Das heutige Frühstück ging über französische Verhältnisse deutlich hinaus, auch wenn ich in der Schweiz doch gerne noch ein Müesli gehabt hätte. So war ich also guter Dinge, als ich losfuhr. Den Anstieg hatte ich bereits gestern hinter mich gebracht und war froh drum.
Nach einigen Kilometern durch das Tal folgte der nächste Anstieg. Hier war wieder eine mal eine Abkürzung über einen nicht asphaltierten Weg angesagt, laut Karte brachte dies einiges – in der Realität aber vor allem Ärger. Zunächst war der Weg gut fahrbar, damit hatte ich genug Strecke bergauf gemacht, als daß ich nicht mehr umdrehen wollte (und die ganzen Höhenmeter nochmal auf der Straße einsammeln), als der Weg wegen Baumfällarbeiten langsam gröber wurde. An Stellen mit zweistelligen Prozentzahlen war an Fahren nicht mehr zu denken.
Meinen Wasservorrat konnte ich zum Glück kurz danach am Ende der Steigung – und zurück auf asphaltiertem Grund – an einer Quelle auffüllen. Quellen sah ich hier einige am Wegesrand, so machte ich mir um Flüssigkeitsvorräte wenig Sorgen. Beide Bremsen funktionieren normal und waren mit reichlich Wasser auch vom sonstigen Dreck der letzten Tage befreit.
Nach dieser Strapaze erholte ich mnich am Lac du Joux. Ich aß belegte Baguettes, ein Rosinengebäck und trank einen Isodrink. Dabei saß ich mit Blick über den langgezogenen See bei fast 20°C windgeschützt in der Sonne. Der Ärger über den unbfahrbaren “Radweg” verflog langsam, auch wenn das in dieser Form selbst mit dem Mountainbike schon ein hartes Stück gewesen wäre.
In meiner Erinnerung der Routenplanung hatte ich verdrängt, daß zwischen Lac du Joux und Nyon nochmal ein echter Hammer kommt: der Col du Marchairuz. 300 Höhenmeter auf 4km sagt das Schild und es geht gleich richtig zur Sache. Es gibt ein paar flachere Abschnitte, aber größtenteils geht die Sache bei acht bis neun Prozent über die Bühne. Die Paßstraße ist deutlich stärker befahren als die ruhigen Straßen auf den letztenb Anstiegen, vor allem nerven die Motorräder, deren unglaublicher Lärm schon auf Kilometer im Voraus durch die sonstige Ruhe schneidet. Die gleichen Fahrer sieht man oft mehrfach, weil sie offenbar die Straße zum Spaß einige male hintereinander hoch und runter fahren.
Vor dem eigentlichen Paß zweigt die Veloroute 7 auf einen asphaltierten – für den allgemeinen motorisierten Verkehr gesperrten – Weg ab. Zwar versucht einen die Veloroute damit mal wieder um einen “echten” Paß zu betrügen, allerdings spart man nochmal weitere 100 oder mehr Höhenmeter und entgeht dem Lärm. Also nutze ich dieses Angebot, auf der Karte sieht der Weg nach Nyon auf diese Weise auch kürzer aus, als über den Rest des Col du Marchairuz. Auf 1300m Höhe liegen seitlich jetzt viele kleine und größere Schneefelder, bei Sonne und 16°C bis 17°C ein netter Anblick.
Ein Anblick, der nicht vermuten läßt, was folgt. Zuerst sind es nur ein paar Meter, wo sich ein Schneefeld über den Weg zieht, fast kann man schon durchfahren. Es geht bergab, grüne Wiesen säumen den Weg. Was soll schon passieren? Nach einigen Kurven wieder Schnee. Dann mehr Schnee. Nach eineinhalb Kilometern beschließe ich umzukehren – hier ist noch kein Durchkommen. Zurück geht es zur Abzweigung und zur befahrenen Paßstraße.
Ich kurbele auf gut über 1400m Höhe nach oben. Als Belohnung gibt es mein zweites Paß-Foto, diesmal auch mit einer ernstzunehmenden vierstelligen Höhe. Und dann kommt die Entschädigung für alles, was mir an diesem Tag widerfahren ist: Fast 1000 Höhenmeter am Stück geht es den Berg hinunter. Aussicht auf den Lac Leman (Genfer See), inklusive Jet d’Eau (die große Fontäne in Genf), Aussicht auf die Orte im Tal und Aussicht auf die Alpen auf der anderen Seite des Sees. Gigantisch! Fast ohne zu treten geht es mit hoher Geschwindigkeit meinem Ziel entgegen, konzentriertes Fahren ist allerdings angesagt, zum Genießen der Aussicht halte ich lieber zwischendurch an.
In Nyon, meinem heutigen Tagesziel, kümmere ich mich zuerst um eine Unterkunft. Es gibt – auf Empfehlung – ein nettes Bed&Breakfast, womit ich für die Gegend erfreulich preiswert davonkomme in den kommenden zwei Nächten. Das ganze ist in einem schönen Farm-Haus nur ein bis zwei Kilomneter südlich von Nyon, so daß ich abends noch den Ort mit seiner wunderschönen Promenade am See und seinen vielen Restaurants genießen kann, fernab der Straße eine ruhige Bleibe habe und am nächsten Tag direkt an der Radroute nach Genf bin, ohne erst durch den Ort zu müssen. Die Besitzer sind zweisprachig, so daß ich mich über eine problemlose Kommunikation und etwas Smalltalk freue.