Über Nacht hat der Wind nachgelassen, ein Blick aus dem Fenster zeigt uns einen relativ freundlichen Himmel. Ich bin noch immer unsicher, ob es wirklich machbar ist, heute die fast 200km bis nach Hause zu fahren. Zum Frühstück haben wir uns wie üblich um 9 angemeldet, morgens ist es meist noch empfindlich kalt und wir haben auch einen ziemlich Schlafbedarf. Um 6 Uhr aufstehen ist unser beider Sache nicht.
Das Buffet ist gut bestückt und ich spiele Buffetfräse – während Micha wieder nicht so viel runterkriegt. Mein Frühstück ist gut für 50 bis 70 Kilometer, Micha wird wohl auf Riegel und Gel angewiesen sein. Meine Vorräte habe ich ihm im wesentlichen schon in Aussicht gestellt. Es ist Sonntag, Supermärkte sind heute keine Option – zudem liegen auf unserem Weg auch nicht sehr viele große Orte.
Die Uhr zeigt schon deutlich nach zehn Uhr an, als wir vom Hotelhof rollen. Es sind etwa zwei Kilometer, bis wir back on track sind. Die Landschaft ist jetzt flach, es gibt ein paar kleine Wellen in der Landschaft, aber keine ernsten Berge mehr. Das ist auch gut so, wir versuchen uns an einem gleichmäßigen Tritt, auch wenn wir anfangs doch ziemlich schnell zu Werke gehen.
Unser Weg führt zum Glück an Leipzig vorbei, Stadtdurchfahrten sind für längere Etappen immer ziemliche Killer. Wir hatten diesen Teil des Weges nur relativ blind aus verfügbaren Radweit-Tracks zusammengestückelt – und so birgt der Track die erste Überraschung (das ist nicht negativ gemeint) in Gruna, wo wir die Mulde per Gierfähre überqueren.
Die Mulde ist hier ein sehr kleiner Fluß, die Fähre entsprechend dimensioniert. Würde man sie quer stellen, würde sie nahezu als Ponton-Brücke taugen.
Alle 25km füllt Micha Energie nach und so läuft es bis zur Elbe an der Fähre Pretzsch auch erstaunlich gut. Und so gebe ich meine Skepsis langsam auf und in unsere Köpfen steht als Ziel Berlin und das eigene Bett auf dem Programm. Da ist es ja dann auch egal, wann man ankommt. Und für Nachtfahrten sind wir lichttechnisch ja gut gerüstet.
Bei mir meldet sich langsam allerdings ein leichtes Hungergefühl und wir kehren kurz hinter der Fähre in der Burg Klöden ein. Hier sind diverse Tourenradler, allerdings fragt jeder nochmal nach, wenn wir sagen, daß wir heute noch bis Berlin kommen (und bereits von irgendwo bei Leipzig kommen). Eine lustige Begegnung gibt es noch, denn einer der Radler erzählt, ein Bekannter habe eine Woche zuvor von zwei Liegeradlern in Füssen berichtet – das können wohl nur wir gewesen sein. Zufälle gibt es manchmal!
Auf dem weiteren Weg klingen die Ortsnamen schon bekannter. Wir kommen langsam ins Einzugsgebiet von Tages- oder Wochenendtouren ab Berlin. Der Urlaubsreiz sinkt, die Heimat ruft und diese Motivation reibt uns vorwärts. So, daß ich irgendwann merke, wie ich langsam in den Trance-Treten-Zustand übergehe. Der ist nicht besonders gut geeignet, um zu zweit zu fahren und so setze ich eine kurze Zwangspause an mit Tee, Mars und Keksen um mich für die letzten 100 Kilometer zu rüsten.
Eigentlich steht zur Dämmerungszeit noch einmal essen auf dem Plan, doch hier gibt es wenig und die angefahrene Gaststätte bietet aus Alters- und Krankheitsgründen leider nichts mehr an (aus Mitleid kriegen wir aber beide ein Duplo spendiert). So gibt es nochmal Kekse und wir teilen die letzten Gel-Reserven gute 40 bis 50 Kilometer vor Berlin auf. Dann geht es auf in die einsetzende Dunkelheit.
Die Straßen sind leert, wenn auch nicht ganz so leer, wie ich sie eigentlich am Sonntag abend erwartet hätte. Die Kennzeichen werden bekannter, wir sehen die Schilder von Teltow-Fläming, Potsdam-Mittelmark. Dann kommen wir auf Strecken, die wir von den Runden mit den Rennradlern kennen.
Bei der Einfahrt über Teltow und Kleinmachnow gibt es leider kein Berliner Ortsschild, an dem wir ein Zielfoto machen könnten – und so improvisieren wir eines an der Zehlendorfer Eiche, wo wir uns trennen.
Ich erreiche um kurz nach 22 Uhr meine Haustür.
1387km und 70 Stunden in Bewegung.
Donnerwetter, da sind für eine (fast) Inlandstour ordentlich km zusammengekommen!
Folgt noch ein Fazit? soweit ich es richtig überblicke, seid ihr ohne einen einzigen Ruhetag gefahren. Funktioniert das, sind Ruhetage überbewertet? Ich habe lange Touren bisher immer nur “mit“ gefahren.
Ja, ein Fazit wird es noch geben. Micha hatte in seiner Tour natürlich Ruhetage drin, auf unserer gemeinsamen Fahrt (12 Tage) haben wir keinen “echten” Ruhetag gemacht. Allerdings waren unsere Etappen auch nicht so lang, den letzten Tag nach Berlin ausgenommen lagen wir bei ca. 107km im Schnitt. Einen quasi-Ruhetag mit nur ca. 55km (und ohne Anstiege) gab es zwischendurch. Ich würde das aber nicht ohne weiteres auf längere Touren oder welche mit mehr Kilometern hochrechnen – wäre die Tourn weitergegangen, wäre spätestens jetzt ein echter Ruhetag und ein weiterer kurzer Tag nötig gewesen (die 190km-Etappe mit eingerechnet, die wir so wohl aber vermutlich nicht gemacht hätten).
Ich suche für mich immer noch nach der optimalen Balance Fahrleistung/Zeit.
In diesem Sommer hatte ich mal versucht, mit einer Eil-Tour den Punkt nach oben zu schieben: Tag 1 = 230km, Tag 2 = 200 km, Tag 3 = 120 km, Strecke leicht bis mittelschwer, somit ein Tagesschnitt von gut 180km, aber sehr unregelmäßig verteilt. Die Erfahrung damit war sehr schlecht, denn Tag 4 war ein harter Totalausfall. Tag 5 ging allerdings dann schon wieder besser als gedacht.
Neben der km Dosierung ist die Frage, was ist ein günstiger, nachhaltiger Zyklus?
3/1, 4/1, oder vielleicht sogar 5/2?
Ich denke, wenn man länger als drei Wochen am Stück fahren will, braucht man eine Balance, sonst kommt der Punkt, wo man entweder in mentale Probleme läuft und sich dann nur noch durchschleppt, oder einfach der Hammer zuschlägt und nichts mehr geht.
Also ich denke es kommt darauf an wie das Wetter ist, wie man sich fühlt, wie die Strecke war. Ich glaube man kann das nicht an Kilometern fest machen. Ich stimme Oli voll zu wenn er sagt, wir hätten jetzt auf jeden Fall einen Ruhetag gebraucht. Wahrscheinlich wäre er schon vorher nötig gewesen. Aber das Wetter war grad so schön und man wollte dann doch mal langsam wieder nach Hause. Hätte es mehr geregnet, hätt ich nem Ruhetag sofort zugestimmt. Eigentlich wollten wir ja in Füssen pause machen, aber das Wetter war halt zu gut. Ich hab dann aber auch gemerkt, dass es am Ende immer weniger Leistung gab, die man abrufen konnte.
Ich merke, wie ich nach 2 Wochen Fahrt irgendwo zu meinem inneren Zen finde. Man muss aufpassen, daß man Ruhetage einlegt, sich nicht von irgendeiner Angst treiben läßt, ein Ziel nicht zu erreichen auf längeren Touren. EInen festen Rhythmus halte ich allerdings für falsch. Man hat gute und schlechte Tage, das Wetter ist günstig oder eben nicht. Und heute einen Ruhetag zu machen, weil er dran ist und dann zwei tage später im angesagten Regen oder Gegenwind zu kämpfen ist sicher auch nicht gerade zielführend, ebenso wie ein Ruhetag irgendwo in der Pampa, wenn man den auch in einer netten Stadt, dem Wellness-Hotel oder wonach einem sonst gerade ist haben kann. Flexibel sein. Bei 3 Wochen reicht m.E. ein Ruhetag pro Woche, aber das hängt auch davon ab, wie sehr man an den Fahrtagen an die Grenzen geht. Klar, wenn ich jeden Tag 200km prügel, dann würde mir ein Ruhetag pro Woche vermutlich nicht reichen, dann wäre einer pro 4-5 Tage mindestens angesagt (ohne es probiert zu haben).
Ruhetage ohne jede Bewegung empfinde ich auch als problematisch. Leichtes spazieren gehen oder mal cruisen (in der Eisdielendosis) auf einem geliehenen Aufrechtrad empfinde ich am nächsten Fahrtag als angenehmer. Beine plötzlich stillhalten führt zu wesentlichen schwereren Beinen oder gar einem Muskelkater-ähnlichem Gefühl.