Da es sich für den Sommer erstmal mit verlängerten Wochenenden hat, wollte ich Pfingsten noch für eine nette Tour nutzen. So verabredete ich mich mit Michael, der ja seit kurzem auch Speedmachine fährt, zu einer Tour an die Ostsee, genauer nach Stralsund. Fast drei Tage hatten wir Zeit, also optimierten wir die Planung nicht auf einen möglichst effizienten Weg, sondern wollten ruhige, wenn auch zwischendurch vielleicht etwas langsamere Wege genießen.
Samstag, 26. Mai 2012
Berlin – Mescherin
Am Samstag Morgen um neun trafen wir uns auf dem Flughafen Tempelhof. Auf relativ direktem Kurs durchquerten wir die Stadt, fuhren über die Prenzlauer Allee und bogen mit dem Pankeweg auf den Berlin-Usedom-Radweg ein. Bis auf ein paar kleine Stellen – Drängelgitter an Brücken, fiese Sandkuhlen und nicht angeleinte Hunde lassen grüßen – ließ dieser sich gewohnt gut fahren, auch mit den bepackten Rädern. Da wir recht früh dran waren, war auch die Radverkehrsdichte noch sehr eträglich.
Wir drehten eine kleine Stadtrunde in Bernau, entschieden uns aber gegen eine Getränkepause. Nach einem kleine Abstecher auf die Landstraße führt der Weg von Bernau erst über eine Fahrradstraße, wo uns ein hupender Drängler in seiner Blechbüchse verfolgte, dann über einen perfekt asphaltierten Radweg durch die Wälder. Lediglich das Wunder des Föderalismus schmälert den positiven Gesamteindruck, denn wegen der Zuständigkeiten von Bund und Land scheint ein asphaltieren der Auffahrten zu den Brücken, mit denen man die Bundesautobahn überquert verwaltungstechnisch ein dermaßen kompliziertes Unterfangen zu sein, daß man es lieber sein läßt und stattdessen auf eine bewährte Mischung aus Kopfsteinpflaster und Schlaglöchern setzt.
Wo der Berlin-Usedom-Weg den Oder-Havel-Radweg trifft, bogen wir auf diesen in Richtung Oder ein. Zwar ist die Strecke am Finowkanal großenteils nicht asphaltiert, aber dennoch so gut befestigt und verdichtet, daß sie problemlos fahrbar ist. Bis nach Niederfinow, kurz vor dem Schiffshebewerk, kommen wir so weiterhin autofrei voran. Die Sonne scheint und durch die umstehenden Bäume trifft uns der Nordostwind nur sehr abgeschwächt. Eine herrlich ruhige und entspannte Fahrt, die nur kurz durch eine Schraube gebremst wurde, die sich losgerüttelt hatte. Mit einem Griff zum Werkzeug, ließ sich das aber auch schnell beseitigen.
In Niederfinow, direkt am Hebewerk, nach fast 90km machen wir unsere erste Pause. Ein gutes Mittagessen soll uns für den kommenden Abschnitt auf dem Oderdeich stärken, wo uns der Wind vermutlich etwas stärker beuteln wird. Da wir beide keine Lust auf die Landstraße nach Oderberg mit ihren Anstiegen und den Massen an Motorradfahrern haben, entscheiden wir uns spontan – in dem Bewußtsein, daß wir es hier mit Plattenwegen und schlechten Straßen zu tun kriegen – für den Abschnitt des Weges, der südlich des Oder-Havel-Kanals nach Hohensaaten führt. Eine Brücke wartet allerdings mit einer Schiebepassage auf, wenigstens mit (liegeradtauglicher) Schiene. Spontan bedeutet leider auch, daß ich die Arbeiten an der Schleuse Hohensaaten nicht auf dem Plan habe, so daß wir vor der unpassierbaren Baustelle stehen und erst einmal wieder zurück müssen, um über die reguläre Brücke und den Ort zu fahren.
Trotz des beständigen Gegenwindes fährt sich die Strecke auf dem Deich sehr gut, unter diesen Bedingungen spielt das Liegerad sein Vorteile natürlich aus. Am Beginn der ewigen Umleitung des D12 (Oder-Neiße-Radwegs) in Criewen wählen wir die „Umleitung Schwedt“, statt der „Umleitung Criewen“ – das heißt wir fahren weiter an der Oder entlang. Zwar bedeutet auch dies Plattenweg, aber kürzer und ohne Steigungen – für die Nostalgiker ein wunderbarer Ort, um an alte Zeiten mit Fahrten auf der Transitautobahn zurückzudenken.
In Schwedt folgt die nächste Pause, schließlich hatten wir ja in Niederfinow auf den Nachtisch verzichtet. Wir machen es uns im Café gemütlich – und bei Eis und Kuchen frage ich Micha, ob es vielleicht sein könne, daß er einen Platten hat. Ungläubig dreht er sich um – und siehe da: der Hinterreifen hat keine Luft mehr. Zunächst liften wir das Rad provisorisch mit einem Spanngurt am Geländer an, damit wir in Ruhe weiter essen können, ohne daß der Mantel Schaden nimmt, dann wechseln wir den Schlauch. Der Übeltäter war ein Stück Muschelschale: Die Krähen sammeln die Muscheln aus der Oder und lassen sie gezielt auf den asphaltierten Weg fallen, um sie aufzubrechen. Daher ist der ganze Weg voll scharfkantiger Schalen. Ich habe das Gefühl, dieses Wissen breitet sich unter den Vögeln gerade rapide aus, denn irgendwie wird das Problem von mal zu mal größer.
Während man nördlich von Schwedt noch einige Kilometer recht angenehm fahren kann, nimmt hinter Friedrichstal die Qualität des radweges erstmal drastisch ab: Ein holpriger Plattenweg zwingt zu langsamer Fahrt und einigen kleinen Erholungspausen. Zudem sind wir auch mittlerweile so lang unterwegs, daß wir uns demnächst um einen Schlafplatz bemühen sollten. Wir peilen den Campingplatz Mescherin an, wo wir auch problemlos unterkommen. Zum Frühstück lassen wir uns im Alten Zollhaus einige hundert Meter weiter anmelden, wo wir dann auch gleich noch zum Abendessen hingehen. Nach 165km dürfen es ruhig noch ein paar Kalorien sein. Die Frage nach einm Nachtisch wird allerdings aufgrund der fortgeschrittenen Uhrzeit nur mit einem knappen „Nein“ beantwortet. Die Preise hier an der Oder sind allerdings unschlagbar günstig.
Bevor wir uns in die Zelte verziehen, unterhalten wir uns noch mit unseren Nachbarn, wo wir sogar noch auf einen Schlummertrunk eingeladen werden. Ein langer, schöner Fahrtag liegt hinter uns. Micha hatte dem Begriff Liegerad durch das taktische Ausnutzen von Sandlöchern, Fußhupen und Schranken bei langsamer Fahrt durch mehrfaches neben-dem-Rad-Liegen heute allerdings eine Mehrdeutigkeit verpasst, die sich in den kommenden Tagen zum Glück nicht verfestigen sollte.
Sonntag, 27. Mai 2012
Mescherin – Lassan
Als ich früh morgens aus dem Zelt krabbele, stelle ich verwundert fest, daß Micha fast schon mit gepackten Sachen da steht. Trotzdem bringt er die Geduld auf, darauf zu warten, daß auch ich meine Dinge sortiere und wieder auf der Speedmachine verstaue. Wir verabschieden uns von unseren Campingnachbarn und rollen gemütlich (sieht man mal vom kleinen Anstieg ab) zum Alten Zollhaus, wo wir im Sonnenschein auf der Terrasse mit Oderblick ein schönes Frühstücksbuffet genießen.
Anstatt auf den holprigen Plattenweg über Geesow, begeben wir uns in Mescherin direkt auf die B113. Die Straße ist frisch gemacht und die Brücke über die Oder ist wegen Bauarbeiten geschlossen, so daß Sonntag morgens dort keinerlei Verkehr herrscht. Wo hinter Tantow der Oder-Neiße-Radweg seinen Abstecher nach Penkun macht, folgen wir weiter der ruhigen Bundesstraße, bis wir in Krackow wieder auf den D12-Track stoßen. Der ruhige Weg über Sonnenberg und Ramin ist gut fahrbar und lohnt sich gegenüber der direkten Straße nach Löcknitz sicherlich.
Zunehmend bahnt sich der Original-Track seinen Weg jetzt aber über kleine und teils nur schlecht oder gar nicht asphaltierte Straße, bis das ganze ab Hintersee über staubige Waldpfade mit teils sandigen Löchern führt. Ich bin heilfroh, daß ich in der Planung ab Ludwigshof diesem Desaster an Radwanderwegen – oder was man in Mecklenburg-Vorpommern dafür hält – ausgewichen bin und rate jedem Nachahmer, spätestens ab hier dasselbe zu tun: Der Pfad nach Ahlbeck ist irgendwie fahrbar, in etwa wie die Radwegführung davor (die Straße ist Kopfsteinpflaster und auf jeden Fall zu meiden!), ab AHlbeck geht es dann über halbwegs brauchbare Straßen recht gemütlich nach Vogelsang, wo man wieder auf den D12 – aber in Form einer brauchbaren Straße trifft. Auf dieser geht es nach Ueckermünde. Der D12 führt vorn zum Strand mit viel Budenzauber. Wer das nicht braucht, sollte vermutlich lieber den direkten Weg zum Stadthafen nehmen. Dort gibt es einige nette Restaurants – Fischliebhaber kommen hier auf ihre Kosten. Die Platzwahl im Schatten hatte allerdings ihre Tücken. Durch den strengen Wind wurde es bald spürbar kalt, so daß wir nach dem Essen erst eine kurze Aufwärmphase in der Sonne benötigten und dann bald aufbrachen.
Kann man hinter Ueckermünde zunäcchst auf der L31 dem Berlin-Usedom-Radweg bzw. dem Seenradweg folgen, begehen wir an der Stelle, wo die Landstraße abbiegt den Fehler, dies auch weiter zu tun. Katastrophe! Ich habe keine Ahnung, ob und wie gut die B109 als Alternativstrecke via Ducherow mit dem Rad fahrbar ist, die Radwanderwege sind jedenfalls eine Zumutung. Nachdem wir – eher zufällig – den „Radweg“ neben der unbenutzbaren ehemaligen Kopfsteinpflasterstraße entdeckt haben quälen wir uns teils durch sandige Löcher bis Bugewitz. Ab dort sind wir fast schon froh über den Plattenweg fahren zu können. Landschaftlich schön, aber wegen der unzureichenden Wegqualität bleibt kaum Zeit, das zu genießen. Ab Bargischow gibt es direkt geradedurch bis Anklam eine neu gemachte Straße, die wir dann anstatt des Berlin-Usedom-Weges bis Anklam nutzen. Wenigstens etwas Erholung!
Anklam selbst zeigt sich bei der Einfahrt von seiner eher trostlosen Seite und ich bin nicht sicher, ob es eine andere hat. Am Markt gehen wir zur Eisbar, hier ist man stolz auf eine lange Historie seit der Einrichtung als HO-Gaststätte. Das Eis ist gut, ansonsten dürfte der Charme teilweise eher den eingefleischten Ostalgiker ansprechen.
Wenige Kilometer hinter Anklam weichen wir von der geplanten Route ab und fahren erst am begleitenden radweg, dann direkt auf der B110 bis Murchin, dann auf der K32 nach Lassan, wo wir uns einen Campingplatz ausgesucht haben. Dieser ist nett gelegen, wir kriegen noch ein wenig was vom Grill und machen später noch einen Spaziergang zum Hafen und zu einem kleinen Aussichtsturm am Peenestrom, von dem wir mit unseren Stirnlampen nach Rankwitz rüberleuchten, wo meine Eltern mit der Andante festgemacht haben und unsere Blinkzeichen sehen.
Montag, 28. Mai 2012
Lassan – Stralsund
Da wir um kurz vor halb fünf nachmittags in Stralsund den Zug kriegen müssen und nicht hetzen wollen, haben wir das Frühstück auf halb neun festgesetzt: Meine Eltern sind mit der Andante aus Rankwitz früh morgens herübergekommen und erwarten uns schon im Hafen. An Bord werden wir vorzüglich versorgt.
Über kleine Wege schummeln wir uns aus Lassan heraus, fahren über die mit eher mäßiger Qualität gesegnete K30, nehmen einen Plattenweg (der letztlich keine spürbare Verschlechterung zur Straße darstellte) als Abkürzung zur L26 und folgen dieser bis zur B111. Die wenigen Kilometer auf der stark befahrenen Bundesstraße bis Pritzier sind etwas stressig, ab Pritzier geht es auf der gut zu fahrenden L26 weiter, wo wir hinter Katzow wieder auf unseren ursprünglich geplanten Track treffen.
Bis Wieck läuft alles gut, wir gönnen uns dort eine kleine Getränkepause, fahren auf die Mole. Ich war ja auf diversen Segeltörns bereits hier und es kommt fast ein wenig Sehnsucht nach den Segelzeiten auf. Von Wieck fahren wir entlang der Ryck auf einem gut fahrbaren, wenn auch nicht asphaltierten Radweg bis Greifswald. Der Plan ist, ab hier dem D2 nach Stralsund zu folgen.
In Neuenkirchen folgen wir unserem Track – doch dort, wo es aus dem Ort herausgeht, führt der Weg plötzlich über eine unbefestigte, löchrige und sandige Straße. Das ist keine Option. Auf der Karte sehe ich eine parallel zu B105 führende Straße, auf die der Radwanderweg bei Mesekenhagen ohnehin wieder trifft. Zu unserer Freude ist die Straße durch die parallele Bundesstraße nahezu unbefahren und hat einen schönen glatten Asphalt, was ich auch übermütig bemerke.
Übermütig deshalb, weil ab hier die echte Katastrophe anfängt: Schon kurz nach meiner Bemerkung endet der Asphalt und die Straße wird zur Kopfsteinpflasterhölle. Auch dort, wo der offizielle Radweg wieder darauf einbiegt. Kilometer um Kilometer – am Ende fast 20 – ruckeln wir uns langsam dahin. Erst mit der Einfahrt nach Stralsund kommen wir wieder auf eine asphaltierte Straße. Die Bundesstraße an dieser Stelle ist mit dem Rad lebensgefährlich – Leitplanken an beiden Seiten, eng und stark befahren. Ein Schild weist 30 km/h als Mindestgeschwindigkeit in die eine Richtung, in die andere sogar eine Kraftfahrstraße aus. Und es gibt quasi keine sinnvoll parallel laufenden Alternativen.
Zu meinem Erstaunen kommen wir dennoch fast zwei Stunden vor Abfahrt unseres Zuges in Stralsund an, so daß wir am Hafen noch essen und auf dem Markt nach Eis zu uns nehmen können, nebst obligatorischem Molenfoto.
Der gebuchte IC ist quasi leer, wir haben die einzigen beiden Räder. Im Entlastungs-IC gibt es leider weder eine Klimaanlage, noch gibt es ein Bistro oder auch nur einen Servicewagen oder Automaten mit Getränken, so daß es bei den vielen Betriebshalten ziemlich warm wird. Aber dafür ist es leer und da der Zug bis Berlin nur noch in Neubrandenburg hält, ändert sich daran auch nichts.
Ab Gesundbrunnen fahren wir noch ein kleines Stück gemeinsam, bevor dann jeder seinen Heimweg einschlägt.
Fazit
Brandenburg
Ab der Berliner Stadtgrenze bis nach Niederfinow kommt man auf wunderbaren Wegen, quasi bis auf wenige kleine Ausnahmen komplett autofrei. Ab Niederfinow kann man je nach Gusto die Landstraße nehmen oder muß etwas schlechtere Qualität in Kauf nehmen, wenn man weiter weitgehend unbelästigt vom motorisierten Verkehr (hier sind eher die Motorradfahrer am Wochenende der stressende Faktor) bis zur Oder kommen will. Der Oder-Radweg ist im wesentlichen schön, wenn auch beide Umleitungsoptionen vor Schwedt nicht besonders toll sind. Hinter Schwedt, vor Garz wird es dann auch nochmal lästig auf dem Plattenweg.
Mecklenburg-Vorpommern
Mecklenburg-Vorpommern rühmt sich an vielen Stellen mit seinen vielfältigen Angeboten, das Land per Fahrrad zu entdecken. Das ist ein Hohn. Man kann Mecklenburg-Vorpommern, folgt man zum Beispiel den Radweit-Strecken bequem als Reiseradler durchqueren. Will man das Land, das ja durchaus vielfältige und schöne Natur bietet, aber mit dem Rad entdecken und greift dabei auf die ausgewiesenen Radwege zurück, fragt man sich irgendwann, was sich die Planer dabei gedacht haben. Wann immer wir offiziellen Radrouten folgten, hatten wir es mit katastrophalen Wegen zu tun. Ich bin ein Mensch, der – auch dank der vollgefederten Speedmachine – nicht allzu anspruchsvoll ist, was die Qualität des Untergrundes angeht. Ich fahre auch gerne mal auf nicht asphaltierten Wegen, so sie denn gut befestigt sind – es ist nicht nötig, durch Naturschutzgebiete dicke Asphaltbänder zu ziehen. Aber für einen Radwanderweg, also eine Strecke, die mit einem bepackten Fahrrad, vielleicht auch teilweise von älteren Mitbürgern, genutzt werden soll, verbieten sich enge Waldwege, auf denen Begegnungen zum Abenteuer werden, mit Schlaglöchern gespickte Schotterpisten, Trampelpfade mit Sandkuhlen und ausgedehnte Kopfsteinpflasterpassagen ohne wenn und aber. Mecklenburg-Vorpommern ist dünn besiedelt, an vielen Stellen gibt es einfach keine Alternativen zu den ausgewiesenen Radrouten bzw. sind diese Alternativen dann stark befahrene Bundesstraßen, die nicht einmal einen begleitenden Radweg bieten. Jeder einzelne der ausgewiesenen Radwege hat uns spätestens nach ein paar Kilometern wieder durch die desaströse Infrastruktur enttäuscht. Traue ich schon grundsätzlich den offiziellen Radrouten nur mäßig über den Weg, so kann ich für dieses Bundesland nur sagen: sie sind ein Garant für Ärger. Zur Planung greift man hier am besten auf Landesstraßen zurück. K-Straßen sind oft in erbärmlichem Zustand, Bundesstraßen nur in Einzelfällen zu befahren, was dem starken Verkehr, teils aber auch der hohen Aggressivität der Autofahrer geschuldet ist.