Als Liegeradfahrer wird man mit vielen interessierten Fragen, aber auch vielen Vorurteilen konfrontiert. Im Folgenden schreibe ich meine Antworten und Erfahrungen zu dem Thema auf. Wer im Internet bei anderen Liegeradfahrern schaut, wird an vielen Stellen ziemlich ähnliche Antworten und Erfahrungen finden.
Es gibt ein paar immer wieder gestellte Fragen – ich plane mittlerweile schon, die Antworten auf ein T-Shirt zu drucken…
Ist das denn bequem?
JA, es ist bequem!
Viele Menschen glauben, daß die Kopfhaltung zu heftigen Nackenschmerzen führen müßte. Ich fahre mit der HP Velotechnik Speedmachine einen Semitieflieger und habe den Sitz schon recht flach eingestellt. Dennoch: Die Haltung von Kopf und Körper ist ähnlich der, die man abends im gemütlichen Fernsehsessel einnimmt – da fragt keiner, ob das denn bequem sei. Ich empfinde mittlerweile das Überstrecken des Kopfes auf dem Upright als deutlich unbequemer. Probleme mit den Schultern, den Händen und dem Gesäß gibt es beim Liegerad auch nicht.
Wird man damit nicht übersehen?
JA, genauso wie auf jedem anderen Fahrrad!
Natürlich muß man, gerade im Stadtverkehr, der Geometrie und Höhe des Rades angepaßt fahren. Zwischen parkenden Autos hervorschießen oder einfach mal mit einem Blick über die parkenden Autos über eine Rechts-vor-links-Kreuzung zu schießen ist nicht angebracht. Die Blickhöhe ist knapp höher, als beim Porsche oder Ferrari. Im normalen Verkehr auf der Straße wird man genauso gesehen (und übersehen), wie mit dem Upright auch, ich konnte da noch keine gravierenden Unterschiede feststellen.
Fällt man damit nicht um?
NEIN, ganz offensichtlich nicht!
Es ist ein wenig Aufwand, das Liegeradfahren so zu erlernen, daß man die gleiche Sicherheit wie auf dem Upright hat. Nach ein paarmal kann man halbwegs anfahren. Nach 50 oder 100 Kilometern meistert man schon ein paar engere Kurven. Und nach 1000 Kilometern fragt man sich, wenn man mal wieder auf’s Upright steigt, ob das nicht irgendwie gefährlich hoch ist.
Ist man damit schneller?
JEIN, von nichts kommt nichts!
Liegeräder unterscheiden sich in ihren Bauformen und ihrer Geometrie zu sehr, um das allgemein sagen zu können – abgesehen davon steckt bei jedem Fahrrad der wichtigste Teil der Antwort in den Beinen desjenigen, der es antreibt. Einen vollgefederten gut ausgestatteten Reiselieger mit einem superleichten aufrechten Rennrad zu vergleichen wäre auch unangebracht. Im großen Überblick läßt sich sagen: Die Stirnfläche eines Liegerads ist in vielen Fällen geringer als die eines vergleichbaren Normalrades. Beim aufrechten Trekkingrad im Vergleich zu einem Tourenlieger ist der Unterschied allerdings deutlich extremer, als vom Ultratieflieger zum Hightech-Aufrecht-Rennrad. Von diesem Unterschied profitiert das Liegerad (das dafür oft etwas schwerer ist) auf der Ebene und wenn es bergab geht sehr stark. Am Berg oder in der Stadt, wo man häufig stoppen muß ist der Vorteil so nicht gegeben. Das Potential von Liegerädern sieht man aber bei einem vergleich von offiziellen Stundenweltrekorden (auf normalen Fahrrädern) und den erheblich darüberliegenden Werten auf teil- oder vollverkleideten Liegerädern (die dann von guten Amateuren gefahren wurden, nicht von Profis!).
Erfahrungen
In der ersten zeit, bis sich die eigene Muskulatur an das neue Rad gewöhnt hat, darf man nicht zuviel erwarten. Hat sich der Körper aber ersteinmal an das neue Gefährt gewöhnt, dann merkt man schnell, daß sich der Aktionsradius erweitert. Selbst mit erheblicher Zuladung fährt sich ein Liegerad wegen des niedrigen Schwerpunkts noch sehr angenehm. Die Geschwindigkeit bei Fahrten über Land ist höher. Durch den bequemen Sitz sind weniger Pausen (= Standzeiten) nötig. Beides zusammen wirkt sich auf die Durchschnittsgeschwindigkeit aus. Zusätzlich gibt es weniger Probleme mit Ermüdungserscheinungen, die Kilometerleistung pro Tag steigt erheblich.
Ein weiteres Vorurteil, das mir begegnete: Als Liegeradfahrer sieht man auf einer Tour nicht so viel wegen der niedrigeren Sitzposition. Dem kann ich mich ganz und gar nicht anschließen: Der Panoramablick ist durch die Sitzposition grandios! Auf einem Upright ist das Blickfeld deutlich stärker eingeschränkt, der Blick nach oben ist so wie auf dem Liegerad nur schwerlich möglich.
Und dann noch: Das Liegerad und der Berg. Ich muß zugeben, daß ich dazu noch nicht so viel sagen kann, es gibt hier in der Umgebung nicht so viele Berge – und jeder Alpenüberquerer wird mich auslachen, wenn ich mit dem Teufelsberg komme (60-70 Höhenmeter…). Trotzdem: Den Teufelsberg hochfahren oder über die Havelchaussee macht mir mit dem Liegerad nicht mehr aus, als mit dem Upright. Man fährt halt anders hoch. Kein Wiegetritt, sondern gleichmäßiges rundes pedalieren. Ich werde sicher niemanden auf einem 6-kg-Carbon-Rennrad einholen, aber ein voll ausgestattetes Tourenrad fährt mir bergauf nicht davon. Dennoch, ich plane in diesem Jahr noch etwas mit ein paar mehr Höhenmetern anzugehen bei meiner Vorbereitung für den Nordkapp-Trip. Danach weiß ich vielleicht mehr aus erster Hand.