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Südwest 2011: Sonne, Unwetter, Gastfreundschaft

Sonntag, 11.09.2001

Nach dem Aufwachen begrüßt uns blauer Himmel. Schnell haben wir gepackt und stärken uns am Frühstücksbuffet. Gegen 09:30 Uhr machen wir uns auf den Weg. Kurz auf die Karte schauen, wo man am besten wieder auf den Track zurück kommt, dann geht es los. Die Temperatur steigt unaufhaltsam, 25°C, 27°C, 29°C und die Sonne brennt. Leider liegt auch eine drückende Schwüle in der Luft. Und es weht ein scharfer Gegenwind, wir sehen die Windräder immer nur von hinten.

Klaus‘ Plan ist es, in Halle einen IC zu erreichen, die einzig stress- und umsteigefreie Rückfahrtmöglichkeit und so hängen wir uns rein. Natürlich wird nicht übertrieben, aber wir wechseln uns ab, unterhalten uns wenig ziehen unseres Weges. Das Gelände wird wellig, keine wirklich heftigen Anstiege, aber es läppert sich einiges zusammen.

Die Strecke nach Halle ist angenehm zu fahren, aber im wesentlichen eher ereignislos. Keine herausragenden Landmarken, keine wirklich spannenden Streckenabschnitte. In Halle trennen sich unsere Wege, als Klaus irgendwann vom Track abbiegt und einer großen Hauptstraße nicht ganz wie von den Verkehrsplanern für Fahrräder beabsichtigt zum Hauptbahnhof folgt.

Ich durchfahre Halle auf dem Radweit-Track, weitestgehend, an einer Stelle gibt es eine keine Abkürzung, vermutlich neu, nach einer einer angenehmen Fahrt durch einen langgezogenen Grünstreifen geht es dann auch bald wieder raus aus der Stadt. Ich beschließe bei nächster Gelegenheit eine Pause zu machen, über dem heißen Asphalt ist das Thermometer bei 31°C festgenagelt.Neben der Strecke finde ich einen schattigen Platz mit Selbstbedienung. Da mir die Gerichte nach dem KOnzepot fettiges Fleisch mit schwerer Soße (ausnahmslos alle!) nicht gefallen, nehme ich ein Eis und eine Apfelschorle und spekuliere darauf, demnächst vielleicht noch an einem Café vorbeizukommen. Außerdem liegt ja in absehbarer Entfernung noch der empfohlene Leimbacher Gasthof auf dem Weg, den ich für mein Mittagessen vorgesehen habe.

Das mit der absehbaren Entfernung entpuppt sich allerdings als Fehler. Der kräftige Gegenwind gepaart mit dem stetigen Anstieg in höheres Gelände, immer nur ganz geringe Prozentzahlen, aber die können mehr nerven als eine faire Steigung, zehren an den Kräften. Immer wieder wird meine Hoffnung auf ein Café oder ähnliches bitter enttäuscht. Zudem divergieren die autokalibrierende Höhenangabe auf dem GPS und die unkalibrierte auf dem Tacho zunehmend: der Tacho liegt mit seinen Angaben mittlerweile dutzende Meter über dem GPS, ein sicheres Zeichen für fallenden Luftdruck.

Noch 15km bis zum Gasthof. Durchhalten. Ich schwitze. Trotz Sonnencreme macht sich Sonnenbrand bemerkbar. Gegenwind.

Noch 10km bis zum Gasthof. Hungergefühl steigt auf. Ein sicheres, daß ich schon längst hätte essen sollen.

Noch 5km bis zum Gasthof. Tankstelle. Ich schlinge ein Sandwich hianunter, trinke ein Malzbier, esse zwei Schokoriegel. Die Beine schreien. Nicht gut.

Dann endlich der Gasthof. Dringend brauche ich jetzt die Pause. Apfelschorle, ein ordentliches Essen. Draußen zieht sich der Himmel zu. Die Regenprognose von gestern abend kündigte den Regen zwischen 17 und 19 Uhr. Es ist 15 Uhr. Eine Stunde Pause muß sein. Bevor das Essen nicht wirkt brauche ich kaum weiterzufahren. Ich bin über den Hungerpunkt, es ist schwer zu essen, aber ich tue es. Draußen ein paar jugendliche, die mein Fahrrad interessiert begutachten. Ich nehme mir etwas Zeit für sie, um mich abzuhalten, zu schnell weiterzufahren. Aber die Zeit drängt, das Regenradar läßt schlimmes erahnen.

Als ich weiterfahre sind es noch 30km bis Heldrungen. Das Essen liegt schwer im Magen. Nicht daß wir uns mißverstehen: hervorragendes Essen, aber mein Körper weigert sich, es so schnell zu verdauen, wie ich es jetzt bräuchte. Käme auf dem Weg eine passende Unterkunft, ich würde sie nehmen. Es kommt aber keine.

Abbiegung auf den Saale-Unstrut-Radweg, weg von den Autos. Es wird dunkler, vor mir eine schwarze Wand, sie zieht scheinbar wuer vor mir vorbei, ich muß von meinem Westkurs südwärst abbiegen, dort sieht es heller aus. Aber die Wand kommt trotzdem näher, bedrohlich nahe.

Kurz vor erreichen der Straße pfeifen plötzöich von einer Sekunde auf die andere Sturmböen über mich, die ersten Regentropfen. Mit erreichen der Straße wird der Regen stärker. Blitze zucken durch die Luft. Keine Bushaltestelle oder ähnliches weit uns breit, nur Bäume – und die sind bei Gewitter eine schlechtere Wahl als offenes Gelände. Ich sichere alle empfindlichen Dinge in meinen wasserdichten Taschen, ziehe die Regenjacke über, suche eine Lücke. Licht an und rauf auf die Straße. 10km noch bis Heldrungen. eine halbe Stunde, vielleicht etwas mehr. Ich werde naß sein, aber das ist auszuhalten.

Ein Sturmböe trifft mich von dwer Seite, das Auto hinter mir muß scharf bremsen, da ich unvermittelt auf die Gegenfahrbahn schieße. Scheiße. Ich kämpfe mich zurück an die rechte Seite. Neben mir ein Straßengraben, Bäume, die Laub und Äste verlieren. Der Wind peitsch mir seitlich so ins Gesicht, daß es schmerzt. Die nächste Böe, wieder auf die Gegenfahrbahn, nur mit mühe komme ich zurück auf die rechte Fahrbahnseite. Ich muß runter von der Straße, das ist lebensgefährlich. Aber wohin?

Auf einem Feldweg 200m entfernt auf der linken Seite steht ein Traktor mit einem Wohnwagen, eine Person schaut aus der Tür. Ich beschließe, dort nach Unterschlupf zu fragen. Der Wind drückt mich nach links, ich biege ab, lasse die Speedmachine mit den schweren Taschen in Windrichtung stehen, klopfe an die Tür. Mir wird geöffnet, ich werde eingelassen. Ein älterer Herr, er kommt gerade von einem Lanz-Bulldog-Treffen. Gemeinsam warten wir um Wohnwagen, der von Sturmböen und vom laufenden Traktor durchgeschüttelt wird.

Irgendwann wird der Regen, dann auch der Wind weniger. Da das Gespann auch noch gute zwei Stunden Fahrt vor sich hat, heißt es raus in den Regen und ab auf die Straße. Der Wind ist stark, aber beherrschbar.

Das schlechte Wetter treibt die Autofahrer zu noch wilderen Überholmanövern als sonst, ich fühle mich nicht wohl auf der Straße. In Reinsdorf winkt ein Mann am Straßenrand. „Das ist aber nicht so ein gutes Wetter zum Radfahren!“ Ich bleibe stehen, schaue nach dem Weg, das GPS-Display ist kaum zu erkennen mit dem vielen Wasser. Und werde auf einen Kaffee und ein Dach über’m Kopf eingeladen.

Und nicht nur das: Mein Rad kriegt einen trockenen Platz, ich einen Satz trockener Klamotten und meine nassen Radklamotten wandern in den Trockner. Wäre ich nicht immernoch satt, ich hätte sogar noch zu essen bekommen. Wahnsinn, daß es so eine Gastfreudschaft in Deutschland noch gibt heutzutage – für einen Wildfremden! Ich bin total überwältigt. Und dankbar. Ich kann ausruhen, mir geht es langsam besser, die Motivation kehrt zurück.

Ich rufe die Jugendherberge auf der Wasserburg in Heldrungen an, es gibt noch einen Platz für mich. 6 bis 8 Kilometer über einen ruhigen Radweg stehen mir noch bevor. Ich warte den Regen ab, dann geht es los.

Der Radweg ist super – bis auf eine kleine Stelle, wo gerade Baustelle ist. Das wäre unter normalen Bedingungen nicht schlimm, in diesem Fall hat der heftige Regen zu einer ca. 5cm tiefen Schlammkuhle geführt. Ich fahre langsam hindurch, bis zu einem Punkt, wo eine Steinkante kommt, die ich unmöglich hinauffahren kann. Ein beherzter Schritt in den Matsch. Hinterher klebt soviel davon in meinem Schuhen, daß ich erst den Inhalt meiner Trinkflasche opfern muß, um wieder einklicken zu können!

Leichter Regen setzt ein, ber der Wind läßt nach. So komme ich an der Wasserburg an. Ich bekomme ein nettes Zimemr, sogar noch einen Salat zum Abendbrot, kann duschen und mein Rad steht sicher und trocken. Ich breite meine Klamotten aus. Der Trocknergang zwischendurch hat dafür gesorgt, daß diese in einem Zustand sind, daß sie in absehbarer Zeit wirklich wieder trocken sein werden.

Was für ein Tag! 118km stehen auf dem Tacho. Reicht aber auch.

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