Gegen 06:30 Uhr kam Bewegung in unser kleines Lager und um kurz nach sieben Uhr waren wir dann abfahrbereit. Die Nacht war kühl, wegen des Lärms von der Autobahn und der nahen Landstraße – und vermutlich weil wir kurz vor dem Schlafengehen Kaffee, Tee und Zucker eingeschmissen hatten – hatten wir alle nur wenig geschlafen. „Nicht so schnell“ dachte wohl jeder von uns – und doch hatten wir nach kurzer Aufwärmphase schon wieder gute 30 auf dem Tacho. Was uns trieb war vermutlich das Verlangen nach einem heißen Getränk und einem Frühstück.
In Heyrothsberge kurz vor Magdeburg fanden wir einen Supermarkt mit angeschlossener Bäckerei und Fleischerei, wo es Brötchen, Spiegelei, Kaffee und Süßkram gab. Dort machten wir eine Frühstückspause, während sich draußen der morgendliche Dunst verzog und die Sonne durchkam.
Von hier war es nur ein kurzer Ritt nach Magdeburg, wo weitere Heißgetränkeversorgung und Geldnachschub auf dem Plan standen. Und wo wir einen freundlichen Motorradfahrer trafen, der sich zunächst für unsere Räder interessierte und den wir im Anschluß ob seiner Ortskenntnis zum besten Weg in Richtung Harz befragten. Dabei kristallisierte sich heraus, daß der weitere Weg irgendwann über die B81 gehen würde – welche am Wochenende stark befahren ist von den ganzen Touristen, die in den Harz strömten. Das klang stressig.
Wir machten erstmal einen kleinen Abstecher zum Magdeburger Dom. Da wir südlich aus der Stadt fahren mußten entschieden wir, statt durch den Stadtverkehr zu fahren dem Radweg an der Elbe ein wenig zu folgen.
Und als wir dann so durch die grünen Wiesen des Elbufers fuhren und uns die Sonne auf die Bäuche schien und unsere schmerzenden Beine streichelte, als wir darüber nachdachten, daß wir uns gleich über volle Landstraßen zu einem mittlerweile von Touristen überlaufenen Berg quälen wollten, darüber wie sich die ohnehin schmerzenden Glieder anfühlen würden, wenn wir oben wären und ob das überhaupt machbar sei – als wir über all diese Dinge nachdachten, da wurde uns klar, daß wir frei waren – frei, diesen Plan umzuwerfen und das Leben zu genießen.
Von einem extremen Ziel schwenkten wir ins Gegenteil: Extrem ungewzwungen wollten wir weiterfahren. Dem Elbradweg folgen, solange uns der Sinn danach stand und unser Lager aufschlagen, wo es uns gefiel. Wir dachten daran, vielleicht bis Dresden zu fahren. Vielleicht aber auch nicht. Und so fuhren wir. Auf verschlungenen Radwegen, über enge Pfade und auf schmalen Deichen. Geschwindigkeit, Schnitt, Strecke oder der Ort, an dem wir abends sein wollten: egal. Wir fuhren einfach. Wir aßen Pflaumen, die am Wegesrand wuchsen, wir pausierten, wann es uns gefiel. Und fühlten uns frei.
An einem Ort, wo wir anfingen uns zu überlegen, daß etwas zu essen nett wäre fanden wir zwar nichts zu essen, aber einen Fahrradladen, der geöffnet hatte. Und weil eine Schaltung, ein Ritzel und eine Kette (jeweils an einem anderen Rad) etwas Zuwendung gebrauchen konnten kehrten wir dort ein. Der etwas kauzige Besitzer taute mit der Zeit dann doch etwas auf, nachdem wir anfänglich nicht ganz sicher waren, ob er Lust hatte uns zu bedienen. Allein das war ein Erlebnis.
Weiter ging es zum nächsten „Restaurant“, die Anführungszeichen sind an dieser Stelle voll beabsichtigt. Das Essen war … naja, nicht giftig. Und das soziale Umfeld war … nennen wir es mal spannend. Ich bin mir noch immer nicht sicher, ob am Nachbartisch eine Folge Frauentausch gedreht wurde oder ob dort einfach nur der NPD-Ortsverband tagte. Aber die genannten Alternativen beschreiben das intellektuelle Niveau auf jeden Fall ganz gut. Dornburg hatte uns damit aber auch genug Realität (ich hoffe noch immer, es war ein Paralleluniversum) geliefert.
Wir fuhren einfach weiter. In Walternienburg verließ uns Phelim – der hatte sich die Tour wohl etwas anders vorgestellt (wir ja ursprünglich auch) und hatte vor allem in der letzten Nacht etwas gelitten, ohne Isomatte in Norberts BW-Zelt. Wir fuhren weiter. Durch einen Wald auf Schotterwegen. Danach kehrten wir erstmal im nächsten Dorf in ein Cafe ein – kalte Getränke, Kuchen, Eiskaffee lockten – und wegen des Schlafmangels in der letzten Nacht wurden wir langsam müde.
Deshalb legten wir uns zwischen Brambach und Neeken an einem Friedhof in den Schatten einiger Bäume und schliefen erstmal eine Runde. Am Friedhof konnten wir auch Wasservorräte gut auffüllen und die von der letzten Nacht noch feuchten Schlafuntensilien trocknen.
Weiter gings, doch der nächste Zwischenstopp kam bald: ein Supermarkt, wo wir unser Abendbrot zusammenstellten. Wir wollten noch bis zur Elbe und uns dann einen Platz für die Nacht suchen bevor es dunkel würde.
Bei Roßlau-Dessau überquerten wir die Elbe und folgten dann dem Elbradweg noch bis Vockerode, wo wir nahe einiger Sportschiffer und noch näher an ein paar Anglern unser Nachtlager am Elbufer aufschlugen. Über viel mehr als eine gute Unterhaltung und ein kleines Abendbrot kamen wir aber kaum noch hinaus.
Und dann gingen wir schlafen. Mit der Erkenntnis, daß wir die beste Entscheidung getroffen hatten in Magdeburg. Ohne die Fehler der vorigen Nacht hätte sich die Tour nie so entwickeln können, sichdieses Gefühl von Freiheit und Zufriedenheit kaum eingestellt. Ich bin sicher, daß und ein unter Touris ertrinkender Brocken den Spaß und die Erfüllung, diese Lust auf die nächste Tour niemals hätte so geben können.
Der Brocken läuft nicht weg und wenn auch anders, so werden wir ihn nochmal auf die Liste setzen. Aber nicht diesmal.