Fitnessrunden statt SPEZI-Tour

Eigentlich wäre Ende April eine Tour zusammen mit Micha zur Spezialradmesse nach Germersheim dran gewesen. Und in der anschließenden Woche zurück. Aber 2020 wird wohl vielen in Erinnerung bleiben als das Jahr, in dem alles anders kam.

Auf einer leeren Zufahrtsstraße zum BER

Statt also an der Schnellfahrstrecke der Bahn zwischen Halle und Erfurt noch einmal – wie im letzten Jahr – entlang zu fahren, in den Steigerwald abzubiegen und dann auf ungewohnten Wegen in Richtung Südwesten zu fahren, muss ich mich bei immerhin schönstem Wetter dazu motivieren, meine Runden im Kreis zu drehen. Durch altbekannte Landschaften mal ein paar neue Strecken zu finden oder auf ausgefahrenen Wegen einfach eine Kopf-aus-Trainingsrunde einzulegen.

Wegen des strammen Ostwinds blieb es dann bei mir bei Trainingsrunden auf leicht variierenden Wegen, meist in Richtung Schönefeld bzw. BER. Immerhin kommt so die vernachlässigte Kondition langsam wieder. Da ich ja frei hatte und unter der Woche unterwegs war, waren die Wege auch halbwegs leer. An den Wochenenden war das Abstandhalten auf den üblichen Berliner Rad- und Skatestrecke quasi nicht möglich, das Fahren machte da auch wenig Spaß.

Der Hügel am Südwestende der Startbahn

Wirklich viele neue Wege habe ich dann nicht für mich entdeckt, aber doch festgestellt, dass man zum Beispiel südlich des BER derzeit nur noch in Kiekebusch über schlimmes Kopsteinpflaster rumpelt, der Weg durch Rotberg und die Wege dazwischen abermittlerweile mit feinstem Asphalt und prima Seitenradwegen ausgestattet sein.

Das 45 über Null in Selchow hatte natürlich keinen geöffneten Biergarten und Flugzeuge gab es auch keine zu sehen, aber der Hofladen verkaufte leckere Wildschweinsalami und auch ein paar Dinge für auf die Hand, die man dann in adäquater Entfernung verspeisen konnte.

Was soll ich sagen, die Kondition kam schnell wieder, die Runden wurden schneller und die letzten Beiträge über die Oder-Touren haben ja gezeigt, dass die Trainingsrunde wirkten: bis zu 150km ohne Nachwirkungen zu fahren war eine gute Bestätigung.

Fremdgegangen: Mit dem Rennrad auf Mallorca

Zugegeben: Die Woche Mallorca Mitte Juni zusammen mit meinen Eltern war anderen Ereignissen geschuldet, nicht der Familienurlaub und nicht das Rennrad-Training trieben mich nach Puerto Alcudia. Dennoch bietet es sich natürlich an, wenn man schon vor Ort ist und am ein oder anderen Morgen Zeit findet, sich ein Rennrad zu leihen und täglich eine nette Guten-Morgen-Runde zu fahren. Nichts ist leichter, als sich auf Mallorca ein Rennrad zu mieten: Gerade im Nordosten der Insel, in Port d’Alcudia, Platja de Muro oder Port de Pollença, gibt es dutzende großer und kleiner Verleiher, vom einfachen Alu-Renner bis hin zur Carbon-Zeitfahrmaschine kann man dort gegen einen Preis, für den man in anderen Regionen gerade mal ein olles Citybike kriegt, so ziemlich alles leihen. Jedenfalls, wenn man nach der typischen Fahrradsaison kommt, so wie ich Ende Juni. Da ich keine große Erfahrung auf dem Rennrad hatte und kein Anhänger der Carbon-statt-Kondition-Fraktion bin, entschied ich mich für ein BMC Gran Fondo GF02 in Alu mit einer netten Ultegra-Ausstattung. Ein solider, schneller Renner so irgendwo um die 8-9kg fahrfertig. Deutlich leichter als alles, was ich sonst bewege. Aber man muss ja noch Raum nach oben lassen.

Happy am Cap de FormentorAls meine morgendliche Trainingsstrecke wählte ich die  Fahrt von Port d’Alcudia – das Appartement lag am südlichen Ende des Ortes kurz vor Platja de Muro – über Port de Pollença zum Leuchtturm am Cap de Formentor. Die Gesamtstrecke war damit knapp über 60km lang, davon jeweils ca. 15km zum Ein- bzw. Ausrollen flach entlang des Ufers, der Rest der Strecke durch bergiges Gelände mit teils ordentlichen Steigungen, insgesamt ca. 870hm. Mit einer kleinen Trink- und Photopause am Leuchtturm nahm ich mir dafür ca. zweieinhalb Stunden, gestartet bin ich früh morgens, wenn es noch nicht so heiß war und sich auch noch keine größeren Touristen-Ströme in Autos über die enge Straße wälzten.

Vorab: Das Radfahren auf spanischen Straßen in den letzten Jahren ist mir jedesmal extrem positiv aufgefallen, die Autofahrer nehmen sehr viel Rücksicht und halten Abstand. Der Zustand der Straßen ist in der Regel sehr gut. Wer die Straße zum Cap der Formentor kennt: Diese wurde im letzten Winter (endlich) erneuert und ist jetzt in exzellenter Qualität.

Ma-2210 nach Cap de FormentorBei morgendlichen 25°C bis 27°C ließ sich das Rad für mich problemlos mit guten 35km/h über die flachen Straßen bewegen. Auch um diese Jahreszeit gab es noch eine Menge Rennräder auf den Straßen zu sehen, aber die wirklich sportlichen Leute sind natürlich alle deutlich früher im Jahr unterwegs. Während meiner fünf Ausflüge zum Cap gab es nur eine einzige Begegnung mit einem deutlich schnelleren Rennradler – das fand ich fast etwas enttäuschend. Aber wie gesagt, das liegt natürlich an der Jahreszeit – im Frühjahr wimmelt es auf Mallorca wohl eher von Leuten, die deutlich besser im Training sind.

Der Weg über Alcudia (kleiner Hügel zum eingewöhnen) und entlang der Küste ist gut zu fahren, die große Umgehungsstraße um Port de Pollença ist qualitativ besser als die Straße im Ort, aber natürlich nicht so schön. Ich fuhr mal so, mal so. Hinter Port de Pollença geht es dann recht bald in den ersten Anstieg: Auf der Ma-2210 geht es hinauf zum Mirador es Colomer – einem imposanten Aussichtspunkt mit einer gut 300 Meter senkrecht zum Meer abfallenden Felsklippe. Da ich zum Radfahren hier bin lasse ich den Aussichtspunkt links liegen und folge weiter der Straße. Diese geht nur an den steilen Bergen in netten aber oft halbwegs einsehbaren Serpentinen auf und ab, die Landschaft wechselt zwischen blankem Felsen und mediterranen Nadelwäldern. Bald durchquert man eine Ebene mit einer langen Geraden, dann geht es wieder in die bergigen Serpentinen. Die einzig etwas unangenehme Stelle ist ein Tunnel von wenigen hundert Meter Länge, der durch seine Enge und Dunkelheit besticht. Da es aber geradeaus geht, kann man sich gut am Tunnelausgang orientieren. Ich hatte nur immer etwas Sorge, ob von hinten ein Auto angeschossen kommt – aber zum Glück war morgens so wenig Verkehr, daß das nie passierte.

Morgendliche Aussicht am Cap de FormentorAnschließend geht es noch einige male hoch und runter, bis dann plötzlich hinter einer engen Kurve sich der Blick auf den Leuchtturm am Cap öffnet. Wenige Minuten später stehe ich dort, lassen Blick schweifen, trinke aus meiner Flasche, vielleicht noch eine kurze Unterhaltung mit anderen Rennradlern oder notfalls den Ziegen, dann geht es auf dem gleichen Weg zurück.

Am Mirador es Colomer ist es dann geschafft. Anschließend kommt die lange Abfahrt, die man mit Höchstgeschwindigkeit und nur ein paar kurzen Bremsern nehmen kann, dann geht es weitgehend flach wieder zurück zum Appartment. Rad abstellen, Klamotten vom Leib, rein in die Badehose, kurz abduschen und dann in den Pool. Nach der verdienten Abkühlung dann Frühstück mit den Eltern und vielleicht ein Bad im Meer.

Nach den 60 Kilometern war ich dann aber meist froh, vom ungemütlichen Rennradsattel runter zu sein. So ein leichtes Rad mal eben die Berge hoch zu treten war aber eine definitiv tolle Erfahrung. Obwohl ich ohne Helm fuhr gab es darüber keine einzige Diskussion mit anderen Rennradlern – die meisten (bei weitem nicht alle!) hatten zwar einen Helm, auffallend viele hatten den jedoch vorn am Lenker baumeln. Da sich die Auf- und Abfahrten dort schnell abwechseln galt das für beide Fälle. Bei den Autofahrten über die Insel kam ich defintiv an anderen Straßen vorbei, die ich gerne mal mit dem Rad bezwingen würde zu allererst die Straße nach Port de Sa Calobra. Das allerdings ist vermutlich nur wirklich früh morgens und früher im Jahr, wenn dort keine Badeverkehr herrscht eine wirklich gute Idee. Schon allein die Anfahrt bis dort ist eine nicht zu unterschätzende Herausforderung. Und zurück muss man ja auch noch.

Cap de Formentor 26.06.2015

Frühjahrstraining

Der extrem milde Winter führte dazu, daß ich nicht einmal mein Mountainbike durch den Grunewald gejagt habe. Dafür hatte ich eine ausführliche Trainingspause, auch sowas brauchen Kopf und Beine ja mal. Trainingspause heisst dann übrigens bei mir 300 bis 500 km im Monat, was eben so durch die Alltagsfahrten zusammenkommt.

Rennradgruppe auf dem THFAber die Tourensaison naht, Ende April könnte es schon eine recht ausführliche Runde geben. Und da hilft es natürlich, wenn man beizeiten anfängt, sich auf die anstehenden Herausforderungen wieder gezielter vorbereitet.

Zum einen fahre ich derzeit mehrmals pro Woche morgen und/oder abends meine kleine Hausrunde über die Krone und den Willi, zum anderen nehme ich bei dem milden Wetter die Chance wahr, das mannigfaltige Angebot an Touren der Rennradgruppe zu nutzen. Am letzten Wochenende war das unter anderem eine Tour nach Mittenwalde und eine Anfängertour (langsamer, wo Neueinsteiger das Gruppefahren lernen können) auch südlich von Berlin, beide geführt von Dominik.

Bild aus dem Follow-Me-CarAm Samstag trafen wir uns am Bahnhof Südkreuz, dann ging es über das Tempelhofer Feld und die Ostkrone vorbei am nicht-ganz-so-Flughafen BER. Gut fahrbare Radwege oder sehr ruhige Straßen waren versprochen – und natürlich wurde das auch gehalten. Auffällig war die große Anzahl wirklich sehr zuvorkommender und rücksichtsvoller Autofahrer.

In Mittenwalde angekommen war die avisierte Pizzeria wegen geschlossener Gesellschaft für uns dann keine Option, aber im Ort gab es dann zum Glück eine zweite, wo wir dann gemütlich essen fassen konnten, bevor es in weitem Bogen zurück nach Berlin ging. Gemeinsam mit einem weiteren Mitfahrer verabschiedete ich mich dann irgendwann von der Gruppe, da wir lieber über die Krone zurück in die Stadt wollten, wegen eines schöneren Heimwegs.

Brandenburger Allee mit gutem RadwegAm Sonntag war fahren mit 25km/h bis 30km/h dann auch nicht so langsam wie zunächst erwartet, die Teilnehmer fanden sich schon bald in der Gruppe gut zurecht. Ich fuhr gemeinsam mit Micha, der auch mit dem Liegerad unterwegs war, hinter der Gruppe als Lumpensammler und um die Neulinge auch etwas besser im Blick zu haben. Wir machten nur einen kurzen „Tankstopp“, bevor es dann zurück ging nach Berlin. Damit waren am Wochenende dann für mich insgesamt etwas über 200km zusammengekommen, ein gutes Gefühl und ein merklicher Sprung in der Kondition.

Riding the Beast

Ein Gedanke.

Adrenalin.

Das Biest ruft.

Herzklopfen.

Seit Hamburg-Berlin stand die Rennliege im Keller. Sie ist kein Rad für den Winter. Aber jetzt kommt der Sommer. Es ist warm, lange hell. Heute eröffnete ich meine persönliche Rennradsaison.

Es ist jedesmal wieder wie beim ersten mal. Der Lowracer macht mich nervös. Der Kopf erinnert sich an die ersten Versuche, das Ding zu bewegen. Es ist, wie ein wildes Pferd: Du musst sein Vertrauen gewinnen, dann zeigt es Dir, was es kann. Es wird Dich vielleicht akzeptieren, aber zahm wird es nie.

Als ich nach Hause kam, gönnte ich der Kette etwas Schmierung, den Reifen etwas Luft. Umziehen. Gedanken. Will ich das jetzt wirklich? Mich mit dem flachen Flitzer in den Verkehr wagen? Ist ja ganz schön schwül draußen. Nervosität. Herklopfen. Adrenalin. Egal – los jetzt.

Ich gehe zur Bushaltestelle auf der anderen Seite der Straße, da habe ich schön viel Platz. Der Kopf erinnert sich an die ersten erfolglosen Versuche, mit der Rennliege loszufahren. Aber der Körper, der erinnert sich, wie es geht. Ein Tritt in die Pedale – ohne Schlingern und ohne Probleme fahre ich los. Die Nervosität, die Angst ist wie weggeblasen, Aufregung tritt an ihre Stelle. Locker geht es den Südwestkorso runter. Sanftes Warmfahren mit 35. Ich habe mir vorgenommen, nicht zu übertreiben, nur ganz lockeres Fahren, um mich wieder dran zu gewöhnen.

Ich fahre nur die Krone auf und ab. 40 km/h ist mein Richtwert. Nicht übertreiben. Es macht Spaß. Es ist schön. Ich passe auf, heute niemanden zu provozieren, muß mich erst wieder an die extrem flache Liegeposition gewöhnen. Aber ganz kalt läßt es mich trotzdem nicht, wenn ich an den flotten Rennradlern mit ihren Carbonschleudern vorbeiziehe. Da ist mehr drin, da ist Spielen drin – aber nicht heute.

Nach 60 Kilometern mit einem sanften 35er Tachoschnitt von Haustür zu Haustür komme ich nach Hause.

Hamburg-Berlin 2011

Die Entscheidung es in diesem Jahr auch nochmal mit dem Zeitfahren Hamburg-Berlin zu versuchen, fiel kurzfristig. Sehr kurzfristig, was die Anmeldefrist angeht, aber auch was etwaige Vorbereitung angeht. Das bezieht sich weniger auf sportliche Vorbereitung, meine Urlaubstour Südwest 2011 dürfte da schon nicht ganz verkehrt gewesen sein, als mehr auf Zugverbindung, Unterkunft, erprobte Ideen der Energiezufuhr während des Fahrens auf so einer langen Strecke. Aber dazu später mehr.

Unterkunft hatte ich bei Lars gefunden, der auch an den Start ging und daher mit dem frühen Aufstehen am Samstag Morgen keine Probleme hatte. Oder sagen wir: Durch mich keine bekam, die er so nicht bereits gehabt hätte oder durch @velolars, der auch dabei war.

Um 4 Uhr morgens klingelte der Wecker, müde schlichen wir durch die Gegend. Es gab Frühstück, der Reifendruck wurde kontrolliert und die spärlichen Gepäckstücke zusammengestellt, bis um kurz nach fünf das bestellte Großraumtaxi kam, das uns nach Altengamme bringen sollte. Da mein M5 mit der Heckverkleidung etwas unhandlich ist, dauerte das Einladen etwas länger, alles in allem waren wir erst gegen 6 Uhr in Altengamme.

Das Anmeldezelt war zurm Glück leer, trotz der in diesem Jahr mehr als 270 angemeldeten Starter. Was allerdings auffiel: Das Gras am Rande der feuchten Straße knackte unter den Schuhen, wegen der Eisschicht, die sich auch auf den Straßenbegrenzungspfählen gebildet hatte. Eineinhalb Stunden bis Sonnenaufgang, Kälte, Eis, Nebel. Ich begann mich ernsthaft zu fragen, worauf ich mich da eingelassen hatte – und begab mich erstmal ins geheizte Haus zum Frühstück.

Während das Team aus den beiden Larsen um 06:38 Uhr startete, lag meine Startzeit eine Stunde später, wenige Minuten vor Sonnenaufgang. Nachdem ich die beiden verabschiedet hatte, blieb mir also noch genügend Zeit, mich zu wärmen und auf etwas Licht vor dem Fenster zu warten.

Dieses stieg langsam empor und gab den Blick auf die umliegenden Wiesen frei, die weiß von einem Rauhreif-Schleier unter Nebelschwaden hervorlugten. Als ich um 20 Minuten nach sieben hinausging, um das GPS zu starten und das Rad zum Start zu schieben, zeigte das Thermometer 0°C, es war aber hell genug, als daß ich auf die Nutzung des Frontlichts verzichtete und lediglich das Rücklicht einschaltete für eine bessere Sichtbarkeit von hinten.

Nach dem Start ging es zuerst über die Brücke bei Geesthacht, von dort auf den Elbdeich. Während ich vom vor mir gestarteten Liegerad von David nur noch kurz das Rücklicht sah, überholte ich zumindest ein paar andere Teilnehmer. Die schnellen Gruppen waren meist schon deutlich früher weg und die nach mir startenden Velomobile verzichteten auf den Deich und nahmen lieber die Straßenstrecke.

Das Thermometer bleibt wie festgenagelt auf 0°C, feuchte Schleier liegen über der Landschaft, aber erst als es hinter Hohnstorf über die Felder geht, wird der Nebel so dicht, daß die Autos kaum noch schneller als die Radfahrer fahren – und sich ein nasser Schleier auf allem absetzt: Rad, Kleidung, Brille. Das ist der Zeitpunkt, an dem ich froh bin, daß meine Fahrradbrille tags zuvor kaputt ging und ich das Gestell nur als Halterung für den Spiegel nutze und keine Gläser habe: Selbst vom kleinen Brillenspiegel tropft stetig Wasser. An den Metallführungen der Schaltzüge am Lenker beginnt das Wasser gar zu gefrieren. Meine Hände sind trotz Handschuhen eiskalt. Und als ich eine kurz Pinkelpause einlege, habe ich schon Schwierigkeiten, meine Finger zu bewegen – und rustche auf dem Asphalt der Straße, wo das Wasser auch beginnt zu kristallisieren fast aus. Normales Fahren geht, aber abrupte Brems- oder Lenkmanöver sind hier nicht ratsam.

An den Steigungen bei Hitzacker wird mir richtig warm, aber ich versuche notfalls so langsam hochzufahren, daß ich nicht anfange zu schwitzen, das könnte auf den folgenden Fahrt fatale Folgen haben. Bei einer der steileren Abfahrten stehen 70 km/h auf dem Tacho, das Wasser vom Lenker und bei einer Bodenwelle kleinere Eiskrümel fliegen mir ins Gesicht. Doch langsam lichtet sich der Nebel, die Sonne bricht durch und innerhalb kürzester Zeit steigt das Thermometer, das im Wald auf -1°C gesunken war, auf 3°C bis 4°C. Klingt nicht viel, ist gefühlt aber ein echter Fortschritt.

Ein kleines Problem tut sich allerdings auf: Gerade in Zusammenhang mit der Feuchtigkeit ist das rechte Klickpedal zu locker eingestellt. Zweimal lande ich durch versehentliches Ausklicken – zum Glück ohne Sturz – bei über 35km/h im Gras.

An der Kontrollstelle in Dömitz bin ich 10 Minuten früher als erwartet, ich sollte also im Folgenden etwas Geschwindigkeit rausnehmen. Und ich nehme mir etwas Zeit für die Pause dort, ziehe auch erstmal die Klicks etwas fester an. Meine oberste Priorität heißt ankommen, die zweite bei Licht, die dritte heißt: mal sehen, ob 10 Stunden zu machen sind. Mir fällt allerdings auf, daß ich, obwohl ich weiß, daß ich dringend essen müßte, kaum Appetit habe und mich schwertue, Brot und Banane zu essen. Zur Sicherheheit gibt es noch ein Gel, aber auch das ist natürlich nicht nachhaltig.

Weiter geht es, es rollt gut, sobald ich aus Dömitz raus bin, ich komme mit guter Geschwindigkeit voran, obwohl der Gegenwind langsam auffrischt. Ich bekomme diesen auf dem tiefen Liegerad aber natürlich deutlich weniger zu spüren, als die Aufrechtradler, die dafür in  Gruppen fahren und sich im Wind abwechseln.

Es nähert sich Kilometer 140. Bergfest, Halbzeit! Zwar nicht von der Zeit her, das ist klar, aber ab jetzt zählen die Kilometer im Kopf irgendwie runter. Ich hab mehr gefahren, als noch kommen wird. Fühlt sich gut an. Das Ausklicken fühlte sich allerdings nicht gut an, irgendwie habe ich mein Knie etwas verdreht dabei.

Nach einer Riegelpause in der Sonne geht es weiter und ich spüre das Knie auch beim Fahren. Langsamer. Vergessen wir die zehn Stunden, ankommen ist das Ziel. Am besten aber noch im Hellen.

Nach dem Durchqueren einer Baustelle wird es noch schwerer, als mir eine Gruppe, die kurz vor mir durch die Baustelle lief, gerade entgegenkommt, frage ich, ob da noch eine Sperrung sei. „Nein, wir gehen nur ins Café – wenn Du gewinnen willst, dann solltest weiter fahren!“ Aber ich will nicht gewinnen, ich will ankommen und schließe mich der Gruppe an.

Hinterher geht es zunächst besser. Es geht auf Havelberg zu. Havelberg ist der Punkt für die Entscheidung. Von hier sind es nur ein paar Kilometer bis zum Bahnhof. Hinter Havelberg ist bis Paulinenaue erstmal kein Bahnhof in Sicht – und Paulinenaue ist dann schon gefühlt kurz vor dem Ziel. Meine Gruppe zieht mich durch Havelberg, ich fühle mich bei den Jungs und Mädels gut aufgehoben. Sie sehen es nicht zu verbissen, machen aber auch keine Spazierfahrt. Auf dem Weg nach Berlin. Hundert Kilometer, bekannte Wege. Auch das hilft.

Der physische Windschatten erlaubt mir, zwischendurch immer mal wieder die Beine zu entlasten, wichtiger aber ist der mentale Windschatten, in der Gruppe mitzufahren, Leute zu haben, die mal nach einem sehen und einfach dranzubleiben. Wie im Flug ziehen die Dörfer vorbei. In Paulinenaue, 50km vor Berlin, gibt es nochmal eine kleine Pause, dann geht es über den Radweg nach Nauen und in den Stadtverkehr bei Falkensee und Spandau. Das ist anstrengend, ich spüre die Reserven schwinden, spüre mein Knie bei jeder Kurbelumdrehung – aber es sind nur noch zehn Kilometer, dann fünf. Gatower Straße. Die Sonne geht unter und wir biegen wenige Minuten später am Wassersportheim ein.

Es ist geschafft.

Startnummer vom Fahrrad abmachen, den Stempel holen bei der Zeitmessung. Genau Ergebnisse kommen noch, aber es sind wohl so um die 10:50h. Ich bin wie Trance. Ich erkenne einige Leute vom Morgen wieder, aber zwischendurch werde ich plötzlich von meiner Rennradfreundin Karin begrüßt – die ist nicht mitgefahren, ich hatte sie hier nicht erwartet.

Erst als ich zur Ruhe komme, im Warmen am Tisch sitze, ein Malzbier trinke, eine Suppe esse kommt es über mich. Ein Schwall von Emotionen. Ich hab’s geschafft! Ich hab es geschafft, weil ich den Willen hatte durchzuhalten und weil mir andere Teilnehmer, die ich bis dahin nie gesehen hatte, geholfen haben durchzuhalten.

Ich will das nicht übertreiben: Allein auf dieser Veranstaltung sind am Ende wohl weit über 200 Radler angekommen. Es sind diverse dabei, die fahren 400er oder 600er Brevets, haben Paris-Brest-Paris hinter sich. Ich bin nicht stolz auf mich, weil ich glaube etwas geleistet zu haben, was kaum ein anderer schafft, aber für mich war es die längste Strecke, die ich in meinem bisherigen Leben am Stück auf dem Rad gefahren bin, das auch in respektabler Zeit. Und noch etwas: Im letzten Jahr mußte ich erst meine Nordkap-Reise abbrechen, bin dann wegen der schlechten Bedingungen bei Hamburg-Berlin nicht gestartet. Ich habe jetzt meine Barcelona-Reise hinter mir und schließlich noch Hamburg-Berlin absolviert und komme meinem Jahresziel von 12000km auf dem Rad auch schon recht nah: es fehlen nicht einmal mehr 700km. Auch wenn ich kein abergläubischer Mensch bin, aber das war für mich das Gefühl, einen Fluch gebrochen zu haben.