Amsterdam – Hoek van Holland

Um genügend Zeit zum Packen zu haben und den Urlaub nicht im Stress zu starten, habe ich mich für eine Anfahrt am Sonntag entschieden. Start ist um kurz nach halb zehn ab Gesundbrunnen, der Zug ist dann um kurz vor fünf am Nachmittag in Amsterdam. Einen Start ab Berlin hatte ich diesmal nicht geplant, da ich ja bereits in den letzten beiden Corona-Jahren nur in Deutschland unterwegs war und diesmal gleich mit schöner Fahrradinfrastruktur und tollen Eindrücken beginnen wollte.

Eine Person steht mit einem Liegerad bei blauem Himmel auf dem Bahnsteig
Fertig zur Abfahrt

Die Zugfahrt verlief reibungslos, bis ich in Amsterdam den Bahnhof verlassen hatte, war es kurz nach siebzehn Uhr. Während der Fahrt hatte ich ein Hotel in Hoek von Holland direkt an der Hoeksveer (Fähre) gebucht und damit nach Plan 91 Kilometer auf einer Route, die von Amsterdam zunächst direkt ans Meer und dort dann südlich führte, vor mir.

Der Start in Amsterdam verlief gut, bald war ich aus der Innenstadt raus und fuhr neben der Bahnlinie nach Haarlem. Die Umleitungsschilder auf holländisch waren für mich wegen der Ortsnamen nicht klar zu verstehen und so hatte ich Spaß mit einem geschlossenen Bahnübergang und der Tatsache, dass an der nächsten der wenigen möglichen Querungen – einem Bahnhof – beide Aufzüge an der Überführung außer Betrieb waren und es hieß tragen bzw. die enge seitliche Schieberinne nutzen.

4 Radfahrer mit orangen T-Shirts auf einem breiten Radweg
Pulk von Radfahrern auf dem Heimweg von F1 GP

Nachdem ich mich aus dem Wohngebiet, in das ich geriet, heraus gewunden hatte und wieder auf meinem geplanten Track war, kam die nächste Überraschung: Mein Track führte nah am Formel-1-Parcours vorbei, an dem gerade eine Veranstaltung zu Ende war. Und so strömten mir tausende Menschen in orangen T-Shirts auf ihren Rädern entgegen. Als ich am Veranstaltungsort vorbei war fuhr ich dann viele Kilometer durch die Dünen mit dem Pulk, was mich abermals bremste. Ich hoffte mein Hotel bis 21 Uhr zu erreichen, damit der Checkin noch klappte.

Ein gepflasterter Radweg in den Dünen bei Sonnenuntergang
Sonnenuntergang in den Dünen

Hinter Leiden wurde es ruhiger und hinter Den Haag hatte ich den Weg nahezu für mich alleine, allerdings war die Sonne mittlerweile untergegangen und es wurde dunkel. Ich kam um 21 Uhr am Hotel an und der Checking klappte problemlos. Allerdings musste ich schnell in die Stadt, denn zwischen 21:30 Uhr und 22:00 Uhr schlossen alle Restaurants, so dass ich mich beeilen musste, um noch etwas zu essen zu finden.

Entgegen sonstiger Gewohnheiten duschte ich also nach dem Essen und fiel dann müde ins Bett. Der Wecker stand auf sieben Uhr früh, damit ich Zeit hatte, zu frühstücken, alles zu packen und die Fähre um neun Uhr morgens zu erreichen.

Hoek van Holland – Blankenberge

Um siebe Uhr ging der Wecker und ich packte die wesentlichen Dinge zusammen, bevor ich das Haus verließ und zum Partnerhotel im Ort zum Frühstück ging. Anschließend lief ich wieder zurück und packte den Rest, sattelte das Rad und checkte aus. Ich war somit etwas zu früh an der Fähre.

Die Überfahrt durch den Rotterdamer Hafen dauert etwa 50 Minuten und ist wie eine kleine Rundfahrt durch die Container- und Öl- und Gasterminals. Nach dem Verlassen der Fähre, die nur Personen und Radfahrer mitnimmt, verläuft die Strecke noch durch die Hafenanlagen, bis man sehr plötzlich dann im Grünen ist und über ruhige Wege, die oft dem Radverkehr vorenthalten sind, weiter in Richtung Süden fährt. Die Küste ist in diesem Abschnitt eher selten zu sehen.

Küstenradweg in den Niederlanden

Erst am Haringvliet- und Bouwersdam zeigt sich die See wieder kurz, ich überlege noch baden zu gehen, aber wegen der Straßennähe sind mir die Strände zu voll, um derweil mein Gepäck und Wertgegenstände unbeaufsichtigt am Strand zu lassen. Die weitere Strecke bis Neeltje Jans geht abseits der Küste entlang, bis man sich dann von hinten den Deltawerken nähert.

Nach dem Verlassen der Deltawerke, wo ich ein kleines Mittagessen in Form von Fischsuppe und Waffel aß, geht es via Middelburg weiter zur Fähre in Vlissingen, die Radfahrer und Fußgänger in 20 Minuten über die Scheldemündung bringt.

Sonnenuntergang über dem Meer

Nach der Fähre fürt die Route über den Küstenweg durch die Dünen und ist sehr schön, doch bald schon erreiche ich Belgien, wo die Wegequalität merklich schlechter ist. Dafür geht es wieder durch stärker bebautes Gebiet und ich merke, dass meine Energievorräte sich neigen, plane als für eine Unterkunft hinter Seebrügge.

Beim Verlassen von Seebrügge ist es dann soweit, plötzlich bin ich wie ausgeschaltet, komme kaum noch voran. Ich buche für den nächsten Ort, Blankenberge, ein Hotel. Dieses beziehe ich und folge der normalen Abendroutine: Duschen, einkaufen, kleiner Spaziergang, essen, Bett.

Blankenberge – Wissant

Da ein Meer ja nur dann als wirklich erreicht gilt, wenn man auch mal drin badet, habe ich den Morgen eben so begonnen: Vor dem Frühstück ging ich um 07:30 Uhr zum Strand, der um diese Zeit noch menschenleer war, und stieg ins kühle Nass der Nordsee. Da ich nicht sicher war, ob noch ablaufendes Wasser war, blieb ich in einem Bereich, in dem ich sicher stehen konnte, schwamm aber doch einige Meter hin und her. Anschließend duschte ich im Hotel und machte mich fertig fürs Frühstück um 08:30 Uhr.

Küstenboulevard in Belgien

Da mich der Tag ja von Belgien nach Frankreich führen sollte, genoss ich das üppige Frühstücksbuffet, bevor ich meine Sachen packte und mich bereot machte für die Abreise. So ging es nicht allzu früh auf’s Rad.

Bis auf ein kurzes Stückchen hinter Blankenberge durch die Dünen führte mich die Fahrt zunächst über Straßen mit schmalen Radstreifen in mäßigem Zustand, der Vergleich zu den Niederlanden ist in Flandern bestenfalls auf sprachlicher Ebene erlaubt, sonst ist Belgien dichter an Frankreich.

In Oostende gab es im Hafen noch eine kleine (kostenlose!) Fährfahrt und zwischen den leider ziemlich zugebauten Boulevards an der belgischen Küste begegnete mir immer wieder die “Kusttram”, die Küsten-Straßenbahn. Auf einigen Fahrten abseits der Küste schickte mich mein Routing auf Wege, die zwar in OSM (offensichtlich in ausreichender Qualität), nicht aber in der Realität existierten. Die Umwege hielten sich aber zum Glück in Grenzen.

Apropos Grenze: die Grenze zu Frankreich machte sich durch den Beginn eines Bahntrassenradweges bemerkbar, der mit nur kleinen Unterbrechungen bis nach Dunkerque verlief. Gesättigt vom Frühstück durchquerte ich die Stadt und legte als Minimalziel Calais fest. Leider missachtete ich die strikten Essenszeiten in Frankreich und so kam ich erst nach guten 100km um 15 Uhr zu einem Restaurant. Dieses hatte zwar offen, aber die Küche war zu, so dass ich lediglich ein Dessert und jede Menge Getränke zu mir nehmen konnte.

Plattenweg und Hügel

Calais wollte ich schnell hinter mir lassen. Bei der Ausfahrt aus der Stadt kam ich am Eingang des Eurotunnels vorbei, die mit mehrfachen Zaunreihen und jeder Menge Natodraht gesichert ist. Leider war ich hier auf einer stark befahrenen Straße ohne Radweg unterwegs, von der ich mich erst später entfernte. Auch wurde das Gelände hügeliger, was mir Steigungen von bis zu 10% einbrachte, bevor ich Wissant erreichte. Aufgrund von passender Infrastruktur (Supermarkt, Restaurants, Hotels) und nahenden Regeens sollte dies mein Tagesziel werden-

Die gewohnten Zeitfenster für offene Restaurants und Küchen schein hier im Norden andere zu sein, schon um 20 Uhr war es nahezu unmöglich, zum Essen einzukehren. Dennoch fand ich das eine Restaurant im Ort, das mich vor der Katastrophe bewahrte, abends nichts mehr zu essen zu bekommen, wenn man tagsüber jenseits der 4000kcal gegen den Wind verballert hat.

Wissant – Dieppe

Mit dem Frühstück ließ ich mir Zeit, draußen hatte der Wind aufgefrischt und trieb dunkle Wolken über das Land. Die kommenden Etappen würden hügelig, soviel war klar. Und an Tag vier der Fahrt merkte ich die ungewohnte Belastung und meinen nach Corona schlechten Trainingszustand schon vor dem Losfahren.

Wolken ziehen über die Landschaft

Als es endlich losging, erwischte mich der erste Schauer noch im Ort, ich stellte mich einige Minuten unter, dann war das Schlimmste vorbei und ich fuhr bei nur leichtem Getröpfel los. Nach 10 Minuten war es wieder trocken, doch der Wind blieb. 20km/h bis 25km/h aus Südwest – und meine Strecke führte abwechselnd nach Süden oder Westen.

Dann folgte ich auch noch der offiziellen Radwegführung. Damit war ich nicht mehr auf der Landstraße unterwegs, die halbwegs befahren war, die Autofahrer waren aber durchgehend vorsichtig beim Überholen. Stattdessen fuhr ich über kleine Wirtschaftswege mit teils kräftigen Steigungen bis zu zehn Prozent. Keine Radroute für jeden.

Bunte Häuser an der Küste

Nach 15km gegen Wind und Steigungen fühlte ich mich ziemlich fertig, allein die Tatsache, dass es noch recht früh war, ließ mich daran glauben, wenigstens 50 Kilometer zu schaffen. Doch das Wetter besserte sich und an einigen Stellen ignorierte ich mein Routing entlang des offiziellen Eurovelo 4 und bevorzugte die Straße. Einen echten Flow hatte ich bestenfalls zeitweise, aber es ging voran.

Nachdem ich an einer Creperie im Hafen vorbeigefahren war (ca. Kilometer 50), fand ich bei Kilometer 75 eine offene Boulangerie (Bäcker), wo ich ein Sandwwich und ein Getränk erstehen konnte, was ich ein Stück weiter auf einer Bank aß. Langsam reifte der Plan, heute bis Dieppe durchzufahren. Also etwas mehr als 160 Kilometer.

Immer wieder bremsten mich Wind oder Steigungen aus, doch insgesamt ging es voran. Dieppe als größerer Ort hatte auch Infrastruktur zu bieten, die eine Ankunft erst gegen 19 Uhr möglich machte, ohne befürchten zu müssen, keine Getränke oder gar kein Abendessen mehr auftreiben zu können.

Steilküste in Dieppe

Die letzten 20 Kilometer kam ich nur noch schleppend voran, aber die Aussicht auf das Ziel und eine mögliche Erreichbarkeit der Gegend um Le Havre am Donnerstag gaben mir Kraft. Und so kam ich wirklich um 19 Uhr in Dieppe an, fand ein Hotel, einen Supermarkt und ein Restaurant mit Nudelversorgung, Und ich warr glücklich und stolz, das geschafft zu haben, auch wenn mir mein Körper in den kommenden Tagen eventuell mitteilen wird, dass ich hier an die Grenze meiner momentanen Leistungsfähigkeit gegangen bin.

Dieppe – Dieppe

Ich hatte ausgeschlafen und konnte den Morgen mit einem ausgiebigen Frühstück beginnen. Ich hatte noch auf dem Plan, wegen eines kleinen Problems mit der Schaltung beim Radhändler im Ort vorbeizuschauen, der aber erst um 10 öffnete, aber ich hatte ja auch nur ca. 125km auf dem Plan.

Bahnradweg hinter Dieppe

Der Radhändler nahm sich Zeit und konnte mein Problem lösen, so machte ich mich gegen halb elf auf den Weg. Ein wenig durch die Stadt, auf der Landstraße raus und dann ab auf den Bahntrassenradweg. Wunderschön, die kleine Steigung am Anfang lief auch problemlos, der gestrige Tag hatte wohl keine allzu schlimmen Auswirkungen gehabt.

Irgendwann spürte ich, dass ich einen Platten hatte. Es hatte leicht geregnet, aber ich konnte unter Bäumen im halbwegs trockenen halten. Ich holte den alten Schlauch raus, lokalisierte die Problemstelle und machte den neuen Schlauch rein. Leider baute der Reifen keinen Druck auf – ich hatte ihn beim Reindrücken des Reifens beschädigt. Also den gerade entfernten Schlauch flicken und nochmal tauschen. Dann konnte es endlich weiter gehen.

Reifen flicken. Mehrfach. Akkupumpe regelt.

Nur wenige Kilometer später der nächste Platte. Zuerst dachte ich, der Flicken hätte nicht gehalten, aber es war ein weiterer Splitter Muschelkalk. Ich flickte also einen weiteren Schlauch, untersuchte den Reifen, aber schon beim Aufpumpen an wieder anderer Stelle ein Problem. Diesmal untersuchte ich den Reifen viermal von innen und außen und pulte diverse Muschelsplitter heraus, die sich offensichtlich auf dem glatten Asphalt des Radweges ihren Weg durch den Mantel arbeiteten.

Beim Aufpumpen fiel mir dann eine Stelle am Reifen auf, wo ein größeres Stück die Karkasse beschädigt hatte und sich nun der Schlauch nach außen drückte. Also ließ ich sofort die Luft ab und flickte den Reifen notdürftig von innen mit einem Schlauchflicken.

Da die ganze Aktion sehr viel Zeit gekostet hatte und vor mir noch gute 100km ohne Orte mit nennenswerter Infrastruktur lagen, beschloss ich, umzukehren und nach Dieppe zurückzufahren. Radladen, Decathlon und Bahnanschluss garantierten hier genügend Möglichkeiten, das Problem irgendwie zu lösen.

Fischerboote im Hafen von Dieppe

In Dieppe steuerte ich zuerst den Decathlon an der sich eh fast auf meinem Weg befand. Dort war aber die Auswahl eher mäßig und der Verkäufer verwies mich unter der Hand auf “den anderen Fahrradladen im Ort”, den ich ja von morgens bereits kannte. Ich rief dort an und mir wurde kundgetan, dass ein passender Mantel und Schläuche vorrätig seien. Also stand ich wenige Minuten später dort wieder auf der Matte. Ein 35mm Heavy Duty E-Bike-Reifen ist vielleicht nicht ganz so spritzig, wie mein 28mm Ultraleicht-Modell, dafür aber haltbarer – und ich komme damit definitiv weiter.

Das Hotel von der letzten Nacht war leider ausgebucht, so musste ich im Ort ein anderes suchen. Ich fand eines, zwar etwas teurer, dafür aber direkt am Strand. Ich hatte noch genügend Zeit für einen Stadtrundgang und Galette & Crepes am Abend.