Am Samstag, den 13.04.2013 verstarb Christian von Ascheberg. Ich las davon noch am Vormittag des Tages – und ich musste es mehrfach lesen. Hätte da was von einem Unfall gestanden, daß ihn Auto von der Straße gefegt hat oder ähnliches, es hätte mich genauso betroffen gemacht, aber was ich las, machte die Sache umso unbegreiflicher: Herz-Kreislauf-Versagen. Bei einem Menschen, der seinen Körper so gut kannte, wie ich es bei sonst kaum jemandem gesehen habe.
Ich werde die Umstände hier nicht wiederholen, einen Bericht aus erster Hand gibt es im Velomobilforum.
Abgesehen von seinem Engagement in der Liegerad- bzw. Velomobilszene und seinen Berichten im Netz, bin ich Christian einige male in den letzten Jahren begegnet. Bei Veranstaltungen wie der Cycle Vision oder dem Zeitfahren Hamburg-Berlin, besonders hervorzuheben aber bei den Rekordveranstaltungen auf dem DEKRA Oval. Ich möchte nicht behaupten, daß diese kurzen Treffen ausgereicht hätten, um ihn als Menschen kennenzulernen, aber Christian hat dennoch einen großen Eindruck bei mir hinterlassen, als offener und herzlicher Mensch – und als jemand, der die Sache stets über den persönlichen Erfolg stellte.
In Erinnerung bleibt er mir, wie nach 24 Stunden und 1218 Kilometern im Milan saß, einen frischen Weltrekord in der Tasche. Glücklich, fertig, ein Spässchen auf den Lippen. Er sagte, das war’s mehr nicht, Grenze erreicht. Und kaum einen Tag später sinnierte er schon drüber, daß auch 1300km möglich seien. Was Christian dabei auszeichnete: Es ging ihm um die 1300 Kilometer in 24 Stunden, die waren wichtig – nicht, ob er oder jemand anders sie fährt. Er hatte allen Grund auf seine Leistungen und seine Rekorde stolz zu sein, aber dennoch hätte er jedem anderen den Rekord ganz genauso gegönnt.
Christian bereitete sich auf RAAM (Race Across AMerica) vor und ich hätte es ihm von ganzem Herzen gewünscht, dieses Projekt umzusetzen und glaube, daß er durchaus dort auch Akzente hätte setzen können.
Daß Christian am Steuer seines Milans starb, bei einem Brevet, den er für andere organisierte, steht für sein Leben und es war ein würdiger Tod – wenn auch leider viel zu früh.
Mein Beileid gilt den Angehörigen.
(auf eine ungefragte Veröffentlichung von Bildern verzichte ich an dieser Stelle logischerweise)
Eine trauriger, aber auch verrückter Schicksalsschlag: da kommt jemand offenbar genau damit um, was er scheinbar besser als alle anderen glaubte zu beherrschen.
Mich hat es nachdenklich gemacht. Mehr auf die innere Stimme hören, und sich nicht von Leistungswerten treiben lassen. Verfügt man über eine starke Disziplin, kann man sich allein mit seinem Willen über seine körperlichen Grenzen hinwegsetzen. Die innere Stimme hört man dann nicht mehr, sie verstummt, oder ist zu leise. Wenn es um Leben und Tod geht, z.B. im Krieg, kann das womöglich lebensrettend sein. Aber wir befinden uns nicht im Krieg, sondern in der Freizeit. Muss man da an die Grenzen seiner Ressourcen gehen, mit der uns die Natur vielleicht für lebensbedrohliche Notsituationen ausgestattet hat? Man kann das mal tun. Aber wer es immer wieder tut, führt womöglich einen Krieg gegen sich selbst. Falls das unter gesellschaftlich anerzogenem Leistungs- oder sogar Konkurrenzdruck geschieht, wird es gefährlich. Und sei es nur, um es sich selbst (oder doch auch den anderen?) zu beweisen, dass es noch geht, trotz bereits gesammelter Lebensjahre. Im professionellen Radsport wird dafür bekanntlich sogar zu Drogen gegriffen. Jedoch beherrscht man dann nichts mehr, sondern man wird beherrscht: von Druck – der ganz am Anfang mal gesunde Motivation war.
Ob das bei CAS eine Rolle gespielt hat, weiß ich natürlich nicht, und darum geht es mir auch gar nicht. Sein Schicksal ist der traurige Anlass, mir über meine “Tachowerte” Gedanken zu machen.
Und noch etwas hat mich nachdenklich gemacht. Plötzlich wird auf einmal mit Wucht deutlich, welche großen Sicherheitsmängel Velomobile haben. Wenn man sich vor Augen führt, dass die Notfallrettung aus so einem Gefährt am völligen Fehlen eines Notausstiegskonzepts scheitert, wird klar, dass die Technik der Fahrzeuge bislang eher dem Leistungsdruck gefolgt ist, als dem Wohlbefinden der Nutzer. Und das bei einem Fahrzeug, dessen Konstruktion über praktisch keine Sicherheitsreserven, weder aktive noch passive, verfügt.
Kein anderes Fahrzeug, nicht einmal Fahrrad, geschweige denn ein Zug oder Flugzeug, würde mit diesem Niveau den Stand der Technik und die entsprechenden Normen erfüllen können. Ich frage mich, wie die Velomobilhersteller eigentlich mit dem Thema Produkthaftung umgehen, und ahne: fahrlässig. Über das Thema wird nicht gesprochen. Es wird beiseite gewischt mit der Begründung, es handele sich um ein Sportgerät. Das Sicherheitsrisiko wird voll auf den Nutzer abgewälzt, vielleicht gerade in der Bedienungsanleitung erwähnt.
Lange wird das nicht gut gehen. Entweder bilden sich Industriestandards, oder ein Regulierer greift mit einem Zulassungsprozedere ein, oder es gibt schlichtweg das Produkt nicht als solches zu kaufen, weil die Produkthaftpflichtversicherung für einen Anbieter unerschwinglich ist.
Meine Kaufabsicht überdenke ich derzeit.
Nur kurz: In einem modernen Auto bist Du in vergleichbarer Situation vermutlich nicht besser aufgehoben. Viele moderne Autos verriegeln beim Losfahren die Türen (zum Schutz zum Beispiel vor Überfällen). Bei einem Unfall greift (hoffentlich) ein Mechnismus, der entriegelt. Bleibst Du aber auf der Landstraße kontrolliert stehen, kommt man auch nicht so leicht an Dich ran, vermutlich durch Karosserie und Sicherheitsglas noch weitaus schwerer als bei einem VM, dessen dünne Hülle vermutlich vergleichsweise einfach zu “knacken” ist – das Problem ist eher, daß in so einem Fall die Hemmungen der Ersthelfer für lange Zeit viel zu groß sind. Ein generell höheres Sicherheitsrisiko für diesen speziellen Fall sehe ich beim VM nicht.
Ein Auto bietet aber ein sehr viel höheres Maß an aktiver und passiver Sicherheit. Das Gefährdungspotenzial mag höher sein. Aber wie hoch ist eigentlich das Gefährdungspotenzial des Nutzers in einem VM? Die Beantwortung dieser Frage ist für viele Industrien, die gefährliche Produkte produzieren und in Verkehr bringen, nicht wahlfrei. Es gibt Industrienormen dafür, in manchen Branchen sogar EU-Vorgaben. Normen sind keine Gesetze, aber wer sie nicht einhält, trägt ein Haftungsrisiko. Ein Verfahren, um Gefährdungen und die daraus resultierenden Risiken und angemessene Schutzmaßnahmen zu bestimmen, ist die Common Safety Method. Dabei werden Gefährdungsfaktoren aufgedeckt und mit Wahrscheinlichkeiten bewertet. Es entsteht ein individuelles und kollektives Risiko, dass abgewogen wird gegen akzeptable Restrisiken. Eine verbleibende Risikodeckungslücke muss durch Maßnahmen, z.B. Konstruktionsänderung, Warnaufkleber, Nutzungseinschränkungen, geschlossen werden.
In der Autoindustrie ist so etwas schon lange üblich. Ohne Anwendung solcher Methoden wäre das Inverkehrbringen eines Kfz viel zu riskant und nicht versicherbar, in den USA schon gar nicht, aber auch in Europan nicht.
Die VM Hersteller scheinen sich da keinen großen Gedanken zu machen. Einzig auf der Webseite vom Milan-Hersteller findet man einige explizite Aussagen zum Thema Sicherheit.
Diese Fahrlässigkeit kostet Menschenleben, das ist nicht akzeptabel.
Ich würde die Diskussion, auch wenn ich darauf eibiges zu antworten hätte, an dieser Stelle gerne abbrechen – in meinem Nachruf ging es um Christian von Ascheberg. Man kann das als Anlass nehmen eine allgemeine Sicherheitsdiskussion über Velomobile zu führen – im Forum, von mir aus auf G+ – an dieser Stelle würde ich sie ungern führen wollen, hier solll es um Christian gehen.