10%
der Stellen sich bei näherer Prüfung als problematisch
erweisen würden, wäre das fernab dessen, was ich noch als
Fehler - sprich ohne Vorsatz - durchgehen lassen
würde.
Desweiteren ist da noch das, was andere "Krisenmanagement"
Ihrerseits nennen. Für mich ist das ein Einblick in Ihre
Denkweise, in Ihren Charakter. Sie haben Ihrer Karriere die ein
oder andere Karriere ihrer Untergebenen geopfert, im aktuellen
Falle des Kapitän Schatz wohl einen ganzen Lebenstraum. Ohne
auf endgültige Ergebnisse zu warten, ohne eine solche Last an
Beweisen, wie sie derzeit gegen Sie vorliegt. Anstatt sich hinter
ihre Mitarbeiter oder Soldaten zu stellen, haben Sie auf deren
Kosten Politik gemacht, eine Politik, die nicht dem Land, sondern
im wesentlichen Ihrer Person diente. Und Sie sind nicht bereit, die
gleichen Maßstäbe an sich selbst anzulegen. Das finde ich
mehr als bedenkliche Charakterzüge für jemanden, der als
Bundesminister der Verteidigung Menschen in potentiell
gefährliche Situationen, letztlich auch in den Tod
schickt.
Wenn Sie noch immer einen Rücktritt ausschließen, dann
machen Sie sich eines klar: Ein Arbeitnehmer, womöglich in
einer Führungsposition, dessen Arbeitgeber mit den gleichen
Vorwürfen konfrontiert würde, sähe sich wohl
folgender Situation gegenüber: Der Personalleiter
erörtert die Vorwürfe und bietet, solange es nur
Vorwürfe und keine endgültige Klärung (z.B. durch
Entziehung der Doktorwürde) gibt, an zu kündigen, falls
die Vorwürfe der Wahrheit entsprechen. Kündigen Sie nicht
und die Vorwürfe bewahrheiten sich, dann würden Sie sich
einer frislosen Kündigung ausgesetzt sehen - unabhängig
von der Tatsache, ob der Doktortitel fachlich ihre Arbeit betrifft
oder nicht, wäre das Vetrauensverhältnis an dieser Stelle
wohl nachhaltig gestört. Als Bundesminister haben Sie zwar
keinen klassischen Arbeitgeber, aber bedenken Sie: Ihr Arbeitgeber
bin ich. Und mit mir Millionen andere Bürger dieses Landes.
Das Volk ist der Souverän. Und da ist es mir persönlich
zunächst mal hinreichend egal, was ihre Parteifreunde oder
sogar die Kanzlerin sagen. Das sollte Ihnen der hoffentlich
verbliebene Rest Ihrer Ehre gebieten, jetzt die Konsequenzen zu
ziehen.
In den letzten Tagen wurde der Vorwurf einer Hetzkampagne, einer
Treibjagd laut. Schuld sind "die Medien". Auch hier muß ich
widersprechen. Nach einem Anfangsverdacht weiterzuforschen ist ganz
normal. Und Ihre Nicht-Reaktion, Ihre ungeheure Ignoranz hat mit
großer Sicherheit dazu beigetragen, den Jagdinstinkt einiger
Menschen erst richtig anzuregen - ebenso wie ihre jahrelange
Selbstinszenierung sie natürlich als lohnendes Ziel in
Stellung gebracht hat. Die Medien, die Sie selbst so gerne für
sich nutzten, die wenden sich jetzt gegen Sie. Und dennoch muß
ich sagen, es ist falsch, Plattformen wie GuttenPlag anzuprangern -
anzuprangern ist die Tatsache, daß soetwas nötig war,
weil sie zum einen die Grundlage lieferten und zum anderen in dem
Moment, als der Stein im Rollen war nicht die Größe
besaßen, zu den Vorwürfen korrekt Stellung zu nehmen.
Haben Sie wirklich geglaubt, daß sich das aussitzen
ließe? Oder wollten Sie aus rein politischen Gründen
wenigstens die Hamburg-Wahl abwarten - was wenigstens Ihren
Parteifreunden, wenn auch nicht der eigenen Karriere geschuldet
wäre.
Und noch etwas möchte ich Ihnen zu Bedenken geben: Sie lenken
mit Ihrem Verhalten den Blick auch auf die Uni Bayreuth. Die
bayerischen Landesuniversitäten als Kaderschmieden der CSU.
Schon ab und zu kam dieses Thema am Rande auf, aber bei so einem
eklatanten Fall - immerhin wurde Ihrer Arbeit mit der besten aller
möglichen Noten bewertet - muß der Blick zwangsweise auf
die Verquickungen zwischen Politik und Hochschule gehen. Ich bin
mir sicher, daß eine direkte Einflußnahme weder stattfand
noch nötig war. Aber ich bin mir fast genauso sicher, daß
bei der Bewertung Ihrer Arbeit nicht nur bzw. nicht primär die
kritische und ordentliche Prüfung ihres Inhalts und ihrer Form
die Grundlage waren. Und das beschädigt, sozusagen als
Kollateralschaden, auch den Ruf dieser Universität und des
Fachbereichs.
Und all dies nur für ihr Ego.
Mit freundlichen Grüßen
Oliver Brandmüller