Die Woche war hart, die Vorbereitung schleppend, erst Freitag abend um kurz vor 23 Uhr war alles fertig. Für den Samstag war ich um 09:30 Uhr mit Klaus verabredet, der mich auf der ersten Etappe meiner Tour begleiten wollte. Bevor er auftauchte ging ich nochmal zur Bank und frühstückte beim Bäcker, dann packte ich die frisch gefüllte Wasserblase und eine Flasche mit einem Wasser/Saft-Mix ans Rad … und knack das Halteblech für den Getränkehalter unter dem Sitz brach. Was für ein Auftakt. Ich beschloss einen Umweg über meinen Händler zu machen, vielleicht hat der ja eines vorrätig.
Unten vor der Tür, Klaus kommt gerade an, Gepäck ans Rad, im das Malheur mit dem Getränkehalter präsentiert, GPS gestartet, aufs Rad gesetzt, einklicken, losfahren … es klickt aber nicht. Nanu? Von meinem Gang zur Bank habe ich noch die normalen Straßenschuhe an… Also nochmal hoch, Schuhe wechseln. Dann rüber zu Feine Räder, dieses spezielle Teil, das ich jetzt brauche, ist aber nicht auf Lager. Aushilfsweise wird mit Kabelbinder geflickt, das hält auch erstmal. Vielleicht komme ich ja auf dem Weg nach Südwesten noch bei einem Händler vorbei, wo ich mir das fragliche Teil hinbestellen kann.
Und dann endlich: los. Es geht über meine Stammstrecke, den Kronprinzessinnenweg, raus über den Schäferberg und durch Potsdam. Am Schwielowsee entlang und bei Ferhc auf den R1. Auf der Radweit-Strecke nach Dessau geht es bei zunächst wolkigem, aber mit guten 22°C warmen Wetter gut vorwärts. Eine Bäckerpause haben wir schon hinter uns, in Brück packt uns der Hunger und wir kehren beim Gasthof Stadtmitte ein. Gulasch mit Nudeln, viel zu trinken und zum guten Ende noch ein Eis für faire Brandenburger Preise.
Gut gestärkt geht es weiter und jetzt wagt sich langsam auch die Sonne hervor. Schon bald kommen die ersten sanften Höhenmeter (von Bergen spreche ich bewußt nicht). Dessau, unser Etappenziel kommt näher. Ein Anruf bei der Jugenherberge ergibt, daß wirklich heut keine Plätze mehr frei sind, also fahren wir ersteinmal weiter. Am Ortseingang Dessau beginnt dann die Hotelsuche, wir entscheiden uns für ein Hotel Garni knapp südlich von Dessau, wo wir dann auch nach 140km einkehren (für Klaus natürlich ein paar mehr).
Ein elegante Doppelsuite im besten Ost-Charme erwartet uns, durch das Grillfest im Hof, bei dem wir freundlicherweise noch mitessen dürfen werden werden wir entschädigt. Ein Verdauungsrundgang im Dorf rundet den Abend ab.
Nach dem Aufwachen begrüßt uns blauer Himmel. Schnell haben wir gepackt und stärken uns am Frühstücksbuffet. Gegen 09:30 Uhr machen wir uns auf den Weg. Kurz auf die Karte schauen, wo man am besten wieder auf den Track zurück kommt, dann geht es los. Die Temperatur steigt unaufhaltsam, 25°C, 27°C, 29°C und die Sonne brennt. Leider liegt auch eine drückende Schwüle in der Luft. Und es weht ein scharfer Gegenwind, wir sehen die Windräder immer nur von hinten.
Klaus‘ Plan ist es, in Halle einen IC zu erreichen, die einzig stress- und umsteigefreie Rückfahrtmöglichkeit und so hängen wir uns rein. Natürlich wird nicht übertrieben, aber wir wechseln uns ab, unterhalten uns wenig ziehen unseres Weges. Das Gelände wird wellig, keine wirklich heftigen Anstiege, aber es läppert sich einiges zusammen.
Die Strecke nach Halle ist angenehm zu fahren, aber im wesentlichen eher ereignislos. Keine herausragenden Landmarken, keine wirklich spannenden Streckenabschnitte. In Halle trennen sich unsere Wege, als Klaus irgendwann vom Track abbiegt und einer großen Hauptstraße nicht ganz wie von den Verkehrsplanern für Fahrräder beabsichtigt zum Hauptbahnhof folgt.
Ich durchfahre Halle auf dem Radweit-Track, weitestgehend, an einer Stelle gibt es eine keine Abkürzung, vermutlich neu, nach einer einer angenehmen Fahrt durch einen langgezogenen Grünstreifen geht es dann auch bald wieder raus aus der Stadt. Ich beschließe bei nächster Gelegenheit eine Pause zu machen, über dem heißen Asphalt ist das Thermometer bei 31°C festgenagelt.Neben der Strecke finde ich einen schattigen Platz mit Selbstbedienung. Da mir die Gerichte nach dem KOnzepot fettiges Fleisch mit schwerer Soße (ausnahmslos alle!) nicht gefallen, nehme ich ein Eis und eine Apfelschorle und spekuliere darauf, demnächst vielleicht noch an einem Café vorbeizukommen. Außerdem liegt ja in absehbarer Entfernung noch der empfohlene Leimbacher Gasthof auf dem Weg, den ich für mein Mittagessen vorgesehen habe.
Das mit der absehbaren Entfernung entpuppt sich allerdings als Fehler. Der kräftige Gegenwind gepaart mit dem stetigen Anstieg in höheres Gelände, immer nur ganz geringe Prozentzahlen, aber die können mehr nerven als eine faire Steigung, zehren an den Kräften. Immer wieder wird meine Hoffnung auf ein Café oder ähnliches bitter enttäuscht. Zudem divergieren die autokalibrierende Höhenangabe auf dem GPS und die unkalibrierte auf dem Tacho zunehmend: der Tacho liegt mit seinen Angaben mittlerweile dutzende Meter über dem GPS, ein sicheres Zeichen für fallenden Luftdruck.
Noch 15km bis zum Gasthof. Durchhalten. Ich schwitze. Trotz Sonnencreme macht sich Sonnenbrand bemerkbar. Gegenwind.
Noch 10km bis zum Gasthof. Hungergefühl steigt auf. Ein sicheres, daß ich schon längst hätte essen sollen.
Noch 5km bis zum Gasthof. Tankstelle. Ich schlinge ein Sandwich hianunter, trinke ein Malzbier, esse zwei Schokoriegel. Die Beine schreien. Nicht gut.
Dann endlich der Gasthof. Dringend brauche ich jetzt die Pause. Apfelschorle, ein ordentliches Essen. Draußen zieht sich der Himmel zu. Die Regenprognose von gestern abend kündigte den Regen zwischen 17 und 19 Uhr. Es ist 15 Uhr. Eine Stunde Pause muß sein. Bevor das Essen nicht wirkt brauche ich kaum weiterzufahren. Ich bin über den Hungerpunkt, es ist schwer zu essen, aber ich tue es. Draußen ein paar jugendliche, die mein Fahrrad interessiert begutachten. Ich nehme mir etwas Zeit für sie, um mich abzuhalten, zu schnell weiterzufahren. Aber die Zeit drängt, das Regenradar läßt schlimmes erahnen.
Als ich weiterfahre sind es noch 30km bis Heldrungen. Das Essen liegt schwer im Magen. Nicht daß wir uns mißverstehen: hervorragendes Essen, aber mein Körper weigert sich, es so schnell zu verdauen, wie ich es jetzt bräuchte. Käme auf dem Weg eine passende Unterkunft, ich würde sie nehmen. Es kommt aber keine.
Abbiegung auf den Saale-Unstrut-Radweg, weg von den Autos. Es wird dunkler, vor mir eine schwarze Wand, sie zieht scheinbar wuer vor mir vorbei, ich muß von meinem Westkurs südwärst abbiegen, dort sieht es heller aus. Aber die Wand kommt trotzdem näher, bedrohlich nahe.
Kurz vor erreichen der Straße pfeifen plötzöich von einer Sekunde auf die andere Sturmböen über mich, die ersten Regentropfen. Mit erreichen der Straße wird der Regen stärker. Blitze zucken durch die Luft. Keine Bushaltestelle oder ähnliches weit uns breit, nur Bäume – und die sind bei Gewitter eine schlechtere Wahl als offenes Gelände. Ich sichere alle empfindlichen Dinge in meinen wasserdichten Taschen, ziehe die Regenjacke über, suche eine Lücke. Licht an und rauf auf die Straße. 10km noch bis Heldrungen. eine halbe Stunde, vielleicht etwas mehr. Ich werde naß sein, aber das ist auszuhalten.
Ein Sturmböe trifft mich von dwer Seite, das Auto hinter mir muß scharf bremsen, da ich unvermittelt auf die Gegenfahrbahn schieße. Scheiße. Ich kämpfe mich zurück an die rechte Seite. Neben mir ein Straßengraben, Bäume, die Laub und Äste verlieren. Der Wind peitsch mir seitlich so ins Gesicht, daß es schmerzt. Die nächste Böe, wieder auf die Gegenfahrbahn, nur mit mühe komme ich zurück auf die rechte Fahrbahnseite. Ich muß runter von der Straße, das ist lebensgefährlich. Aber wohin?
Auf einem Feldweg 200m entfernt auf der linken Seite steht ein Traktor mit einem Wohnwagen, eine Person schaut aus der Tür. Ich beschließe, dort nach Unterschlupf zu fragen. Der Wind drückt mich nach links, ich biege ab, lasse die Speedmachine mit den schweren Taschen in Windrichtung stehen, klopfe an die Tür. Mir wird geöffnet, ich werde eingelassen. Ein älterer Herr, er kommt gerade von einem Lanz-Bulldog-Treffen. Gemeinsam warten wir um Wohnwagen, der von Sturmböen und vom laufenden Traktor durchgeschüttelt wird.
Irgendwann wird der Regen, dann auch der Wind weniger. Da das Gespann auch noch gute zwei Stunden Fahrt vor sich hat, heißt es raus in den Regen und ab auf die Straße. Der Wind ist stark, aber beherrschbar.
Das schlechte Wetter treibt die Autofahrer zu noch wilderen Überholmanövern als sonst, ich fühle mich nicht wohl auf der Straße. In Reinsdorf winkt ein Mann am Straßenrand. „Das ist aber nicht so ein gutes Wetter zum Radfahren!“ Ich bleibe stehen, schaue nach dem Weg, das GPS-Display ist kaum zu erkennen mit dem vielen Wasser. Und werde auf einen Kaffee und ein Dach über’m Kopf eingeladen.
Und nicht nur das: Mein Rad kriegt einen trockenen Platz, ich einen Satz trockener Klamotten und meine nassen Radklamotten wandern in den Trockner. Wäre ich nicht immernoch satt, ich hätte sogar noch zu essen bekommen. Wahnsinn, daß es so eine Gastfreudschaft in Deutschland noch gibt heutzutage – für einen Wildfremden! Ich bin total überwältigt. Und dankbar. Ich kann ausruhen, mir geht es langsam besser, die Motivation kehrt zurück.
Ich rufe die Jugendherberge auf der Wasserburg in Heldrungen an, es gibt noch einen Platz für mich. 6 bis 8 Kilometer über einen ruhigen Radweg stehen mir noch bevor. Ich warte den Regen ab, dann geht es los.
Der Radweg ist super – bis auf eine kleine Stelle, wo gerade Baustelle ist. Das wäre unter normalen Bedingungen nicht schlimm, in diesem Fall hat der heftige Regen zu einer ca. 5cm tiefen Schlammkuhle geführt. Ich fahre langsam hindurch, bis zu einem Punkt, wo eine Steinkante kommt, die ich unmöglich hinauffahren kann. Ein beherzter Schritt in den Matsch. Hinterher klebt soviel davon in meinem Schuhen, daß ich erst den Inhalt meiner Trinkflasche opfern muß, um wieder einklicken zu können!
Leichter Regen setzt ein, ber der Wind läßt nach. So komme ich an der Wasserburg an. Ich bekomme ein nettes Zimemr, sogar noch einen Salat zum Abendbrot, kann duschen und mein Rad steht sicher und trocken. Ich breite meine Klamotten aus. Der Trocknergang zwischendurch hat dafür gesorgt, daß diese in einem Zustand sind, daß sie in absehbarer Zeit wirklich wieder trocken sein werden.
Was für ein Tag! 118km stehen auf dem Tacho. Reicht aber auch.
Vor dem Fenster meines Burgzimmers hing noch etwas Dunst, aber nach und nach kam die Sonne durch. Nach einem ausführlichen Frühstück geht es auch schon bald los. Die kommende Etappe ist geprägt von Höhenmetern. Zunächst aber geht es auf den Unstrut-Radweg. Fernab von Autos geht es entlang des Flüßchens Unstrut entspannend vorwärts.
Doch bald ändert sich die Landschaft, es wird zunehmend welliger. Ich kämpfe mich Steigungen hoch. Es scheint aber keine Gefälle zu geben, die für die Anstrengungen entlohnen. Und vor allem gibt es in den Orten, durch die ich fahre zwar jede Menge Fahrschulen, allerdings keine Bäcker. Oder einen Bäcker, der geschlossen hat, so wie die meisten Gasthöfe. Ich entwickle die Theorie, daß es vielen Leuten offenbar wichtiger ist, hier wegzukommen, als etwas zu essen. Dabei ist die Landschaft eigentlich wirklich schön.
Nur eben so wellig. Und es geht niemal bergab. Glaube ich.
Geschätzt müßte ich mittlerweile mindestens 1000m über dem Meeresspiegel sein. Das GPS widerspricht und gibt eine kalibrierte Höhe von 230m an. Und langsam wird es mir klar. Mein Gegner heute sind nicht die Steigungen – es ist der Gegenwind. Vier Bft und Böen. Allerdings ist deutlich zu merken, daß auf der Leeseite, wo ich aufsteige, deutlich weniger Wind herrscht, an der Luvseite allerdings der Wind offenbar sehr viel stärker bläst. Selbst auf fünf-Prozent-Abfahrten (die steileren kommen erst später am Tag) sehe ich selten mehr als vieleicht 25km/h auf dem Tacho. In der Ebene sind es vielleicht 16 bis 17 km/h.
Irgendwann finde ich Gräfentonna endlich einen offenen Supermarkt. Brötchen. Kuchen. Eistee (mit Zucker, kein Süßstoff – gar nicht so leicht heute…). Und weiter geht es. Nach wenige Kilometern ebschließe ich, meinen Beinen eine Pause zu gönnen. Und ich merke, daß ich meine Sonnencreme wohl erfolgreich runtergeschwitzt habe: die Haut spannt. Auf einer Wiese lege ich mich ins Gras. Nach kurzem grüßt ein weiterer Radler, wir unterhalten uns kurz.
Und dann wieder los. „Eisenach, dann hast Du’s hinter Dir!“ klingt mir in den Ohren, also rein virtuell, denn ich habe den Satz nur sinngemäß von Klaus auf Twitter gelesen. Er kennt die Strecke. Eisenach. So nah und doch so fern. Es scheint nicht näher zu kommen.
Irgendwann habe ich es dann aber doch geschafft. Nudeln und Apfelschorle. Ich wälze die Gedanken, wo ich heute übernachten werde. I
n Eisenach habe ich eine Hotel-Empfehlung in GPS, ber eigentlich ist mir nach dem Essen nach noch ein paar Kilometern. Die nächste größere Ortschaft ist Bad Hersfeld, 60km entfernt und nicht mehr im Hellen zu erreichen.Sicherheitshalber schaue ich nach Hotels, die lang genug eine besetzte Rezeption haben, gehe aber davon aus, daß ich eher noch etwa 30km fahren werde und dann eine Herberge am Wegesrand suche.
Hinter Eisenach geht die radweit-Route zu einem guten Teil über den Werra-Radweg. Dieser ist in Teilen gut ausgebaut, auf anderen Teilen ist Schotterbelag angesagt – und auf diesem Schotter auch ein paar Rampen, die es in sich haben.
Nach einer Straßenpassage über ruhige kleine Straßen geht es dann auf den nächsten Schotterabschnitt. Nach etwa einem Kilometer drehe ich entnervt um. Das gestrige Unwetter hat in Form von tiefen Schlammpfützen und und dicken Ästen seine Spuren hinterlassen, diese Wege sind für Tourenradler unpassierbar. Ich fahre über die Alternativroute auf der Straße.
Dre Track vereinigt sich irgendwann wieder und dann geht es erst über einen gut ausgebauten Streckenabschnitt, dann kommt wieder so eine richtig tolle Überraschung: der ausgewiesene Radweg scheint urplötzlich in einer Sackgasse, umgeben von elektrischen Viehzäunen, zu enden.
Ungläubig starre ich auf das Schild 50m zuvor, das einen schmalen Single-Trail als Weiterführung des Radwegs ausweist. Schlammpfützen erwarten mich, aber ich bin tapfer, immerhin gilt es keine Äste zu überwinden. Ganz klar ist aber: Planungsicherheit für jedes Wetter bieten diese Wege nicht.
Ich entscheide mich, da fast nur noch Straßenpassagen kommen, den Schatten und den nachlassenden Wind zu nutzen und bis Bad Hersfeld durchzufahren. Als ich merke, daß die schlimmsten Anstiege kurz vor Bad Hersfeld kommen ist es zu spät für eine andere Entscheidung. Dunkelheit setzt ein, in den kleinen Dörfern sind keine Unterkünfte zu bekommen. Aber ich mag Fahrten bei Nacht und setze intensiv auf den folgenden Abfahrten mein Fernlicht ein (auf den Anstiegen mit 7 bis 8 km/h ist das reichlich unnötig). Speziell auf dem Salztalradweg kurz vor dem Ziel ist das Licht eine große Hilfe. Andererseits: ohne diese Scheinwerfer wären die Rehe vielleicht auch so vom Weg gesprungen und hätten sich nicht erst bitten lassen müssen (durch Abblenden).
Am Rande von Bad Hersfeld stelle ich gnadenlos auf Autorouting vom avisierten Hotel um und bin nach nichtmal einem Kilometer dort. Mein Rad bekommt einen sicheren, trockenen Garagenplatz, ich habe ein nettes Zimmer, morgen gibt es Frühstück und im Hause ist ein kroatisches Restaurant. Und vor der Tür eine Tankstelle, um mir noch etwas anderes als Leitungswasser mit aufs Zimmer zu nehmen. Mein brachialer Sonnenbrand fordert Tribut, auch in Form von großem Durst.
Während ich in Bad Hersfeld beim beim Frühstück sitze geht draußen ein Schauer nieder. Ein Blick aufs Regenradar sagt mir aber, daß sich das mit Ende des Frühstücks schon erledigt haben dürfte. Ich bringe noch Pfandflaschen weg, unterhalte mich kurz mit zwei anderen Radlern, dann sattle ich mein Rad und fahre im Nieselregen los.
Nach einigen Metern halte ich an und verstaue die Bauchtasche in der Ortliebrolle, ich möchte Handy und Kamera nicht mit der Feuchtigkeit meiner Umgebung konfrontieren. Einige hundert Meter weiter halte ich nochmal an und ziehe die Regenjacke über. Nach 2km halte ich an und ziehe die Regenjacke wieder aus. Einen weiteren Kilometer weiter, die Sonne kommt durch, hole ich die Bauchtasche wieder aus der Versenkung.
Über eine gute Strecke folge ich einem netten, ruhigen Radweg, dann kleinen Straßen, bis ich nach Schlitz komme. Bei einem Bäcker an der Straße mache ich eine kleine Pause mit einem Brötchen, Kakao und Apfelschorle. Während ich noch da sitze und amüsiert all die interessierten Menschen beobachte, die draußen staunend um mein Fahrrad herumgehen, kommen die beiden Radler aus dem Hotel wieder vorbei. Sie winken, fahren aber durch … und kommen nach einigen Minuten wieder. Wichtige Regel: Immer die erste Möglichkeit nehmen, wenn es auf dem Dorf schonmal was zu essen gibt.
Ich nutze die Gelegenheit, daß jemand aufs Rad aufpasst und suche die Örtlichkeit auf, dann fahre ich weiter. Ein leichtes Völlegefühl macht sich breit und wird stärker. Eigentlich habe ich nicht so übermäßig viel gegessen. Das Fahren anstrengender. In Großenlüder setze ich mich auf einen Tee in die Bäckerei des Ortes. Das Gefühl kenne ich, meine Galle meldet nsich zu Wort. Normalerweise geht das in ein paar Stunden vorbei.
Nicht so heute. Ich suche mir ein Hotel im Ort. Als Übelkeit einsetzt, suche ich einen Arzt auf. NaCl-Infusion mit Buscopan, der Bauch ist etwas verhärtet. „Wenn das schlimmer wird bis morgen: hier gibt es auch gute Chirurgen, keine Bange!“ … was für eine Ansage.
Die Nacht verbringe ich über der Kloschüssel.
Mittwoch, 14.09.2011
Erst gegen Morgen beruhigt sich mein Bauch, ich kann sogar ein Scheibchen Brot frühstücken. Ein weiterer Besuch beim Arzt bringt aber Entwarnung und es geht mir auch zuenhmend besser. Die schlaflose Nacht hat Spuren hinterlassen und ich muß erstmal meine Reserven auffüllen, also schiebe ich einen Ruhetag ein.
Ich ließ den Morgen gemächlich angehen, eine ruhige Etappe sollte es ja sein nach der ungeplanten Pause. Erstmal Frühstück, dann packen, noch schnell beim Drogeriemarkt gegenüber 50er Sonnencreme kaufen. Ich will wenigstens so tun, als sei ich lernfähig. Ich frage die Wirtin vom Hirschen noch, ob denn in meine Richtung noch viele Anstiege kämen: „Nein, nur ein kleiner direkt nach dem Ort…“
Und wirklch, der Anstieg nach dem Ort ist wirklich nur ein harmloser kleiner. Danach kommen allerdings durchaus noch ein paar 10%-Anstiege und auch diverse flachere, insgesamt geht es nochmal deutlich aufwärts. Die Temperatur liegt bei 17°C, in Wäldern etwas kühler, sonst auch mal etwas wärmer. Der WInd weht mäßig, aber er weht zunächst noch. Meinen Beinen hat der Ruhetag sehr gut getan, das spüre ich, Ansonsten leide ich durchaus noch etwas an den Folgen meiner kleinen Einlage, aber es geht.
Beim rauf fahren ist es mir im Langarmshirt zu warm, sobald aber eine leicht windige Ebene oder gar eine Abfahrt kommt, habe ich fast das Gefühl zu frieren. Ich entscheide mich also dafür, den Status Quo der Bekleidung beizubehalten, es scheint ja der perfekte Mittelweg zu sein: So daß es in keiner Situation richtig ist.
Die ruhigen Wege sind sehr schön, bieten auch immer wieder grandiose Aussichten auf die Täler. Zweima allerdings scheitere ich fast an Baustellen. Bei der ersten habe ich, als ich ungeniert einfach an den Begrenzungen vorbeifahre, eine frisch asphaltierte Straße für mich allein – wenn man von den Arbeitern und Baufahrzeugen, die im wesentlichen mit den Zufahrten und der Seitenbefestigung beschäftigt waren. Bei der zweiten ist die Sache nicht so easy. Ich ignoriere zunächst wieder alle Warnschilder und denke mir: mit dem Rad kommst Du da irgendwie durch. Die Baustelle liegt in einem Ort, die Straße ist quasi weg. Die Frage, ob ich durchkäme, beantwortet ein Bauarbeiter mit einem mitleidigen Blick und: „ich würd aber nicht versuchen zu fahren…“ – ich nehme das als „ja“ und schiebe durch groben Schotter, vielleicht 200 Meter. Mein Track biegt nach rechts ab. Ich schaue nach rechts und sehe … den Dorfbach. Und eine dünne Holzplanke, wo einmal die Brücke war. Die Planke endet am anderen Ufer im Grünen, keine Möglichkeit, Fahrrad und Gepäck dort entlang zu bekommen. Ein Blick auf die Karte verrät mir aber, daß mit geringem Umweg eine weitere Brücke erreichbar sein sollte. Ist sie dann zum Glück auch. Schwein gehabt!
Nach Büdingen ändert sich die Landschaft. Es geht ins Maintal hinab. Die Anstiege haben ein Ende, aber könnte ich dieses aggrerssive Verkehsrchaos, was mich über Hanau bis Darmstadt begleitet gegen noch ein paar Höhenmeter tauschen, ich würde es sofort tun! Besonders Darmstadt fällt mir wieder auf. Schon auf der Landstraße dorthin: Huper, Drängler, 30-cm-Überholer. Die Stadt selbst rangiert bei mir unter Fahrradfeindlichste Stadt Deutschlands. Die Verkehrsführung mörderisch, die Straßen eng und das Pflaster so schlecht, daß man sich nach Berlin wünscht – und das will was heißen.
Nach Darmstadt geht es zum Glück ersteinmal weiter über einen, wenn auch nicht asphaltierten, aber gut fahrebaren Waldweg nach Pfungstadt. Eigentlich wollte ich mir hier eine Bleibe für die Nacht suchen, aber ich sehe auf dem Weg durch die Stadt nichts passendes und bevor ich mich noch an eine Straßenecke stelle und suche, bin ich auch schon wieder raus.
Klaus hatte mir angeboten, den hier abzweigenden Radweit-Track via Heidelberg nach Karlsruhe zukommen zu lassen, aber es läuft so gut und ich verpasse den Absprung, finde mich unversehens in Gernsheim wieder – ich hatte völlig verdrängt, wie dicht das schon an Pfungstadt war. In Gernsheim sehe ich auch keine passende Unterkunft, dafür aber, daß die Fähre abfahrbereit dasteht – also schnell noch drauf.
Hinter der Fähre kommt als nächster Ort Hamm. Meine Bett & Bike POI im GPS weisen eine Pension in Hamm am Rhein, nur drei bis vier km nach der Fähre aus. Ich beschließe, auf gut Glück dort hinzufahren, es ist gegen 19 Uhr. Und ich habe Glück, ein Zimmer ist frei in der Pension Linde!
Das Zimmer ist indviduell und liebevoll eingerichtet, nicht so ein unpersönlicher Hotel-Einheits-Stil. Ich fühle mich wohl. Nach einem Besuch beim örtlichen Italiener bekomme ich sogar noch alles für Apfelschorle in der Pension: Richtiges Mineralwasser (kein Tafelwasser) und naturtrüben 100% Direktsaft. So mag ich das. Dickes Lob!