Südwest 2011: Kenne Deinen Gegner

Montag, 12.09.2011

Vor dem Fenster meines Burgzimmers hing noch etwas Dunst, aber nach und nach kam die Sonne durch. Nach einem ausführlichen Frühstück geht es auch schon bald los. Die kommende Etappe ist geprägt von Höhenmetern. Zunächst aber geht es auf den Unstrut-Radweg. Fernab von Autos geht es entlang des Flüßchens Unstrut entspannend vorwärts.

Doch bald ändert sich die Landschaft, es wird zunehmend welliger. Ich kämpfe mich Steigungen hoch. Es scheint aber keine Gefälle zu geben, die für die Anstrengungen entlohnen.
Und vor allem gibt es in den Orten, durch die ich fahre zwar jede Menge Fahrschulen, allerdings keine Bäcker. Oder einen Bäcker, der geschlossen hat, so wie die meisten Gasthöfe. Ich entwickle die Theorie, daß es vielen Leuten offenbar wichtiger ist, hier wegzukommen, als etwas zu essen. Dabei ist die Landschaft eigentlich wirklich schön.

Nur eben so wellig. Und es geht niemal bergab. Glaube ich.

Geschätzt müßte ich mittlerweile mindestens 1000m über dem Meeresspiegel sein. Das GPS widerspricht und gibt eine kalibrierte Höhe von 230m an. Und langsam wird es mir klar. Mein Gegner heute sind nicht die Steigungen – es ist der Gegenwind. Vier Bft und Böen. Allerdings ist deutlich zu merken, daß auf der Leeseite, wo ich aufsteige, deutlich weniger Wind herrscht, an der Luvseite allerdings der Wind offenbar sehr viel stärker bläst. Selbst auf fünf-Prozent-Abfahrten (die steileren kommen erst später am Tag) sehe ich selten mehr als vieleicht 25km/h auf dem Tacho. In der Ebene sind es vielleicht 16 bis 17 km/h.

Irgendwann finde ich Gräfentonna endlich einen offenen Supermarkt. Brötchen. Kuchen. Eistee (mit Zucker, kein Süßstoff – gar nicht so leicht heute…).
Und weiter geht es. Nach wenige Kilometern ebschließe ich, meinen Beinen eine Pause zu gönnen. Und ich merke, daß ich meine Sonnencreme wohl erfolgreich runtergeschwitzt habe: die Haut spannt. Auf einer Wiese lege ich mich ins Gras. Nach kurzem grüßt ein weiterer Radler, wir unterhalten uns kurz.

Und dann wieder los. „Eisenach, dann hast Du’s hinter Dir!“ klingt mir in den Ohren, also rein virtuell, denn ich habe den Satz nur sinngemäß von Klaus auf Twitter gelesen. Er kennt die Strecke. Eisenach. So nah und doch so fern. Es scheint nicht näher zu kommen.

Irgendwann habe ich es dann aber doch geschafft. Nudeln und Apfelschorle. Ich wälze die Gedanken, wo ich heute übernachten werde. I

n Eisenach habe ich eine Hotel-Empfehlung in GPS, ber eigentlich ist mir nach dem Essen nach noch ein paar Kilometern. Die nächste größere Ortschaft ist Bad Hersfeld, 60km entfernt und nicht mehr im Hellen zu erreichen.Sicherheitshalber schaue ich nach Hotels, die lang genug eine besetzte Rezeption haben, gehe aber davon aus, daß ich eher noch etwa 30km fahren werde und dann eine Herberge am Wegesrand suche.

Hinter Eisenach geht die radweit-Route zu einem guten Teil über den Werra-Radweg. Dieser ist in Teilen gut ausgebaut, auf anderen Teilen ist Schotterbelag angesagt – und auf diesem Schotter auch ein paar Rampen, die es in sich haben.

Nach einer Straßenpassage über ruhige kleine Straßen geht es dann auf den nächsten Schotterabschnitt. Nach etwa einem Kilometer drehe ich entnervt um. Das gestrige Unwetter hat in Form von tiefen Schlammpfützen und und dicken Ästen seine Spuren hinterlassen, diese Wege sind für Tourenradler unpassierbar. Ich fahre über die Alternativroute auf der Straße.

Dre Track vereinigt sich irgendwann wieder und dann geht es erst über einen gut ausgebauten Streckenabschnitt, dann kommt wieder so eine richtig tolle Überraschung: der ausgewiesene Radweg scheint urplötzlich in einer Sackgasse, umgeben von elektrischen Viehzäunen, zu enden.

Ungläubig starre ich auf das Schild 50m zuvor, das einen schmalen Single-Trail als Weiterführung des Radwegs ausweist. Schlammpfützen erwarten mich, aber ich bin tapfer, immerhin gilt es keine Äste zu überwinden. Ganz klar ist aber: Planungsicherheit für jedes Wetter bieten diese Wege nicht.

Ich entscheide mich, da fast nur noch Straßenpassagen kommen, den Schatten und den nachlassenden Wind zu nutzen und bis Bad Hersfeld durchzufahren. Als ich merke, daß die schlimmsten Anstiege kurz vor Bad Hersfeld kommen ist es zu spät für eine andere Entscheidung. Dunkelheit setzt ein, in den kleinen Dörfern sind keine Unterkünfte zu bekommen. Aber ich mag Fahrten bei Nacht und setze intensiv auf den folgenden Abfahrten mein Fernlicht ein (auf den Anstiegen mit 7 bis 8 km/h ist das reichlich unnötig). Speziell auf dem Salztalradweg kurz vor dem Ziel ist das Licht eine große Hilfe. Andererseits: ohne diese Scheinwerfer wären die Rehe vielleicht auch so vom Weg gesprungen und hätten sich nicht erst bitten lassen müssen (durch Abblenden).

Am Rande von Bad Hersfeld stelle ich gnadenlos auf Autorouting vom avisierten Hotel um und bin nach nichtmal einem Kilometer dort. Mein Rad bekommt einen sicheren, trockenen Garagenplatz, ich habe ein nettes Zimmer, morgen gibt es Frühstück und im Hause ist ein kroatisches Restaurant. Und vor der Tür eine Tankstelle, um mir noch etwas anderes als Leitungswasser mit aufs Zimmer zu nehmen. Mein brachialer Sonnenbrand fordert Tribut, auch in Form von großem Durst.

175km liegen hinter mir.

Südwest 2011: Sonne, Unwetter, Gastfreundschaft

Sonntag, 11.09.2001

Nach dem Aufwachen begrüßt uns blauer Himmel. Schnell haben wir gepackt und stärken uns am Frühstücksbuffet. Gegen 09:30 Uhr machen wir uns auf den Weg. Kurz auf die Karte schauen, wo man am besten wieder auf den Track zurück kommt, dann geht es los. Die Temperatur steigt unaufhaltsam, 25°C, 27°C, 29°C und die Sonne brennt. Leider liegt auch eine drückende Schwüle in der Luft. Und es weht ein scharfer Gegenwind, wir sehen die Windräder immer nur von hinten.

Klaus‘ Plan ist es, in Halle einen IC zu erreichen, die einzig stress- und umsteigefreie Rückfahrtmöglichkeit und so hängen wir uns rein. Natürlich wird nicht übertrieben, aber wir wechseln uns ab, unterhalten uns wenig ziehen unseres Weges. Das Gelände wird wellig, keine wirklich heftigen Anstiege, aber es läppert sich einiges zusammen.

Die Strecke nach Halle ist angenehm zu fahren, aber im wesentlichen eher ereignislos. Keine herausragenden Landmarken, keine wirklich spannenden Streckenabschnitte. In Halle trennen sich unsere Wege, als Klaus irgendwann vom Track abbiegt und einer großen Hauptstraße nicht ganz wie von den Verkehrsplanern für Fahrräder beabsichtigt zum Hauptbahnhof folgt.

Ich durchfahre Halle auf dem Radweit-Track, weitestgehend, an einer Stelle gibt es eine keine Abkürzung, vermutlich neu, nach einer einer angenehmen Fahrt durch einen langgezogenen Grünstreifen geht es dann auch bald wieder raus aus der Stadt. Ich beschließe bei nächster Gelegenheit eine Pause zu machen, über dem heißen Asphalt ist das Thermometer bei 31°C festgenagelt.Neben der Strecke finde ich einen schattigen Platz mit Selbstbedienung. Da mir die Gerichte nach dem KOnzepot fettiges Fleisch mit schwerer Soße (ausnahmslos alle!) nicht gefallen, nehme ich ein Eis und eine Apfelschorle und spekuliere darauf, demnächst vielleicht noch an einem Café vorbeizukommen. Außerdem liegt ja in absehbarer Entfernung noch der empfohlene Leimbacher Gasthof auf dem Weg, den ich für mein Mittagessen vorgesehen habe.

Das mit der absehbaren Entfernung entpuppt sich allerdings als Fehler. Der kräftige Gegenwind gepaart mit dem stetigen Anstieg in höheres Gelände, immer nur ganz geringe Prozentzahlen, aber die können mehr nerven als eine faire Steigung, zehren an den Kräften. Immer wieder wird meine Hoffnung auf ein Café oder ähnliches bitter enttäuscht. Zudem divergieren die autokalibrierende Höhenangabe auf dem GPS und die unkalibrierte auf dem Tacho zunehmend: der Tacho liegt mit seinen Angaben mittlerweile dutzende Meter über dem GPS, ein sicheres Zeichen für fallenden Luftdruck.

Noch 15km bis zum Gasthof. Durchhalten. Ich schwitze. Trotz Sonnencreme macht sich Sonnenbrand bemerkbar. Gegenwind.

Noch 10km bis zum Gasthof. Hungergefühl steigt auf. Ein sicheres, daß ich schon längst hätte essen sollen.

Noch 5km bis zum Gasthof. Tankstelle. Ich schlinge ein Sandwich hianunter, trinke ein Malzbier, esse zwei Schokoriegel. Die Beine schreien. Nicht gut.

Dann endlich der Gasthof. Dringend brauche ich jetzt die Pause. Apfelschorle, ein ordentliches Essen. Draußen zieht sich der Himmel zu. Die Regenprognose von gestern abend kündigte den Regen zwischen 17 und 19 Uhr. Es ist 15 Uhr. Eine Stunde Pause muß sein. Bevor das Essen nicht wirkt brauche ich kaum weiterzufahren. Ich bin über den Hungerpunkt, es ist schwer zu essen, aber ich tue es. Draußen ein paar jugendliche, die mein Fahrrad interessiert begutachten. Ich nehme mir etwas Zeit für sie, um mich abzuhalten, zu schnell weiterzufahren. Aber die Zeit drängt, das Regenradar läßt schlimmes erahnen.

Als ich weiterfahre sind es noch 30km bis Heldrungen. Das Essen liegt schwer im Magen. Nicht daß wir uns mißverstehen: hervorragendes Essen, aber mein Körper weigert sich, es so schnell zu verdauen, wie ich es jetzt bräuchte. Käme auf dem Weg eine passende Unterkunft, ich würde sie nehmen. Es kommt aber keine.

Abbiegung auf den Saale-Unstrut-Radweg, weg von den Autos. Es wird dunkler, vor mir eine schwarze Wand, sie zieht scheinbar wuer vor mir vorbei, ich muß von meinem Westkurs südwärst abbiegen, dort sieht es heller aus. Aber die Wand kommt trotzdem näher, bedrohlich nahe.

Kurz vor erreichen der Straße pfeifen plötzöich von einer Sekunde auf die andere Sturmböen über mich, die ersten Regentropfen. Mit erreichen der Straße wird der Regen stärker. Blitze zucken durch die Luft. Keine Bushaltestelle oder ähnliches weit uns breit, nur Bäume – und die sind bei Gewitter eine schlechtere Wahl als offenes Gelände. Ich sichere alle empfindlichen Dinge in meinen wasserdichten Taschen, ziehe die Regenjacke über, suche eine Lücke. Licht an und rauf auf die Straße. 10km noch bis Heldrungen. eine halbe Stunde, vielleicht etwas mehr. Ich werde naß sein, aber das ist auszuhalten.

Ein Sturmböe trifft mich von dwer Seite, das Auto hinter mir muß scharf bremsen, da ich unvermittelt auf die Gegenfahrbahn schieße. Scheiße. Ich kämpfe mich zurück an die rechte Seite. Neben mir ein Straßengraben, Bäume, die Laub und Äste verlieren. Der Wind peitsch mir seitlich so ins Gesicht, daß es schmerzt. Die nächste Böe, wieder auf die Gegenfahrbahn, nur mit mühe komme ich zurück auf die rechte Fahrbahnseite. Ich muß runter von der Straße, das ist lebensgefährlich. Aber wohin?

Auf einem Feldweg 200m entfernt auf der linken Seite steht ein Traktor mit einem Wohnwagen, eine Person schaut aus der Tür. Ich beschließe, dort nach Unterschlupf zu fragen. Der Wind drückt mich nach links, ich biege ab, lasse die Speedmachine mit den schweren Taschen in Windrichtung stehen, klopfe an die Tür. Mir wird geöffnet, ich werde eingelassen. Ein älterer Herr, er kommt gerade von einem Lanz-Bulldog-Treffen. Gemeinsam warten wir um Wohnwagen, der von Sturmböen und vom laufenden Traktor durchgeschüttelt wird.

Irgendwann wird der Regen, dann auch der Wind weniger. Da das Gespann auch noch gute zwei Stunden Fahrt vor sich hat, heißt es raus in den Regen und ab auf die Straße. Der Wind ist stark, aber beherrschbar.

Das schlechte Wetter treibt die Autofahrer zu noch wilderen Überholmanövern als sonst, ich fühle mich nicht wohl auf der Straße. In Reinsdorf winkt ein Mann am Straßenrand. „Das ist aber nicht so ein gutes Wetter zum Radfahren!“ Ich bleibe stehen, schaue nach dem Weg, das GPS-Display ist kaum zu erkennen mit dem vielen Wasser. Und werde auf einen Kaffee und ein Dach über’m Kopf eingeladen.

Und nicht nur das: Mein Rad kriegt einen trockenen Platz, ich einen Satz trockener Klamotten und meine nassen Radklamotten wandern in den Trockner. Wäre ich nicht immernoch satt, ich hätte sogar noch zu essen bekommen. Wahnsinn, daß es so eine Gastfreudschaft in Deutschland noch gibt heutzutage – für einen Wildfremden! Ich bin total überwältigt. Und dankbar. Ich kann ausruhen, mir geht es langsam besser, die Motivation kehrt zurück.

Ich rufe die Jugendherberge auf der Wasserburg in Heldrungen an, es gibt noch einen Platz für mich. 6 bis 8 Kilometer über einen ruhigen Radweg stehen mir noch bevor. Ich warte den Regen ab, dann geht es los.

Der Radweg ist super – bis auf eine kleine Stelle, wo gerade Baustelle ist. Das wäre unter normalen Bedingungen nicht schlimm, in diesem Fall hat der heftige Regen zu einer ca. 5cm tiefen Schlammkuhle geführt. Ich fahre langsam hindurch, bis zu einem Punkt, wo eine Steinkante kommt, die ich unmöglich hinauffahren kann. Ein beherzter Schritt in den Matsch. Hinterher klebt soviel davon in meinem Schuhen, daß ich erst den Inhalt meiner Trinkflasche opfern muß, um wieder einklicken zu können!

Leichter Regen setzt ein, ber der Wind läßt nach. So komme ich an der Wasserburg an. Ich bekomme ein nettes Zimemr, sogar noch einen Salat zum Abendbrot, kann duschen und mein Rad steht sicher und trocken. Ich breite meine Klamotten aus. Der Trocknergang zwischendurch hat dafür gesorgt, daß diese in einem Zustand sind, daß sie in absehbarer Zeit wirklich wieder trocken sein werden.

Was für ein Tag! 118km stehen auf dem Tacho. Reicht aber auch.

Südwest 2011: Start!

Samstag, 10.09.2011

Die Woche war hart, die Vorbereitung schleppend, erst Freitag abend um kurz vor 23 Uhr war alles fertig. Für den Samstag war ich um 09:30 Uhr mit Klaus verabredet, der mich auf der ersten Etappe meiner Tour begleiten wollte. Bevor er auftauchte ging ich nochmal zur Bank und frühstückte beim Bäcker, dann packte ich die frisch gefüllte Wasserblase und eine Flasche mit einem Wasser/Saft-Mix ans Rad … und knack das Halteblech für den Getränkehalter unter dem Sitz brach. Was für ein Auftakt. Ich beschloss einen Umweg über meinen Händler zu machen, vielleicht hat der ja eines vorrätig.

Unten vor der Tür, Klaus kommt gerade an, Gepäck ans Rad, im das Malheur mit dem Getränkehalter präsentiert, GPS gestartet, aufs Rad gesetzt, einklicken, losfahren … es klickt aber nicht. Nanu? Von meinem Gang zur Bank habe ich noch die normalen Straßenschuhe an… Also nochmal hoch, Schuhe wechseln. Dann rüber zu Feine Räder, dieses spezielle Teil, das ich jetzt brauche, ist aber nicht auf Lager. Aushilfsweise wird mit Kabelbinder geflickt, das hält auch erstmal. Vielleicht komme ich ja auf dem Weg nach Südwesten noch bei einem Händler vorbei, wo ich mir das fragliche Teil hinbestellen kann.

Und dann endlich: los. Es geht über meine Stammstrecke, den Kronprinzessinnenweg, raus über den Schäferberg und durch Potsdam. Am Schwielowsee entlang und bei Ferhc auf den R1. Auf der Radweit-Strecke nach Dessau geht es bei zunächst wolkigem, aber mit guten 22°C warmen Wetter gut vorwärts. Eine Bäckerpause haben wir schon hinter uns, in Brück packt uns der Hunger und wir kehren beim Gasthof Stadtmitte ein. Gulasch mit Nudeln, viel zu trinken und zum guten Ende noch ein Eis für faire Brandenburger Preise.

Gut gestärkt geht es weiter und jetzt wagt sich langsam auch die Sonne hervor. Schon bald kommen die ersten sanften Höhenmeter (von Bergen spreche ich bewußt nicht). Dessau, unser Etappenziel kommt näher. Ein Anruf bei der Jugenherberge ergibt, daß wirklich heut keine Plätze mehr frei sind, also fahren wir ersteinmal weiter. Am Ortseingang Dessau beginnt dann die Hotelsuche, wir entscheiden uns für ein Hotel Garni knapp südlich von Dessau, wo wir dann auch nach 140km einkehren (für Klaus natürlich ein paar mehr).

Ein elegante Doppelsuite im besten Ost-Charme erwartet uns, durch das Grillfest im Hof, bei dem wir freundlicherweise noch mitessen dürfen werden werden wir entschädigt. Ein Verdauungsrundgang im Dorf rundet den Abend ab.

Beleuchtung, E-Werk, Pufferakku

Ein lang laufendes Projekt war das Fernlicht an der Speedmachine. Der Scheinwerfer ist lang schon fertig, an der Elektronik wurde gefeilt,die Verkabelung erwies sich am Ende als einer der größten Brocken.

An den Scheinwerfer kommt man konstruktionsbedingt beim Liegerad während der Fahr schlecht ran. Weder kann man ihn verstellen, noch ein- bzw. ausschalten. Zudem wird bei mir über den Dynamo noch das B&M E-Werk gespeist, um zwischendurch Akkus von GPS, Telefon oder ähnlichen Gerätschaften (bis hin zum Netbook) laden zu können. Laden und Licht gleichzeitig ist bei einer parallelen Verschaltung nur bedingt (mit begrenztem Ladestrom) möglich, eine Reihenschaltung ist auch nicht ohne, da dann mit dem Ausschalten des Edelux auch kein Strom mehr zum E-Werk fließt. Ich entschied mich also für die Möglichkeit der Umschaltung zwischen E-Werk und Licht.

Weiterhin wollte ich ein zuschaltbares Fernlicht (dynamogespeist) haben. Der Edelux leuchtet zwar den Weg sehr gut aus, ist er allerdings so eingestellt, daß er niemanden blendet, leuchtet er für meinen Geschmack gerade bei der flachen Anbringung an der Speedmachine mit dem entsprechend flachen Winkel zur Straße nicht weit genug voraus. Das Fernlicht sollte nach oben anbegrenzt sein und auch die Straßenrändern ausleuchten.

Auf Basis von Framstags Müller entstand also ein Doppelscheinwerfer mit der passenden Charakteristik. Dazu eine Box mit der Elektronik und eine abgesetzte Schaltbox, mit der zwischen Licht und E-Werk, Fernlicht via Dynamo und optional Fernlicht auf Batterie-Betrieb umgeschaltet werden kann und die während der Fahrt bequem erreichbar ist.

Nach dem (vorläufigen, für den Testbetrieb) Anbau der Komponenten, derzeit noch ohne Batterie-Option, nahm ich eine Grobeinstellung der Scheinwerfer vor und dann … brach ein Gewittersturm los und hielt mich davon ab, den insgesamt 16km langen Weg über die dunkle Krone nach Hause anzutreten. Also erstmal abwetter, im Club A18 noch schön essen und später losfahren.

Blitze zucken, Donner grollt, starker Regen prasselt herab. Regenzeug hatte ich nicht dabei, der Plan hieß bei solchem Wetter dann einfach die paar Meter zur S-Bahn zu rollern und mit dieser nach Hause zu fahren. Nach 300m auf nichteinmal hlabem Weg zur S-Bahn war ich naß bis auf die Unterhose. Warum also nicht doch einfach den gesamten Weg nach Haus fahren? Kalt war es schließlich nicht.

Es war kurz nach Mitternacht. Die Straßen leer und naß. Es blitzt immer wieder am ganzen Himmel, Sturzbäche entschwinden in gurgelnden Strudeln in den Gullis am Straßenrand. Ein idealer Zeitpunkt, eine Strecke durch den Wald zu nehmen. Die Besatzung eines Streifenwagens schaut – ob jetzt irritiert oder mitleidig kann ich nicht sagen – im Vorbeifahren, sonst treffe ich niemanden. Es ist fast gespenstisch.

Nikolassee biege ich auf den Kronprinzessinnenweg ein. Am beleuchteten Teil reicht mir der Edelux, dann geht es auf den unbeleuchteten Teil, es ist niemand zu sehen … Fernlicht an! Die Straße wird deutlich weiter ausgeleuchtet im hellen Fokus des Fernlichts. Die Begrenzungsbaken erstrahlen bis zur Abbiegung der Havelchaussee hell. Obwohl der Regen und die nasse Straße viel Licht schlucken ist der erste Eindruck eine sehr gute Ausleuchtung. Als es auf den dunklen Steil der Krone geht, wo keine Begrenzungsbaken mehr am Rand stehen, wird deutlich, daß auch die Ausleuchtung seitlich des Weges und bis nach oben in die Baumkronen über dem Weg gegeben ist. Genug, um Tiere und anderes am Wegesrand zu entdecken. Durch die große Breite der Ausleuchtung entsteht ein guter Eindruck von der Umgebung, was ein besseres Gefühl von Sicherheit verleiht als der alleinige Schein des Edelux.

Der Sturm hat Äste und Blätter auf dem Weg verteilt, die schon von weitem sichtbar sind. Würde mich der Regen (und meine Müdigkeit) nicht bremsen, könnte ich selbst bei diesen Bedingungen sicher noch schneller fahren, so begnüge ich mich mit etwa 25 km/h, die Regentropfen prasseln hart genug auf mich ein.

In Grunewald biege ich wieder auf beleuchtete und befahrene Straßen ein und schalte das Fernlicht daher ab. Nur auf der Hagenstraße kann ich vor mir irgendwann etwas auf der Straße erahnen. Es sind drei Personen, im Lichtkegel des kurz aufgeblendeten Fernlichts klar erkennbar, die, obwohl sie mit dem Rücken zu mir laufen, sofort zur Seite gehen, als das Licht sie trifft.

Bedienbarkeit und Lichtausbeute sind perfekt, der erste Praxistest der Anlage gilt damit als bestanden mit Bestnote.

Zu Hause angekommen ziehe ich mir die klitschnassen Klamotten vom Leib und gönne mir eine Dusche. Trotz Gewitterm Blitzen, Donner und des heftigen Regens hat die Heimfahrt Spaß gemacht.

Hinter dem E-Werk habe ich jetzt auch noch einen Pufferakku. Bei langsamen Fahrten mit vielen Stops (Eisdielencruising oder Naviki-Tracks) schaltet das Handy das Display ständig ein, um mitzuteilen, daß jetzt geladen wird oder auch nicht mehr, dadurch verbraucht es am Ende mehr Strom, als es bei den langsamen Fahrten bekommt. Der Pufferakku sollte dies effektiv verhindern, für lange Fahrten mit ausreichend Geschwindigkeit und wenigen Stops ist er für meine Geräte sonst nicht unbedingt ein Muß, gibt aber die Möglichkeit, am Rad auch mal schnell noch weiterzuladen, wenn man gerade steht.

Spaß mit Naviki: Querfeldein über Stock und Stein

Der webbasierte Routingdienst Naviki verfolgt ein interessantes Konzept: Neben der Kartenbasis aus OpenStreetMap verfügt Naviki über einen eigenen Wegenetz-Layer, der größtenteils aus benutzergenerierten Tracks erstellt wird. Auf diese Weite soll ein Netz fahrradfreundlicher Strecken entstehen, die das automatische Routing ergänzen.

Bisher hatte ich Naviki vor allem genutzt, um einen groben Track zu erhalten, anhand dessen ich eine auf meine Bedürfnisse zugeschnittene Route erstellen konnte. Dabei fiel mir allerdings häufiger schon mal auf, daß die Tracks teils über interessante Strecken führten, ich schenkte dem aber keine besondere Aufmerksamkeit.

In einem Anflug von Abenteuerlust nahm ich mir also vor, einmal auszuprobieren, was einem unbedarften Nutzer passiert, der für eine 80km bis 100km lange Fahrt, wie sie für viele Radtouristen üblich ist, einfach nur den erzeugten Track aufs GPS läd und diesem dann folgt. Als Startpunkt wählte ich meinen Wohnort im Südwesten Berlins, Ziel sollte die Lutherstadt Wittenberg sein – Einstellung „fahrradfreundliche Route“.

Natürlich fuhr ich nicht völlig blind drauf los. Ich machte aus dem Track zusätzlich noch eine Route und begutachtete das Ergebnis dabei. Auffällig: Der Track führt erstaunliche geradlinig durchs Land. Bei näherer Betrachtung wird klar, warum: Aus Berlin raus führt der Weg über gut fahrbare Straßen, als das Straßennetz dünner wird, sind viele „Abkürzungen“ quer durch den Wald enthalten.

Hierbei wird auf der OSM schon sichtbar, daß es sich nicht nur um einfache Wege handelt, sondern durchaus als Grade 3 bis Grade 5 gekennzeichnete Pfade dabei sind. Unsurfaced oder Grade 1 in der OpenStreetMap bedeutet, daß zwar kein Asphalt vorhanden ist, der Weg in aller Regel mit einem normalen Tourenrad noch problemlos bezwingbar ist, auch mit Reisegepäck. Grade 2 bedeutet schon eine recht ruppige Piste, die nach einem Regen oder ähnlichem schonmal zu einem echten Ärgernis werden kann. Alles darüber hinaus, als die Grade 3 bis 5 sind für einen durchschnittlichen Radtouristen aber auch für mich mit dem Liegerad schon eine Herausforderung, selbst bei gutem Wetter wäre hier ein Crosser oder ein Mountainbike eher das Mittel der Wahl.

Ich wollte es aber nunmal wissen. Ich setze mich auf meine (nicht beladene) Speedmachine und fuhr los. Angenehme Reisegeschwindigkeit, raus aus der Stadt auf wirklich guten Wegen, die Umfahrung der Autohölle beherrscht das System definitiv. Dann die erste Abbiegung auf einen Waldweg. Ich komme nur noch mit maximal 10 km/h voran, der Untergrund ist teils sandig, immer wieder muß ich absteigen und schieben. Die Abkürzung gegenüber dem Haken auf der Landstraße ist nicht so gewaltig, daß es sich zeitlich lohnt. Ich überlege, das Experiment abzubrechen, entscheide mich aber schließlich doch zur Weiterfahrt auf dem Track.

Zwischen Tremsdorf und Fresdorf treffe ich wieder auf die Straße (ein Plattenweg, aber in dieser Situation eine Erlösung!) und habe erstmal wieder ein paar Kilometer bis Rieben auf ruhigen und gut fahrbaren Landstraßen vor mir. Kurze Pflastersteinabschnitte gehören auf brandenburgischen Dörfern dazu und sind kein Grund zur Beunruhigung.

Ab Rieben bis kurz vor Kemnitz folgt ein langes Stück quer durch einen Wald. Weite Teile sind nur schiebend zu bewältigen. Tiefer Sand, hohes Gras, von landwirtschaftlichen Fahrzeugen gezogene Furchen und ein Weg, der zugewachsen und von umgestürzten Bäumen versperrt ist. Gelände, auf dem man teilweise vermutlich sogar ein MTB durch die Gegend trägt. Der 60-jährige Radtourist auf dem Kettler-Alu-Rad mit Wochenend-Gepäck stünde hier wahrlich aufgeschmissen mitten im Wald und müßte mühsam nach einer Umkehr herausfinden, wie er auf einer Alternativroute wieder auf seinen Track zurückkommt. Die Umfahrung via Dobbrikow, Nettgendorf und Zülichendorf wäre unwesentlich länger, aber bei weitem schneller und leichter zu fahren.

Nach ein paar erholsamen Kilometern auf einer Landstraße geht es hinter Bardenitz wieder auf sandige Waldwege. Nicht mehr ganz so schlimm wie zuvor, größtenteils ohne Abzusteigen fahrbar, wenn auch nur sehr langsam geht es nach Danna. Via Klausdorf, Lindow, Eckmannsdorf wäre auch hier eine duetlich schneller und besser fahrbvare Alternative auf ruhigen Straßen vorhanden gewesen.

Hinter Schönefeld geht wieder quer über die Felder. Schlaglöcher, Schotter und Sand sind meine Freunde, aber ich freue mich, daß es ohne längere Schiebestrecken machbar ist. Die Alternativroute über die Landstraße durch Zahna wäre auch hier die deutlich bessere Wahl. Ich stoße erst kurz vor Wittenberg wieder auf feste Straßen.

Mein Fazit: Die Idee hinter Naviki ist gut, allerdings ist das Ergebnis alles andere als befriedigend. Die Katastrophe kam mit Ansage: Aufgrund der in OSM enthaltenen Informationen wäre es problemlos möglich gewesen, hier eine weitaus fahrradfreundlichere Route zu erstellen, die nur unwesentlich länger gewesen wäre, wenn ich mal davon ausgehe, daß die Zielgruppe für Naviki nicht Mountainbiker sind. Ohne erhebliche manuelle Nachbesserung würde ich derzeit nicht empfehlen, den Tracks zu folgen. Um einen Einzelfall auszuschließen habe ich mir noch eine Route von Gransee nach Waren (Müritz) erstellen lassen, der ich am nächsten Tag dann aber nur noch teilweise gefolgt bin – auch hier ging es wieder querfeldein, hätte ich nicht nachgebessert, hätten auch hier lange Schiebestrecken gedroht.

Berlin-Wittenberg