Riding the Beast

Ein Gedanke.

Adrenalin.

Das Biest ruft.

Herzklopfen.

Seit Hamburg-Berlin stand die Rennliege im Keller. Sie ist kein Rad für den Winter. Aber jetzt kommt der Sommer. Es ist warm, lange hell. Heute eröffnete ich meine persönliche Rennradsaison.

Es ist jedesmal wieder wie beim ersten mal. Der Lowracer macht mich nervös. Der Kopf erinnert sich an die ersten Versuche, das Ding zu bewegen. Es ist, wie ein wildes Pferd: Du musst sein Vertrauen gewinnen, dann zeigt es Dir, was es kann. Es wird Dich vielleicht akzeptieren, aber zahm wird es nie.

Als ich nach Hause kam, gönnte ich der Kette etwas Schmierung, den Reifen etwas Luft. Umziehen. Gedanken. Will ich das jetzt wirklich? Mich mit dem flachen Flitzer in den Verkehr wagen? Ist ja ganz schön schwül draußen. Nervosität. Herklopfen. Adrenalin. Egal – los jetzt.

Ich gehe zur Bushaltestelle auf der anderen Seite der Straße, da habe ich schön viel Platz. Der Kopf erinnert sich an die ersten erfolglosen Versuche, mit der Rennliege loszufahren. Aber der Körper, der erinnert sich, wie es geht. Ein Tritt in die Pedale – ohne Schlingern und ohne Probleme fahre ich los. Die Nervosität, die Angst ist wie weggeblasen, Aufregung tritt an ihre Stelle. Locker geht es den Südwestkorso runter. Sanftes Warmfahren mit 35. Ich habe mir vorgenommen, nicht zu übertreiben, nur ganz lockeres Fahren, um mich wieder dran zu gewöhnen.

Ich fahre nur die Krone auf und ab. 40 km/h ist mein Richtwert. Nicht übertreiben. Es macht Spaß. Es ist schön. Ich passe auf, heute niemanden zu provozieren, muß mich erst wieder an die extrem flache Liegeposition gewöhnen. Aber ganz kalt läßt es mich trotzdem nicht, wenn ich an den flotten Rennradlern mit ihren Carbonschleudern vorbeiziehe. Da ist mehr drin, da ist Spielen drin – aber nicht heute.

Nach 60 Kilometern mit einem sanften 35er Tachoschnitt von Haustür zu Haustür komme ich nach Hause.

Hamburg-Berlin 2011

Die Entscheidung es in diesem Jahr auch nochmal mit dem Zeitfahren Hamburg-Berlin zu versuchen, fiel kurzfristig. Sehr kurzfristig, was die Anmeldefrist angeht, aber auch was etwaige Vorbereitung angeht. Das bezieht sich weniger auf sportliche Vorbereitung, meine Urlaubstour Südwest 2011 dürfte da schon nicht ganz verkehrt gewesen sein, als mehr auf Zugverbindung, Unterkunft, erprobte Ideen der Energiezufuhr während des Fahrens auf so einer langen Strecke. Aber dazu später mehr.

Unterkunft hatte ich bei Lars gefunden, der auch an den Start ging und daher mit dem frühen Aufstehen am Samstag Morgen keine Probleme hatte. Oder sagen wir: Durch mich keine bekam, die er so nicht bereits gehabt hätte oder durch @velolars, der auch dabei war.

Um 4 Uhr morgens klingelte der Wecker, müde schlichen wir durch die Gegend. Es gab Frühstück, der Reifendruck wurde kontrolliert und die spärlichen Gepäckstücke zusammengestellt, bis um kurz nach fünf das bestellte Großraumtaxi kam, das uns nach Altengamme bringen sollte. Da mein M5 mit der Heckverkleidung etwas unhandlich ist, dauerte das Einladen etwas länger, alles in allem waren wir erst gegen 6 Uhr in Altengamme.

Das Anmeldezelt war zurm Glück leer, trotz der in diesem Jahr mehr als 270 angemeldeten Starter. Was allerdings auffiel: Das Gras am Rande der feuchten Straße knackte unter den Schuhen, wegen der Eisschicht, die sich auch auf den Straßenbegrenzungspfählen gebildet hatte. Eineinhalb Stunden bis Sonnenaufgang, Kälte, Eis, Nebel. Ich begann mich ernsthaft zu fragen, worauf ich mich da eingelassen hatte – und begab mich erstmal ins geheizte Haus zum Frühstück.

Während das Team aus den beiden Larsen um 06:38 Uhr startete, lag meine Startzeit eine Stunde später, wenige Minuten vor Sonnenaufgang. Nachdem ich die beiden verabschiedet hatte, blieb mir also noch genügend Zeit, mich zu wärmen und auf etwas Licht vor dem Fenster zu warten.

Dieses stieg langsam empor und gab den Blick auf die umliegenden Wiesen frei, die weiß von einem Rauhreif-Schleier unter Nebelschwaden hervorlugten. Als ich um 20 Minuten nach sieben hinausging, um das GPS zu starten und das Rad zum Start zu schieben, zeigte das Thermometer 0°C, es war aber hell genug, als daß ich auf die Nutzung des Frontlichts verzichtete und lediglich das Rücklicht einschaltete für eine bessere Sichtbarkeit von hinten.

Nach dem Start ging es zuerst über die Brücke bei Geesthacht, von dort auf den Elbdeich. Während ich vom vor mir gestarteten Liegerad von David nur noch kurz das Rücklicht sah, überholte ich zumindest ein paar andere Teilnehmer. Die schnellen Gruppen waren meist schon deutlich früher weg und die nach mir startenden Velomobile verzichteten auf den Deich und nahmen lieber die Straßenstrecke.

Das Thermometer bleibt wie festgenagelt auf 0°C, feuchte Schleier liegen über der Landschaft, aber erst als es hinter Hohnstorf über die Felder geht, wird der Nebel so dicht, daß die Autos kaum noch schneller als die Radfahrer fahren – und sich ein nasser Schleier auf allem absetzt: Rad, Kleidung, Brille. Das ist der Zeitpunkt, an dem ich froh bin, daß meine Fahrradbrille tags zuvor kaputt ging und ich das Gestell nur als Halterung für den Spiegel nutze und keine Gläser habe: Selbst vom kleinen Brillenspiegel tropft stetig Wasser. An den Metallführungen der Schaltzüge am Lenker beginnt das Wasser gar zu gefrieren. Meine Hände sind trotz Handschuhen eiskalt. Und als ich eine kurz Pinkelpause einlege, habe ich schon Schwierigkeiten, meine Finger zu bewegen – und rustche auf dem Asphalt der Straße, wo das Wasser auch beginnt zu kristallisieren fast aus. Normales Fahren geht, aber abrupte Brems- oder Lenkmanöver sind hier nicht ratsam.

An den Steigungen bei Hitzacker wird mir richtig warm, aber ich versuche notfalls so langsam hochzufahren, daß ich nicht anfange zu schwitzen, das könnte auf den folgenden Fahrt fatale Folgen haben. Bei einer der steileren Abfahrten stehen 70 km/h auf dem Tacho, das Wasser vom Lenker und bei einer Bodenwelle kleinere Eiskrümel fliegen mir ins Gesicht. Doch langsam lichtet sich der Nebel, die Sonne bricht durch und innerhalb kürzester Zeit steigt das Thermometer, das im Wald auf -1°C gesunken war, auf 3°C bis 4°C. Klingt nicht viel, ist gefühlt aber ein echter Fortschritt.

Ein kleines Problem tut sich allerdings auf: Gerade in Zusammenhang mit der Feuchtigkeit ist das rechte Klickpedal zu locker eingestellt. Zweimal lande ich durch versehentliches Ausklicken – zum Glück ohne Sturz – bei über 35km/h im Gras.

An der Kontrollstelle in Dömitz bin ich 10 Minuten früher als erwartet, ich sollte also im Folgenden etwas Geschwindigkeit rausnehmen. Und ich nehme mir etwas Zeit für die Pause dort, ziehe auch erstmal die Klicks etwas fester an. Meine oberste Priorität heißt ankommen, die zweite bei Licht, die dritte heißt: mal sehen, ob 10 Stunden zu machen sind. Mir fällt allerdings auf, daß ich, obwohl ich weiß, daß ich dringend essen müßte, kaum Appetit habe und mich schwertue, Brot und Banane zu essen. Zur Sicherheheit gibt es noch ein Gel, aber auch das ist natürlich nicht nachhaltig.

Weiter geht es, es rollt gut, sobald ich aus Dömitz raus bin, ich komme mit guter Geschwindigkeit voran, obwohl der Gegenwind langsam auffrischt. Ich bekomme diesen auf dem tiefen Liegerad aber natürlich deutlich weniger zu spüren, als die Aufrechtradler, die dafür in  Gruppen fahren und sich im Wind abwechseln.

Es nähert sich Kilometer 140. Bergfest, Halbzeit! Zwar nicht von der Zeit her, das ist klar, aber ab jetzt zählen die Kilometer im Kopf irgendwie runter. Ich hab mehr gefahren, als noch kommen wird. Fühlt sich gut an. Das Ausklicken fühlte sich allerdings nicht gut an, irgendwie habe ich mein Knie etwas verdreht dabei.

Nach einer Riegelpause in der Sonne geht es weiter und ich spüre das Knie auch beim Fahren. Langsamer. Vergessen wir die zehn Stunden, ankommen ist das Ziel. Am besten aber noch im Hellen.

Nach dem Durchqueren einer Baustelle wird es noch schwerer, als mir eine Gruppe, die kurz vor mir durch die Baustelle lief, gerade entgegenkommt, frage ich, ob da noch eine Sperrung sei. „Nein, wir gehen nur ins Café – wenn Du gewinnen willst, dann solltest weiter fahren!“ Aber ich will nicht gewinnen, ich will ankommen und schließe mich der Gruppe an.

Hinterher geht es zunächst besser. Es geht auf Havelberg zu. Havelberg ist der Punkt für die Entscheidung. Von hier sind es nur ein paar Kilometer bis zum Bahnhof. Hinter Havelberg ist bis Paulinenaue erstmal kein Bahnhof in Sicht – und Paulinenaue ist dann schon gefühlt kurz vor dem Ziel. Meine Gruppe zieht mich durch Havelberg, ich fühle mich bei den Jungs und Mädels gut aufgehoben. Sie sehen es nicht zu verbissen, machen aber auch keine Spazierfahrt. Auf dem Weg nach Berlin. Hundert Kilometer, bekannte Wege. Auch das hilft.

Der physische Windschatten erlaubt mir, zwischendurch immer mal wieder die Beine zu entlasten, wichtiger aber ist der mentale Windschatten, in der Gruppe mitzufahren, Leute zu haben, die mal nach einem sehen und einfach dranzubleiben. Wie im Flug ziehen die Dörfer vorbei. In Paulinenaue, 50km vor Berlin, gibt es nochmal eine kleine Pause, dann geht es über den Radweg nach Nauen und in den Stadtverkehr bei Falkensee und Spandau. Das ist anstrengend, ich spüre die Reserven schwinden, spüre mein Knie bei jeder Kurbelumdrehung – aber es sind nur noch zehn Kilometer, dann fünf. Gatower Straße. Die Sonne geht unter und wir biegen wenige Minuten später am Wassersportheim ein.

Es ist geschafft.

Startnummer vom Fahrrad abmachen, den Stempel holen bei der Zeitmessung. Genau Ergebnisse kommen noch, aber es sind wohl so um die 10:50h. Ich bin wie Trance. Ich erkenne einige Leute vom Morgen wieder, aber zwischendurch werde ich plötzlich von meiner Rennradfreundin Karin begrüßt – die ist nicht mitgefahren, ich hatte sie hier nicht erwartet.

Erst als ich zur Ruhe komme, im Warmen am Tisch sitze, ein Malzbier trinke, eine Suppe esse kommt es über mich. Ein Schwall von Emotionen. Ich hab’s geschafft! Ich hab es geschafft, weil ich den Willen hatte durchzuhalten und weil mir andere Teilnehmer, die ich bis dahin nie gesehen hatte, geholfen haben durchzuhalten.

Ich will das nicht übertreiben: Allein auf dieser Veranstaltung sind am Ende wohl weit über 200 Radler angekommen. Es sind diverse dabei, die fahren 400er oder 600er Brevets, haben Paris-Brest-Paris hinter sich. Ich bin nicht stolz auf mich, weil ich glaube etwas geleistet zu haben, was kaum ein anderer schafft, aber für mich war es die längste Strecke, die ich in meinem bisherigen Leben am Stück auf dem Rad gefahren bin, das auch in respektabler Zeit. Und noch etwas: Im letzten Jahr mußte ich erst meine Nordkap-Reise abbrechen, bin dann wegen der schlechten Bedingungen bei Hamburg-Berlin nicht gestartet. Ich habe jetzt meine Barcelona-Reise hinter mir und schließlich noch Hamburg-Berlin absolviert und komme meinem Jahresziel von 12000km auf dem Rad auch schon recht nah: es fehlen nicht einmal mehr 700km. Auch wenn ich kein abergläubischer Mensch bin, aber das war für mich das Gefühl, einen Fluch gebrochen zu haben.

Hamburg-Berlin: Mission aborted.

Von Anfang an stand fest: Im Regen würde ich Hamburg-Berlin nicht fahren. Auf der Speedmachine wollte ich das nicht und die Rennliege ist dafür einfach nicht gemacht. Fehlende Schutzbleche und eine Geometrie, die Unmengen Schmutz und Wasser vom Vorderrad zwischen die Beine und ins Gesicht befördert. Meine vorhandene Regenbekleidung ist auch eher auf Tourenfahren auf der Speedmachine ausgelegt: die Hose zu weit für die freilaufende Kette am Lowracer, die Jacke mit Reisverschluss vorn neigt zur Pfützenbildung auf dem Bauch in der extrem flachen Position auf der Rennliege. Das geringe Gewicht auf dem Hinterrad führt bei den schmalen Reifen schnell zum Ausbrechen. All dies sind beherrschbare Faktoren, aber mir fehlt dazu derzeit die Erfahrung – und ein 280km Rennen (eine Distanz, die ich vorher nie am Stück gefahren bin!) ist sicherlich nur ein bedingt geeigneter Ort, um diese Erfahrung zu sammeln.

Am Donnerstag verschlechterte sich die Wettervorhersage für den Samstag zusehends, viel Regen und starker Nordost- bis Ostwind waren angesagt. Ostwind bremst, Nordostwind würde seitlichen Druck auf die Verkleidung aufbauen. Am Donnerstag abend hatte ich mich schon fast entschieden, am Freitag gar nicht erst nach Hamburg zu fahren – zu aussichtslos schien mir das Unterfangen.

Freitag besserte sich die Vorhersage für den Samstag wieder. Zwar stand immernoch die Gefahr vereinzelter Regenfelder im Raum, doch damit käme ich zurecht. Die Aussichten beim Wind besserten sich auch, zumindest war nicht mehr Windstärke sieben aus gefährlichen Richtungen die Rede. Ich entschied, nach Hamburg zu fahren und zumindest mal morgens am Start die Situation zu beurteilen.

Am Freitagabend ging es mit dem Eurocity ab Südkreuz nach Hamburg Bergedorf. Ich hatte minimalistisches Gepäck dabei, so daß ich mein Transportproblem durch das Anbinden eines Stoffbeutels außen auf der Verkleidung lösen konnte. Ich traf mich mit einigen Leuten aus der Rennradgruppe und so ging die Fahrt schnell vorüber. In Bergedorf angekommen weigerte sich mein Garmin Edge 705 beharrlich, die Route zum Hotel zu berechnen und so fuhren wir auf einem gefühlten Weg einen kleinen Umweg nach Geesthacht. Die Straßen waren regennaß und meine Windstopperhose, die sonst bei leichtem Regen problemlos einige Zeit durchhält, war nach wenigen Kilometern so voller Matsch und durchnäßt, daß ich spürte, wie der kalte Regen über die Beine auf den Sitz lief – innerhalb der Kleidung. Die Sicht war durch einen Sprühnebel aus Wasser und Straßendreck, der sich auf der (obligatorischen, da Halter für den Rückspiegel) Brille niederschlug eingeschränkt. Die Muskeln wurden trotz flotter Fahrt kalt.

Am Hotel konnten wir die Räder unter einem Vordach anschließen – zum Glück hatten meine Mitfahrer ein Schloß dabei. Das matschig triefende Rad mit ins Zimmer zu nehmen war keine Option. So blieb mir allerdings die Chance verwehrt, die noch immer nicht ganz feste Bastelei der Lampenhalterung nachzuziehen, die Lampe leuchtete auf der Fahrt den Boden vor dem Rad an. Der richtige Halter lag erst seit Freitag Nachmittag bei mir zu Hause. Im Zimmer hing ich Handy, GPS und Lampe nochmal an die Ladegeräte. Meine Klamotten hing ich zum Trocknen auf, die Unterhose mußte ich vorher auswringen. Die Heizung lief sporadisch, der Fön half nur bedingt und eigentlich wollte ich schlafen, die Nacht war kurz. Zu kurz, durch den latenten Geruch nach kaltem Zigarettenrauch fiel mir das Einschlafen schwer.

Nach ca. zwei bis drei Stunden Schlaf quälte ich mich morgens in meine noch immer feuchte Unterhose, der Rest der Klamotten war halbwegs trocken. Ich klopfte den Sand ab, dann ging es raus. Über leicht regennasse Straßen ging es nach Altengamme. Dort wartete schon eine lange Schlange vor dem Zelt mit der Anmeldung. Zwar nieselte es nur leicht (oder kam das Wasser alles von unten), aber der Himmel sah regenschwanger aus, gen Berlin würde es immer nasser werden. Ich meldete mich also nur ab, nicht an. Das Frühstück ließ ich mir dennoch nicht entgehen, ich schaute den tapferen Startern zu, bevor ich kurz nach halb acht in Richtung Bahnhof Bergedorf aufbrach. Den Weg fand ich diesmal besser. Kilometer um Kilometer zog mehr Nässe und Kälte zwischen den Beinen hoch und in einigen Kurven mit nassem Laub spürte das Hinterrad leicht ausbrechen.

Auf der Zugfahrt erreichte mich noch die Nachricht von infolge der derzeitigen Bauarbeiten an meiner Terrasse in die Wohnung unter mir laufenden Wassers. Je näher ich Berlin kam, umso klarer wurde mir, wo diese Menge an Wasser herkam. Zu Hause gönnte ich mir eine Dusche und eine Mütze Schlaf, bevor ich Lars in Gatow abholte. Gemeinsam gingen wir noch etwas essen, waren aber so müde, daß es danach schon bald Schlaf angesagt war.

Nach einem netten Frühstück bei meinen Eltern fuhren Lars und ich gemeinsam noch zum ehemaligen Flughafen Tempelhof. Es herrschte an diesem Sonntag schönstes Wetter, so wie man es sich am Tag zuvor gewünscht hätte. Dennoch drehten wir ein paar eher lustlose Runden, tranken noch einen Tee. Lars besuchte einen Freund, während ich noch zwei Runden fuhr, mich dann aber wegen nochimmer anhaltender Müdigkeit auch wieder nach Hause aufmachte.

Ich hätte die Radsaison gerne noch mit so einem Kracher abgeschlossen – aber nicht unter diesen Voraussetzungen. Schließlich mache ich das ganze zum Spaß – und der kam so nicht auf. Meine Beine verabschieden sich aber so dankbar in die Winterpause. Die Trainingspause durch die Sehnenentzündung beim Somemrurlaub hat mir leistungsmäßig wohl ohnehin den Rest der Saison versaut, jedenfalls spürte ich seitdem meine Beine nach jeder auch nur mittelmäßig anstrengenden Fahrt. Ich glaub, mein Körper will mir etwas erzählen und ich höre auf ihn.

Wenn jemand nette Ideen für einen Ausgleichssport während dieser Zeit hat (nicht: Laufen) … nur zu!

Hamburg-Berlin: Letztes Training

Am kommenden Samstag, den 16.10. findet das Zeitfahren Hamburg-Berlin statt. Das Hotel ist gebucht, die Bahnfahrkarte ausgedruckt, die Startgebühren überwiesen. Das Rad hat Licht, ein neuer Hinterreifen liegt bereit. Was kann da noch schiefgehen? Achja. Der Motor. Genauer gesagt: meine Beine. Die fühlen sich schwer und müde an und fordern die fahrradarme Zeit, das Saisonende, Erholung, Ausgleichssport. Wonach sie nicht so unbedingt rufen ist ein Ausdauer- und Kraftakt zwischen Hamburg und Berlin bei immer geringeren Temperaturen. Aber trotzdem, da müssen sie durch – noch dieses eine mal in dieser Saison.

Am Samstag nach dem Frühstück war ich spät dran, dann plante ich zuerst noch ein wenig die zu fahrende Strecke – und entschied mich dann, diese erst am Sonntag zu fahren. Für den Samstag nahm ich mir dann nur ein paar wenige Kilometer auf dem Kronprinzessinnenweg vor. Ruhiges auf- und abfahren. Keine Steigungen auf der Havelchaussee, keine drängelnden Autos. Beim dritten mal kam mir ein Liegerad entgegen, ein Grasshopper fx mit einer mir unbekannten Fahrerin. Ich fuhr brav meine Rudne zuende, auf dem Rückweg holte ich den Grasshopper ein. Bei einem netten Gespräch ging es dann doch einmal über die Havelchaussee und zurück. Aber ich bin relativ friedlich und langsam gefahren. Am Auerbachtunnel trennten sich unsere Wege wieder und ich fuhr nocheinmal die Krone mit höherer Geschwindigkeit in beide Richtungen ab. Ein weiteres mal sparte ich mir, denn es wurde langsam kühl und dafür war ich nicht gerüstet.

Am Sonntag nach dem Frühstück woltle ich mir die Teilstrecke von Hamburg-Berlin anschauen, die bei Spandau in die Stadt führt. Ich hatte mir eine Route bis Bad Wilsnack aufs Garmin Edge 705 geladen, fuhr jedoch mit der Einstellung los, daß ich ganz ruhig und langsam aus der Stadt fahren wollte, villeicht bis Nauen, Paulinenaue oder Friesack. Durch die Stadt fuhr ich auch wirklich noch langsam, half noch am Bahnhof Grunewald anderen Radlern mit meiner Pumpe aus. Kurz nach dem Einbiegen auf den Track in Spandau startete ich den Trainingsmodus des GPS und zog die Geschwindigkeit etwas an. Zwei Huper hatte ich bis zum Stadtrand, einer, der mich in einer kleinen Straße danach in ca. 20cm Abstand überholte. Zu mienem Bedauern mußte ichan der nächten Ampel feststelen, daß man mit der Faust gar nicht so einfach eine Beule in die Fahrertür eines Autos schlagen kann. Der Opa im Auto drohte mir durch die Scheibe daraufhin Schläge an – bei der Ladung Adrenalin, die ich nach seinem Manöver im Blut hatte möchte ich allerdings sagen, hätte er es auch nur gewagt einen Schritt auf mich zuzumachen wäre das das erste mal in meinem Leben gewesen, daß ich gewalttätig werde. Es gibt Sachen, die gehen einfach gar nicht. Mordversuche auf der Straße gehören dazu. Leider stand ich so unter Strom, daß ich mir das Kennzeichen nicht gemerkt habe. Da hat der alte Sack nochmal Glück gehabt.

Danach ging es raus aus Berlin, die Straßen wurden ruhiger und die Autofahrer friedlicher. Bei relativ gutem Tempo ließ ich es einfach laufen. Ich rechnete nach der Wettervorhersage mit schwachem Ostwind, hatte aber auf einigen nördlich verlaufenden Passagen das Gefühl, daß mir Wind entgegen kam, es kann natürlich auch nur der scheinbare Wind gewesen sein. Das Gelände ist nahezu flach (also es ist flach, aber eben doch nicht platt wie Holland) und dank des Tracks von Georg aus dem letzten Jahr fuhr ich auf ruhigen Straßen und teilweise sogar über einen wunderbar glatt asphaltierten Radweg abseits irgendwelcher Straßen, der dafür hin und wieder mit Drängelgittern nervte, unter denen ich ncihtmal mit dem M5 CrMo Lowracer durchpasste.

Das schöne Wetter ließ die Zeit wie im Fluge vergehen und so lagen Nauen, Paulinenaue und auch bald Friesack hinter mir. Das hieß dann auch, daß ich die Bahnlinie erst wieder bei Havelberg (respektive Glöwen) kreuzen würde, also ging es weiter. Bis Havelberg. Einige Ortsdurchfahrten bremsten meine Fahrt mit unsäglich schlechtem Kopfsteinpflaster, ansonsten war aber stets guter Belag auf den Straßen, nur kleinere ausgebesserte Stücke mit rauher Oberfläche lagen dazwischen.

In Havelberg mußte ich mich entscheiden: Glöwen oder dann jetzt einfach weiter bis Bad Wilsnack? Ich entschied mich für Bad Wilsnack. In Havelberg geht es eine fiese Rampe hinauf (beim Zeitfahren geht es die ja dann glücklicherweise runter!), dann die Abbiegung nach Bad Wilsnack. Und hier erwartete mich das Grauen: Die Straße war sicherlich frisch gemacht, allerdings mit einem rauhen, bremsenden Straßenbelag. Und nicht nur das: Durch diesen Belag hindurch merkt man noch immer jedes Schlagloch, das er wohl eigentlich verdecken sollte. Meine Geschwindigkeit sinkt auf 30km/h, teilweise sogar darunter bei einer gefühlten sehr hohen Anstrengung.

In Bad Wilsnack kehre ich bei der ersten Tankstelle seit Spandau ein. Auch das ein wichtiger Punkt für das Zeitfahren: Nicht auf Verpflegung am Wegesrand verlassen und bei der Tanke in Bad Wilsnack nochmal Wasser bunkern.

Von Bad Wilsnack nehme ich die Bahn zurück nach Berlin. Einen Durschnitt von fast 35km/h (netto) merke ich deutlich in meinen Beinen. Aber ein teil meiner Vorbereitung heißt auch: In dieser Woche gönne ich ihnen Ruhe und eine kleine Auszeit vom ständigen Radfahren.

Streckentest HH-B 10.10.10

Ein Training – zwei Platte

Donnerstag, früher Nachmittag. Ich habe Urlaub, das Wetter ist gut, also denke ich an ein kurzes, intensives Training. Als Strecke soll die bekannte Runde ab Auerbachtunnel herhalten: Krone, Havelchaussee, den Willi rauf, Postfenn, Heerstraße, Waldschulallee. Eine Runde ist mit ca. 21km deutlich zu kurz und so nehme ich mir zwei oder drei Runden vor.

Schon auf der Anfahrt habe ich das Gefühl, nicht richtig in Schwung zu kommen, schiebe das aber zunächst auf den heftigen Gegenwind. Auf der Krone starte ich die Messung an meinem Garmin Edge 705 und auf geht es. Ich tue mich schwer, die beiden Rennradler, die bei meiner kurzen Pause nach dem Einbiegen auf die Krone an mir vorbeirauschten einzuholen. Der Tacho zeigt 34, 35, vielleicht mal 37 km/h. Mein Puls ist bei 170. Die Geschwindigkeit zu niedrig, der Puls zu hoch – keine sonderlich gute Kombination. Einen der Rennradler kriege ich kurz vor dem Hüttenweg, er fährt vielleicht 30. Aber der andere ist weit voraus. Ich komme wenigstens etwas in Schwung, natürlich gibt es hier jetzt auch einige Stellen mit einem leichten Gefälle. Ich kriege den anderen Rennradler einige hundert Meter vor der Abbiegung zur Havelchaussee. Er hängt sich bei 43 bis 44 km/h hartnäckig an mich ran. Das ist defintiv mal ein Spielkamerad. Ich teste ihn, bei 46 km/h läßt er abreißen. Über meinem derzeitigen Zustand bei dieser Geschwindigkeit sei der Mantel des Schweigens gebreitet.

An der Einbiegung zur Havelchaussee muß ich auf ein Auto warten, als ich langsam die enge Kurve nehme zieht mein spontaner Sparringspartner an mir vorbei. Eine leichte Steigung, ich schaffe es so eben, daß sich unser Abstand nicht vergrößert, erst auf dem Gefälle ziehe ich wieder vorbei, er grinst mich an. Ich halte mich bei 42 km/h und er verfolgt mich zunächst nicht. Ich baue den Abstand etwas aus, indem ich die Geschwindigkeit bei ungefähr 40 halte. Bis zum Willi. Ich schaffe es nicht, meine 20-22 km/h auf der Steigung zu halten, breche auf 19 bis 20 km/h ein. Kurz vor der Kuppe zieht der Rennradler grüßend vorbei, er hat sicher gute 25 km/h drauf. Im Gefälle habe ich mit einem anderen Radler und Gegenverkehr zu kämpfen und kriege meinen Renngegner erst als die nächste Steigung beginnt. Ich versuche so viel Schwung wie möglich mitzunehmen, bin mit 55 km/h durch die Kurve gebrettert und ziehe mit 48 km/h an ihm vorbei. Er schafft es nicht, die Steigung zu nutzen und ich wähne mich in Sicherheit, als ich das nächste Gefälle erreiche. Aber es kommt ja noch der Postfenn. Ich heize dort zuerst mit 30, später mit guten 28 km/h hoch – kurz vor der Heerstraße ein breites Grinsen aus einem bekannten Gesicht. Ich fasse es nicht. Die Heerstraße fahren wir eher dicht beieinander und unterhalten uns kurz, bevor er abbiegt. Respekt, denke ich.

Ich setze zur zweiten Runde an. Garmin sagt, 35,1 km/h Schnitt in der ersten Runde. Die Waldschulallee mit ihrem miesen Pflaster und den ständigen Autos kostet. Aber der Messedamm ist im besten Berufsverkehr auch keine Alternative.

Die zweite Runde muß ich ohne Trainingspartner auskommen, sie wird auch um einiges langsamer, mein Puls ist allerdings auch etwas niedriger.

Insgesamt kommen auf 42km 34,7km/h Schnitt, ein durchschnittlicher Puls von 164, Maximalgeschwindigkeit 61,1km/h und maximaler Puls von 184 zusammen. Der Unterschied zwischen Runde 1 und Runde 2 sind 1 km/h und 5 Pulschläge im Durschnitt nach unten. Auch der Maximalpuls ist 5 Schläge niedriger in der zweiten Runde. Richtig zufrieden bin ich nicht und frage mich, ob ich einfach einen schlechten Tag habe, das vernachlässigte Training der letzten Tage oder eine im Anflug befindliche Krankheit hier schuld sind.

Auf dem Rückweg fällt mir gegen Ende ein seltsam federndes Wippen auf. Trete ich nicht mehr rund? Das Wippen wird stärker. Rahmen gerissen? Bitte nicht. Ich fahre die letzten Meter nach Hause und vor der Haustür checke ich mein Rad. Da fällt es mir auf: Der hintere Reifen hat sicher keine 10,5 Bar mehr. Wie schön, außer mir ist also auch mein Rad platt…

Beim Radladen gegenüber erstehe ich einen Ersatzschlauch (mit zu kurzem Ventil, wie ich später feststellen muß) und werde noch von einem Rennradler ausgefragt, der mich kurz zuvor wohl auch gerade auf der Havelchaussee gesehen hatte.