Freitag: Hamburg – Bremen

Lars mußte am diesem Freitag Vormittag noch zur Arbeit, ich hatte die Gelegenheit auszuschlafen – und hab sie auch genutzt. Nach dem Aufstehen machte ich mich in Ruhe abfahrbereit, versuchte die Wohnung in einem halbwegs akzeptablen Zustand zu verlassen und sattelte das Gepäck auf. Mittlerweile war es 12 Uhr mittags.

Der ursprüngliche Plan war ein Treffen am Hauptbahnhof, aber ich entschied mich für den noch ursprünglicheren Plan und verlegte das Treffen von dort in Richtung Liegeradstudio. Da der OpenStreetMap in diesem Bereich scheinbar noch ein paar Verknüpfungen fehlten fuhr ich einen kleinen Umweg, der mir immerhin den Anblick eines landenden Beluga (Airbus Transportflugzeug) einbrachte. So kam ich dann kurz vor Lars am Liegeradstudio an.

Museumshafen ÖvelgönneAuf der Fahrt war mir aufgefallen, daß meine (gerade in Berlin nachgestellte) Bremse am Vorderrad nicht ordentlich zog. Da die Vorderrad-Bremse beim Liegerad die wirklich wichtige Bremse ist und ich auch mit schwerer Beladung unterwegs war, wollte ich bei dieser Gelegenheit schnell die Bremse nachstellen (lassen), alleine ist das ohne Montageständer immer etwas schwierig. Das nachsteellen gelang auch dem Fachmann nur mäßig und so entschied ich mich, den etwas zu kurzen Zug gleich mit tauschen zu lassen: Taschen ab, Maschine auf den Montageständer, Zug auswechseln… Und so fiel dann auch gleich auf, daß nach 3500km mein erster Satz Bremsbeläge runter war (das sieht man bei der Scheibenbremse von außen nur sehr schlecht). ObwohlLars (und ich) natürlich dringen los wollten, war uns beiden die Dringlichkeit dieses Tauschs bewußt und es blieb keine andere Chance.

Da wir die Fähre nach Finkenwerder nehmen wollten, genossen wir eine schöne schnelle Abfahrt zum Museumshafen Övelgönne, leider gebremst durch schleichende Autofahrer. Am Hafen gab es als Stärkung für den Weg noch für jeden zwei Matjesbrötchen, dann kam auch schon unsere Fähre, die uns über die Elbe brachte.

Wir fuhren am Airbusgelände vorbei. Auch wenn leider keine Landung (oder Start) eines A380 beobachten konnten, sahen wir immerhin zwei in verschiedenen Airline-Lackierungen in der Werft. Ein gigantischer Anblick, selbst aus dieser Entfernung. Mit einem Apfel vom Bauern als Wegzehrung, wir befanden uns ja schließlich in einem riesigen Obstanbaugebiet, ging es dann weiter nach Buxtehude und darüber hinaus.

Zwischen zwei RegengüssenKurz hinter Apensen fing es an zu regnen, so daß wir die nächste Gelegenheit nutzten und uns an der Tankstelle in Beckdorf unterstellten. Da wir also eh eine Zwangspause einlegen mußten, versorgten wir uns gleich mit warmem Kakao bzw. Kaffee, Laugenstangen wegen des Salzes und noch etwas Süßem wegen der Kohlenhydrate. Und warteten, daß der Regen aufhörte. Und flirteten mit Alina, der Angestellten von der Tankstelle. Und warteten noch ein wenig. Bis es endlich aufhörte zu regnen.

Der zweite Regen erwischte uns dann in Weertzen.  Zunächst suchten wir an der Seite einer Scheune Unterschlupf, aber als der Regen stärker wurde, reichte der Schutz dort nicht ganz aus. Trotz einer netten Unterhaltung mit einer älteren Frau, die den Hof dort pflegte, entschieden wir uns, ein paar Meter weiter im Wartehäuschen einer Bushaltestelle das Ende des Regens abzuwarten. Immerhin versprach das radarbild, daß es nach diesem Regengebiet bedeutend besser werden würde uns keine größeren Güsse heute mehr zu erwarten seien.

Sonne nach dem RegenHinter Zeven, kurz vor Badenstedt, gab es dennoch den dritten Regenschauer des Tages. Diesmal aber war der Himmel schon freundlicher, der Schauer kurz und wir fanden Schutz an einer Scheune mit weit überhängendem Dach. Nach wenigen Minuten hörte der Regen auf und die Sonne tauchte die Landschaft in intensive Farben, wie man sie nue nach einem kräftigen Regen vor dem Kontrast der grauen Wolken erleben kann.

Wegen der diversen Regenpause und der Verzögerung der Abfahrt durch die Wartungsmaßnahmen an meiner Bremse kamen wir viel später als geplant in Bremen an, erst gegen 21 Uhr. Wir fanden unser Quartier und genossen ersteinmal eine warme Dusche, dann suchten wir uns ein Restaurant. Nach Auskunft eines Ortskundigen fanden wir in nächster Nähe einen offenen Italiener und stärkten uns abermals mit einer Portion Nudeln.

Knie und Beine waren deutlich zu fühlen nach diesem Tag – und die längste Etappe wartete ja auch gleich am nächsten Tag auf uns. Also ging es nach dem Essen auch bald ins Bett.

GPS Track vom 22.05.2009

  • Strecke: 124,8 km
  • Schnitt: 22,75 km/h netto, 13,9 km/h brutto
  • Maximum: 59,12 km/h
  • Reisezeit: Brutto 9 Stunden

Donnerstag: Berlin – Hamburg

Um vier Minuten nach neun ging mein Zug ab Berlin Zoo in Richtung Westen. Die Frage, mit der ich haderte, war, ob ich nach Ludwigslust oder Wittenberge fahren sollte. Wegen der Wettervorhersage zum Abend und um mich vor den kommenden Tagen nicht über Gebühr zu belasten, entschied ich mich für Ludwigslust. Von dort sind es 30, 40 Kilometer weniger bis nach Hamburg, dafür geht es ein langes Stück entlang der Bundesstraße B5 – von Wittenberge aus kann man schön längs Elbe fahren.

Der Kauf der Fahrkarte gestaltete sich schwieriger als geplant, da es am Automaten keine Fahrradkarten gibt. Eine Rückfrage an der Information ergibt, daß der Ticketverkauf erst um neun Uhr öffnet. Erst nach meiner Nachfrage bekomme ich die Information, daß ich selbstverständlich in diesem Falle die Fahrradkarte im Zug nachlösen könne. Oben am Bahnsteig warten schon einige Ausflügler, diverse auch mit Fahrrädern. Der Zug fährt ein – und ist ziemlich voll. Ich kämpfe mich durch das Getümmel mit der vollbepackten Speedmachine. An der ElbeVon der vordersten Tür probiere ich an jeder einzelnen einzusteigen, aber erst an der vorletzten finde ich genügend Platz für mich und mein Rad – im Eingangsbereich, neben zwei Rollstühlen, neben mir findet gerade so noch ein anderer radler Platz. Das hält übrigens diverse Zeitgenossen nicht davon ab, mal ganz dringend (und teilweise mehrfach) genau dort entlang zu müssen. Als eine Frau sich relativ rücksichtlos durchquetscht und ungeniert mein Rad durch die Gegend drückt, am Ende noch den Kopf schüttelt – wenn sie vorher ein Wort gesagt hätte, hätte ich eine Chance gehabt, das Rad kurzfristig etwas aus dem Weg zu nehmen – ist es nur meiner Müdigkeit zu verdanken, daß ich den Gedanken ‘Nimm doch ab, Du fette Kuh’ unausgesprochen lasse. Zwei Stunden Zugfahrt sind auf diese Weise kein reines Vergnügen.

In Ludwigslust steige ich – endlich – aus. Aber zwischen mir und dem Wunsch, endlich in die Pedale treten zu können, steht zunächst mal ein Hindernis: Es gibt keinen Fahrstuhl, nichtmal einen abgesenkten Gleisübergang, um den Bahnsteig zu verlassen. Einzig eine Treppe. Vor meinem geistigen Auge sehe ich mich schon alle meine Taschen vom Rad nehmen, da fällt mir ein Bahn-Service-Mitarbeiter auf, den ich nach der Lösung des Problems frage. Er bietet sich kurzerhand an, mir beim Tragen zu helfen und so kann ich auch diese Hürde nehmen.

Bis Boizenburg fahre ich auf der Bundesstrasse B5. Wie üblich im Osten der Republik sind Radwege neben der Straße eher unüblich, so daß die Autos dicht an mir vorbeischießen. Ich erinnere mich an die wichtige Regel: Überholen Dich Autofahrer zu dicht, dann fährst Du zu weit rechts. LauenburgDas Beherzigen des Ratschlags bringt mir nicht unbedingt Sympathien, aber in den meisten Fällen hilft es. Ansonsten sind diese ersten 50km eher ereignislos. Ein paar Höhenmeter bremsen mich etwas, das Wetter ist nicht zu warm, nicht zu kalt und ab und zu gbt es auch etwas Sonne.

Ich fahre in Boizenburg durch den Ort und nicht auf der B5. Der Ort ist nicht sonderlich interessant, hält aber eine schöne Steigung für mich bereit. Als ich wieder auf die B5 treffe freue ich mich über einen gut ausgebauten Radweg, dennoch biege ich auf der Hälfte des Weges nach Lauenburg ab und fahre auf einem Radweg am Elbdeich abseits der Straße bis Lauenburg. Leider ist der radweg hinter dem Deich, so daß ich nur mal kurz einen Blick über die Elbe wage, bevor es wieder weitergeht. Lauenburg ist ein sehr schöner Ort an der Strecke, den ich dennoch eher schnell durchquere, denn mein Gefühl sagt: Das Wetter ändert sich. Nach der Durchquerung des Ortes folge ich einem ausgeschilderten Radweg – und treffe auf eine Steigung, die auch im kleinsten Gang nicht mehr zu bewältigen ist, selbst das Hochschieben ist schon extrem anstrengend. Dann geht es wieder auf der B5 weiter, die heute mein ständiger Begleiter sein wird.

Bei Schnakenbek folge ich dem Elberadweg durch das Naturschutzgebiet. Die Natur ist wunderschön und die Fahrt durch den Wald sehr erholsam und so störe ich mich nicht an der Tatsache, daß mich Waldboden, enge Kurven und knackige Anstiege ausbremsen. Lediglich die zwischendurch immer wieder anzutreffenden Sandkuhlen, die mit dem Liegerad mit 20-Zoll-Vorderrad nur durch schieben zu bewältigen sind, lassen mich etwas an der Streckenwahl zweifeln. Bei Tesperhude geht es wieder auf eine Straße bzw. einen besser befestigten Ufweg. Am Kernkraftwerk Krümmel vorbei fahre ich nach Geesthacht.

ElberadwegBei einer Pause mit Blick über die Elbe fallen mir dunkle Wolken auf, die schnell vorüberziehen. Hinter diesen, genau dort, wo ich hin muß, sind noch mehr und noch dunklere Wolken. Ich ahne, was kommt und gebe nach einer kleinen Runde mit Blick über den Hafen ein wenig Gas. Es geht zurück zur B5, die mich ab hier bis nach Hamburg hinein bringt. Doch kurz vo dem Ortsschild von Hamburg, in Börnsen, beginnt der Regen. Ich suche Schutz an einer Tankstelle. Der Regen wird stärker. Kurz überlege ich, ob ich die Regenklamotten anziehe und einfach weiterfahre, aber heftige Windböen, Blitz und Donner gepaart mit sintflutartigen Regenfällen bringen mich schnell wieder von diesem Gedanken ab. Und wirklich, nachdem die Front durch ist hört es auf zu regnen und ich fahre weiter.

Nach wenigen Kilometern, in Hamburg Bergedorf, beginnt es erneut zu regnen. Ich ziehe meine Regenklamotten über und fahre weiter. Bei Billstedt hat der Regen aufgehört, die Sonne kommt durch und die Straßen dampfen. Ich entledige mich wieder der Schutzkleidung und folge einem gut ausgeschilderten Radweg nach Hamburg-Centrum.

Kurz vor dem Berliner Tor aktiviere ich die Routing-Funktion meines GPS (die mit openstreetmap noch immer experimentell ist). Ich biege ab in Richtung Norden und höre schon bald Flugzeuge – ein gutes Zeichen, denn Lars wohnt in der Nähe des Flughafens. Ohne größere Umwege und an wunderschönen Spotterplätzen vorbei, wo noch zwei Maschinen über mich hinweg rauschen kurz vor der Landung, finde ich zu Lars, der mich schon erwartet.

Nach einer warmen Dusche und einem guten Abendessen (Nudeln, was sonst?) schauen wir noch gemeinsam Höllentour, einen Dokumentar-Film über die Tour der France – leider bin ich so müde, daß ich das Ende wohl bei einer anderen Gelegenheit nochmal ansehen muß.

GPS Track vom 21.05.2009

  • Strecke: 136,7 km
  • Schnitt: 22 km/h netto, 18,2 km/h brutto
  • Maximum: 60,88 km/h.
  • Reisezeit: Brutto 7,5 Stunden

Ein langes Wochenende steht an!

Mit Himmelfahrt steht ein verlängertes Wochenende an (wenn man sich den Freitag frei nimmt) – und damit eine ideale Möglichkeit für eine kleine Radtour. Lars hatte dieselbe Idee, allerdings am Freitag noch nicht frei. Und so wuchs die Idee, gemeinsam ein paar Kilometer abzureißen. Zuerst stand Kopenhagen im Raum, aber eine ältere Idee bekam schlußendlich den Vorzug: Amsterdam. Vorteil für Lars: Er war noch nie da. Vorteil für mich: Ich kann danach gleich einen Abstecher nach Tilburg machen.

Damit steht vorläufig der folgende Plan:

Donnerstag

Ich werde mit der Regionalbahn nach Ludwigslust fahren, von dort habe ich dann ca. 120-130km vor mir bis nach Hamburg. Da die Zeit nicht sonderlich drückt, kann ich es mir vermutlich leisten, die Bundesstraße B5 zu verlassen und schönere Wege entlang der Elbe auszuwählen.

Freitag

Mittags machen wir uns zu zweit auf den Weg in Richtung Bremen, wo wir eine günstige Unterkunft für die erste Nacht gefunden haben. Es werden nochmal etwa 120 Kilometer auf dem Tacho stehen.

Samstag

Eine Hammertour: Von Bremen geht es nach Leeuwarden in den Niederlanden. Obwohl uns der Weg dort vorbeiführt, werden wir wohl leider keine Zeit für eine Werftbesichtigung bei der Meyer-Werft in Papenburg haben, noch in Groningen die Ligfietsgaragen besuchen können. Nach guten 230km kehren wir in Leeuwarden in einem Hotel ein.

Sonntag

Die letzte Etappe nach Amsterdam. Als weiteres Highlight steht vorher die Überquerung des Afsluitdijk (“Abschlußdeich”, trennt das Ijsselmeer von der Nordsee) an. Gute 140km erwarten uns.

Abends wird Lars wieder nach Hamburg fahren und ich mich nach Tilburg durchschlagen (wohl mit der Bahn). Gut über 600km wird diese Tour bringen und sicher eine Menge Spaß. Die Wettervorhersage läßt bisher hoffen, daß uns das Wetter keinen Strich durch die Rechnung macht. Eine ausführliche Berichterstattung wird es natürlich geben.

Einmal Ostsee und zurück: Tag der Luschen

Seebrücke Graal-MüritzDer Tag startete früh. Und grau. Über die kurze (bis acht Uhr) Nacht waren Wolken aufgezogen und die Luft fühlte sich kühl an. Wir schafften noch etwas Ordnung in der Wohnung, dann besuchten wir die Seebrücke von Graal-Müritz. Ein Tag ohne Horizont, die Ostsee ging nahtlos in den grauen Himmel über und die Buhnen am Strand verschwanden links und rechts im Dunst.

Wir suchten uns ein Hotel mit Frühstücksbuffet und ließen es uns gut gehen. Croissants, Müsli, Brötchen – alles, was man sich als Radler so wünscht. Heißer Tee, heißer Kaffee.

Anschließend machte sich Lars zur Abfahrt bereit und wir machten noch die Team-Germany-Fotos unserer drei Lieger in (fast…) den Nationalfarben. Als Lars auf dem Weg war, räumten Manuel und ich noch den rest auf und machten uns dann auch auf den Weg. Es fing an zu nieseln. Und wir hatten die Entscheidung schon gefällt:  Ab Rostock mit der Bahn ist auch OK für’s erste. Als Belohnung für das schwächeln gönnten wir uns auch noch eine reizende Begleitung für unseren Tag in Rostock (ich hatte Kaki ja auch schon ewig nicht gesehen!).

Lieger am MeerZunächst posierten wir mit den Rädern noch auf der Seebrücke, dann folgten wir diesmal dem Ostsee-Küsten-Radweg durch den Wald in Richtung Rostock. Nicht schnell, aber schön. Zwischendurch wetterten wir den ersten Regen unter Bäumen ab, auch Lars berichtete von durchfahrenen Schauern. Halbwegs trocken ging es weiter, doch kaum hatten wir Rostock erreicht, erwischte uns doch noch ein heftiger Schauer. Wir warteten an einer Tankstelle das Schlimmste ab. Dreck triefte von den Rädern. Und weiter gings zur Stubnitz, wo wir uns mit Kaki trafen. Da sie zu Fuß unterwegs war fuhren wir langsam neben ihr her ins Zentrum, wo wir uns ein Mittagessen und eine ausgiebige Unterhaltung gönnten. Danach noch ein Eis und dann mußten wir auch schon zum Bahnhof.

Sysadm.in by Train...Der Zug durchfuhr auf dem Weg nach Berlin einen Schauer nach dem anderen. Wir waren heilfroh drinnen zu sitzen. Drei Stunden Fahrt und wir stiegen am Südkreuz aus.

Nur Lars war tapfer ungeachtet des Wetters über 200 Kilometer bis nach Hamburg gefahren. Wir hatten abgekürzt. Erheblich. Aber wir hatten einen schönen Tag in Rostock – ist doch auch was!

Einmal Ostsee und zurück: Tag der Helden

Morgens um 06:40 Uhr sollte der Wecker klingeln – doch ich kam ihm zuvor und wachte ungewohnterweise bereits morgens um 06:35 Uhr auf. Das muß eine Art innere Angst sein, daß mich sonst der Wecker wecken könnte, sonst würde ich nie um solch eine Uhrzeit aufwachen. Die Taschen waren gepackt, ich zog die Fahrradklamotten an und füllte die Getränkevorräte auf. Alle Taschen wurden am Rad befestigt, dann ging es auf zum Hauptbahnhof. Treffen mit Manuel um 07:50 Uhr.

Um 07:49 Uhr (das nenn ich Timing!) rollte ich in die Vorhalle des Hauptbahnhofs. Da Manuel nicht ganz pünktlich war entschied ich mich, die Fahrkarten bereits zu kaufen. Leider überlistete mich die Nutzerführung des Fahrkartenautomaten und ich hielt anstelle von zwei Fahrkarten und zwei Fahrradkarten drei Fahrkarten und eine Fahrradkarte in der Hand. Manuel tauchte in diesem Moment auch auf, kurz nach acht Uhr – der Zug sollte um 08:14 Uhr gehen. An der Information verwies man mich zum Tausch der Fahrkarte auf das Reisezentrum im ersten Stock. Manuel wartete beiden Rädern, ich tauschte die Fahrkarte um. Elf Minuten nach acht. Die Fahrstühle zu unserem Gleis reden immer erstmal eine Weile, bevor sie die Türen öffnen. Unser Zug steht bereits zur Abfahrt bereit. Mit großer Eile erreichen wir noch das erstaunliche volle Fahrradabteil. Sitzplätze sind mit einem Liegerad ja zum Glück kein Problem, sowas hat man ja immer dabei…

In Fürstenberg (Havel) steigen wir aus und können endlich losfahren. Die Sonne scheint, die Temperatur steigt langsam in angenehme Regionen. Wir pedalieren in Richtung Norden, als nächstes steht Neustrelitz auf dem Plan.

Frühstück am WegesrandIrgendwo zwischen Fürstenberg und Neustrelitz fällt plötzlich Manuels Tacho aus. Nach kurzer Fehlersuche ist der Grund klar: Das Kabel zum Sensor war wegen des langen Federwegs der Gabel am Vorderrad so großzügig verlegt, daß es im eingefedertem Zustand den Reifen berührte – und so durchgeschliffen war. Da war auf die Schnelle nichts zu wollen, also ging es weiter.

In Neustrelitz versorgten wir uns an einer Tankstelle mit ein paar Updates für das anstehende Frühstück, dann ging es weiter in Richtung Penzlin. Kurz hinter Neustrelitz bogen wir von der B193 kurz in einen Wirtschaftsweg ab, settelten unsere Räder in den Schatten und uns daneben und genossen ein Frühstück. Anschließend fuhren wir weiter auf der Bundesstraße 193 bis Penzlin (nächste Tanke: Entsorgung und eine Bionade) und bogen auf die B192 ab nach Waren/Müritz ab. Keinem von uns war klar gewesen, wie hügelig Meckelnburg-Vorpommern so sein kann – und Manuel begann langsam zu spüren, daß ich ihm eine Saison (plus Wintertraining) auf dem Liegerad voraus war.

Während sich Autofahrer eher über die langsamen Hindernisse auf ihrer Straße ärgerten erlebten wir bei Klein Plasten begeisterte Zustimmung zu unseren seltsamen Fahrzeugen: Ein parallel fahrender Güterzug hupte und der Lokführer winkte uns zu!

Kurz vor Waren beschlossen wir gemeinsam, daß Manuel die Strecke bis Rostock besser mit der Bahn zurücklegen sollte. Telefonisch leiteten wir Lars dann zum dortigen Stadthafen um. Ich winkte Manuel noch einmal zu, während er auf den Zug wartete und ich auf der anderen Seite des Bahnhofs meinen Weg über Teterow nach Rostock antrat. Dann war ich alleine auf der Strecke. Fast 100km bis Rostock lagen noch vor mir. Die Hügel wurden langsam anstrengender. Immer nur 30-50 Höhenmeter, aber die dafür in ständiger Wiederholung.Ventus on Tour

Die Sonne glühte über mir, die Hitze flirrte über dem Asphalt. Ich fuhr zwischen grünen Feldern und dem gelben Raps hindurch (“Teletubbies gone Yellow“) und versuchte hochzurechnen, wie lange ich noch brauchen würde. Ich hörte auf die Steigungen zu zählen. Ich wollte zum Meer. Das letzte Stück mußte also eine Abfahrt sein. Das sagte ich mir immer zum Trost, wenn der Höhenmesser im GPS schleppend aufwärts zählte. Und ich machte meinen zweiten großen Fehler an diesem Tag (zum ersten kommen wir später…) – beim fast tranceartigen Pedalieren ließ ich mich hinreißen von den Landschaften, vom Ehrgeiz, die nächste Steigung zu schaffen, vom Gefühl, das nächste Gefälle mit mehr als 50 km/h bergab zu schießen … und vergaß zu essen. Ich mißachtete die Warnzeichen meines Körpers, daß die Kohlehydratversorgung nicht mehr optimal war. Und dann, an einer Bushaltestelle stieg ich vom Rad, mit zitternden Knieen. Die drei Schritte in den Wald zum Pinkeln waren eine Anstrengung. Ich wusch meine Hände. Dann erstmal zwei Powerbars, einen halben Liter Zitronentee und noch etwas Wasser reinziehen. Fünf Minuten im Schatten sitzen neben dem Rad. Dann fingen die Super-Zündis an zu wirken (sprich: Der erste Zucker aus den Powerbars und dem Getränk richtete mich wieder auf). Drauf auf’s Rad, den Schub ausnutzen. Ich ärgerte mich über mich selbst, über diesen dämlichen Fehler.

Ich kam meinem Ziel schon zum Greifen nahe, Rostock war zum Greifen nahe, beging ich Fehler Nummer drei an diesem Tag: Ich folgte bei Laage nicht der Bundesstraße, sondern einem ausgeschilderten Radweg. Kleine Siedlungen, der Weg schlug Haken, die Beschilderung setzte sich nicht sinnvoll fort. Ich mußte mich durchfragen. Schotterwege drückten meinen Schnitt, ich hatte das Gefühl, nicht mehr vorwärts zu kommen. Warum hörte ich nicht auf meine innere Stimme, warum folgte ich nicht dem GPS? Jetzt war es zu spät, jetzt mußte ich das durchstehen. Und endlihc kam ich wieder auf die Bundesstraße. Und nach Rostock hinein. Schnell runter zum Hafen – und dort saßen Lars und Manuel schon total entspannt und warteten auf mich.

Ich wollte eine kleine Pause einlegen und so gab es Fischbrötchen für alle als Wegzehrung für die letzten 25km von Rostock nach Graal-Müritz. Mit drei Liegerädern durch den Stadthafen zu rauschen machte schon Spaß, wir hatten durchaus Publikum. Dann ging es dem ausgeschilderten Radweg nach Graal-Müritz nach, aber irgendwo müssen wir eine (schlecht ausgeschilderte…) Abzweigung verpaßt haben, denn unser kleines Geschwader schoß in geschlossener Formation durch den Industriehafen. An dieser Stelel vertraute ich dann doch lieber dem radwegrouting der Openstreetmap auf meinem Garmin und wir waren in Lürze wieder auf ordentlichen Straßen bzw. radwegen unterwegs und näherten uns dem Ziel.

Bei einer kleinen Pinkel- und Umziehpause (es wurde mittlerweile kühl und zu dunkel für die Sonnebrille) flitzte eine Skaterin an uns vorbei – und es kam keine der üblichen Fragen und so konnte ich nur mit einem überraschten “Nein” kontern. Nicht die Frage nach der Bequemlichkeit, dem Preis, ob es selbstgebaut sei und man nicht umfiele – nein, einfach nur: “Cordes?” (für nicht-Liegeradler: Jan Cordes ist einer der renommiertesten Liegeradhändler in Deutschland).

Held des TagesIn Graal-Müritz angekommen steuerten wir, gewarnt bezüglich der Öffnungszeiten, den nächsten Italiener an und sorgten für ein Abendessen. Die Nudeln mit der Bezeichnung Diavolo sind auch wirklich scharf – so lob ich mir das!

Anschließend galt es, unsere Herberge zu finden. Wir fuhren grob in die Richtung, schlugen ein paar Haken und als ich gerade die von Jörn zur Verfügung gestellte Karte studieren wollte rief selbiger auch schon an an lotste und dank Live-Tracking gezielt an die richtige Stelle. Manchmal ist die moderne Technik eben doch für irgendwas gut!

Endlich angekommen parkten wir die Räder an sicherer Stelle und breiteten uns aus. Eine der ersten Aktionen war das Anheizen der Sauna – die hatten wir uns verdient! Sowohl Lars (227 km) als auch ich (201 km) hatten unsere Etappenrekorde aufgestellt und auch Manuel war in Anbetracht der mißlichen Lage mich als wesentlich trainierteren Fahrer vor sich zu haben und noch ein wenig von einer Ohrentzündung geschlaucht zu sein tapfer gefahren.

Nach einem gemütlichen Abend und einem langen Tag ging es gegen zwei Uhr ins Bett.

Track vom 02.05.2009