Wiesenburg/Mark – Halle

Am Abend zuvor war ja bereits klar: In Wiesenburg gibt es kein Frühstück am Sonntag. Wir hatten also im Supermarkt vorgesorgt, Tee und ein paar Schokobrötchen gekauft (“Jean-Luc Schokobrötchen, Captain der Enterprise” oder so). Da wir beide recht früh wach waren, ging es nach Packen, Frühstück und Smalltalk mit dem Vermieter der Ferienwohnung schon um halb neun auf die Straße. Mit 4°C zeigte das Thermometer eher mäßige Temperaturen an, die allgegenwärtige Feuchtigkeit tat ihr übriges. Lange Handschuhe und die Softshell-Jacke mussten es schon sein.
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Aber die Sonne schien und tauchte die flache Landschaft zwischen herbstlich gefärbten Bäumen und Wiesen und Feldern über denen Nebelschleier lagen in ein wunderschönes Licht. Wärmer wurde es zunächst noch nicht, da wir einige Wälder durchquerten. Erst als wir uns Roßlau näherten und die Landschaft offener wurde, die Sonne höher stieg, kletterte auch das Thermometer.

Um die Mittagspause etwas rauszuschieben, machten wir in Dessau an der Tankstelle gleich an der Ortseinfahrt eine Pause und aßen noch Brötchen. Mittlerweile gab es zwar vereinzelte Wölkchen am Himmel, das Wetter hielt sich aber, bei 12°C frischte lediglich der Wind etwas auf. Das traf Timo auf dem Aufrechtrad natürlich etwas schlimmer als mich, aber auch wenn er etwas fluchte hielt er sich recht gut – verbrauchte dabei aber mehr Energie als veranschlagt: da es nicht so einfach war, auf dem Land am Sonntag etwas zu essen zu finden, hatten wir überlegt, ob wir es bis Halle schaffen würden. 15km vor Halle an einer Steigung mit kräftigem Wind von vorn drängte ich Timo dann ein Gel auf. Ich selbst merkte zwar auch langsam, daß nicht mehr viel da war, aber da ich ja nur bis Halle wollte und die nächsten Tage im Büro verbringen würde, entschied ich mich, mein letztes Gel dann lieber Timo zu vermachen für die weitere Reise.
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Das Gel tat seine Wirkung und danach ging es dann auch nur noch einmal bergan und gegen den Wind. Aus lauter Freude über den Blick über die Ebene und daß wir jetzt mit Seiten- bzw. fast etwas Rückenwind nur noch nach Halle runterrollen würden, verpassten wir unsere Abbiegung. Beim Versuch über einen fiesen G2-Track zu unserer Fahrradstraße abzukürzen verhedderten wir uns dann auch noch an undurchdringlichen Wegen, so daß wir die Schottersteigung auch gleich wieder zurück, nochmal (mit Rückenwind) auf den Hügel hoch mussten. Aber wer mal mit mir gefahren ist, der weiß, daß das nie so ganz ohne Abenteuer abgeht. Sorry, Timo!

In Halle steuerten wir – ab vom eigentlichen Track, die Altstadt an, wo die Chance auf ein Essen am größten war. Lars, Rennradler aus Halle, gesellte sich nach einem Anruf meinerseits noch zu uns, ich hatte ihn ja auch schon lange nicht gesehen. Nach dem Essen trennten wir uns. Timo fuhr weiter, Lars nach Hause und ich zum Bahnhof.

Während des Essens sah ich eine Mail, die mich darauf hinweis, daß mein gebuchter IC nicht in Halle halten würde heute Abend. Während des Essen ignorierte ich das und schaute nicht nach Verbindungen, weil ich mich nicht unnötigem Streß aussetzen wollte. Anschließend fuhr ich zum Bahnhof, um mir im Reisezentrum eine alternative Verbindung heraussuchen zu lassen und ggf. die Anpassungen an der Fahrkarte dort gleich zu machen.

Im Reisezentrum stieß ich zunächst auf Erstaunen, als ich behauptete, mein Zug hielte heute nicht in Halle. Nach einigem hin und her war das aber geklärt. Ebenso geklärt war, daß es mir nichts helfen würde, den Zug in Leipzig abzupassen, da er da genauso wenig halten würde. Am Ende wurde es dann eine Regionalbahn nach Magdeburg, dort Umstieg in den RE nach Berlin. Statt 01:15h Fahrtzeit ohne Umsteigen also ungemütliche Regionalzüge, Umsteigestreß, und über drei Stunden Fahrzeit – fast dreineinhalb, wenn ich die Verspätung des RE einrechne.
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Im RE gab es vier Toiletten. Drei waren von Anfang an defekt. Das bescherte dem WC im Wagen, in dem ich saß, einen stark erhöhten Zulauf – der Zug war ziemlich voll. Mal abgesehen davon, daß ich gerne den Interface-Designer kopfüber in der Toilette versenken würde, der sich dieses System mit den drei Knöpfen neben der Tür ausgedacht hat – wirklich niemand, der zum ersten mal das Klo im RE benutzt kommt damit zu recht und warum ist auch offensichtlich – hielt die sanitäre Einrichtung dem gesteigerten Ansturm auch nur bis ca. Brandenburg stand. Dann ging das Lämpchen “WC defekt” auch dort an und die Tür ließ sich nicht mehr öffnen. Zu diesem Zeitpunkt warteten acht nervöse Menschen dort. Die Stimmung war auf dem Nullpunkt. Ich überlegte kurz, einen weiteren Tweet an die Bahn zu senden – entschied mich dann aber aus Angst, der Zug würde in irgendeinem brandenburgischen Kaff dann aus dem Verkehr gezogen und ich käme noch später nach Hause dagegen.

Jeder, der mich kennt, weiß, daß ich nicht unbedingt zu den typischen Bahnmeckerern gehöre, die bei jeder Kleinigkeit ihre Tiraden ablassen. Aber das war einfach gestern eine rundum schlechte Erfahrung. Das einzige, was wirklich gut funktionierte, war die Vorabinformation über die frühzeitige Mail. Alles weitere hatte eher mäßige Servicequalität.

Tour der Extreme: Dritte Etappe

Elbe am MorgenSei es wegen der Müdigkeit, sei es, weil wir diesmal einfach einen deutlich besseren Platz für unser Nachtlager gewählt hatten oder eben einfach so: Als wir morgens aufwachten, hatten wir alle gut und lange geschlafen. So packten wir gut gelaunt unsere Zelte ein und fuhren los in Richtung Wörlitzer Park.

Um diese Uhrzeit ist in diesem Park noch nichts los, so daß wir getrost die “Radfahren verboten” Schilder ignorierten und einmal quer durch den Park fuhren, der von der Feuchtigkeit der Nacht in der Morgensonne funkelte – völlig menschenleer. Wir überquerten eine Hängebrücke, wir erklommen einen der künstlichen Felsen und wir genossen die wunderschöne Landschaft.

Da sich allerdings ein leichter Frühstückshunger breitmachte, beschlossen wir in den Ort Wörlitz zu fahren. Im Park WörlitzSchnell war klar, daß ein offener Bäcker an einem Sonntag hier eine illusorische Vorstellung war, es gab allerdings ein kleiens Lokal, wo wir einkehren konnten und für sieben Euro ein ausgiebiges Frühstück bekamen.

Norbert verabschiedete sich schon etwas früher, er wollte einen früheren Zug von Lutherstadt Wittenberg nach Berlin nehmen, um seinen Sohn noch sehen zu können. Lars und ich blieben noch etwas und machten uns dann in gemütlicher Fahrt auf den Weg nach Wittenberg.

In Wittenberg schauten wir uns die berühmte Kirche mit den Thesen an, aßen die letzten Vorräte auf einer Wiese direkt daneben auf und gönnten uns dann am Markt noch ein Frappé und Kuchen, bevor auch wir den Bahnhof aufsuchten und uns in den RE nach Berlin drängelten (naja, ich hab schon schlimmeres erlebt).

GPS Track vom 23.08.2009

In Berlin angekommen machten wir den dummen Fehler, am Potsdamer Platz auszusteigen, um von dort zum Hauptbahnhof weiterzufahren – wir hatten nicht daran gedacht, daß die Leichtathletik-WM ja gerade in den letzten Zügen lag und so war dieser Teil der Stadt gerammelt voll…

Auf dem mühsamen Weg durch die Menschenmassen entdeckte lars eine Gruppe Japanerinnen – und in Anbetracht seiner anstehenden Japan-Tour wollte er vorbereitenderweise herausfinden, was denn Liegerad auf Japanisch heißt. Es entwickelte sich folgendes kleine Theaterstück:

Am Markt in Lutherstadt WittenbergL: “Do you speak english?”

J: “Yes! Yes!”

L: “Could you tell me, what this kind of bike is called in japanese?”

J: “Yes! Yes!”

(Schweigen aller Beteligten)

L: “Err… I need to know the japanese word for this bike. How do you call this?”

J: “Yes! Yes!”

L: ??!

J: “Thank you!” (verlassen die Bühne)

Lars quittierte dies mit der Feststellung, daß sein Japan-Trip kommunikativ recht interessant werden könnte.

Am Hauptbahnhof nahm Lars dann deie Variante mit den Regionalzügen, da es im IC keine Plätze mehr gab und mußte sofort los. Ich drehte noch eine kleine Runde durch Berlin, um wenigstens die 300km noch voll zu bekommen.

Tour der Extreme: Zweite Etappe

Gegen 06:30 Uhr kam Bewegung in unser kleines Lager und um kurz nach sieben Uhr waren wir dann abfahrbereit. Die Nacht war kühl, wegen des Lärms von der Autobahn und der nahen Landstraße – und vermutlich weil wir kurz vor dem Schlafengehen Kaffee, Tee und Zucker eingeschmissen hatten – hatten wir alle nur wenig geschlafen.Morgens auf der Elbfähre “Nicht so schnell” dachte wohl jeder von uns – und doch hatten wir nach kurzer Aufwärmphase schon wieder gute 30 auf dem Tacho. Was uns trieb war vermutlich das Verlangen nach einem heißen Getränk und einem Frühstück.

In Heyrothsberge kurz vor Magdeburg fanden wir einen Supermarkt mit angeschlossener Bäckerei und Fleischerei, wo es Brötchen, Spiegelei, Kaffee und Süßkram gab. Dort machten wir eine Frühstückspause, während sich draußen der morgendliche Dunst verzog und die Sonne durchkam.

Von hier war es nur ein kurzer Ritt nach Magdeburg, wo weitere Heißgetränkeversorgung und Geldnachschub auf dem Plan standen. Und wo wir einen freundlichen Motorradfahrer trafen, der sich zunächst für unsere Räder interessierte und den wir im Anschluß ob seiner Ortskenntnis zum besten Weg in Richtung Harz befragten. Dabei kristallisierte sich heraus, daß der weitere Weg irgendwann über die B81 gehen würde – welche am Wochenende stark befahren ist von den ganzen Touristen, die in den Harz strömten. Das klang stressig.

Wir machten erstmal einen kleinen Abstecher zum Magdeburger Dom. Da wir südlich aus der Stadt fahren mußten entschieden wir, statt durch den Stadtverkehr zu fahren dem Radweg an der Elbe ein wenig zu folgen.

Und als wir dann so durch die grünen Wiesen des Elbufers fuhren und uns die Sonne auf die Bäuche schien und unsere schmerzenden Beine streichelte, als wir darüber nachdachten, daß wir uns gleich über volle Landstraßen zu einem mittlerweile von Touristen überlaufenen Berg quälen wollten, darüber wie sich die ohnehin schmerzenden Glieder anfühlen würden, wenn wir oben wären und ob das überhaupt machbar sei – als wir über all diese Dinge nachdachten, da wurde uns klar, daß wir frei waren – frei, diesen Plan umzuwerfen und das Leben zu genießen.

Von einem extremen Ziel schwenkten wir ins Gegenteil: Extrem ungewzwungen wollten wir weiterfahren. Dem Elbradweg folgen, solange uns der Sinn danach stand und unser Lager aufschlagen, wo es uns gefiel. Wir dachten daran, vielleicht bis Dresden zu fahren. Vielleicht aber auch nicht. Und so fuhren wir. Auf verschlungenen Radwegen, über enge Pfade und auf schmalen Deichen. Geschwindigkeit, Schnitt, Strecke oder der Ort, an dem wir abends sein wollten: egal. Wir fuhren einfach. Wir aßen Pflaumen, die am Wegesrand wuchsen, wir pausierten, wann es uns gefiel. Und fühlten uns frei.

An einem Ort, wo wir anfingen uns zu überlegen, daß etwas zu essen nett wäre fanden wir zwar nichts zu essen, aber einen Fahrradladen, der geöffnet hatte. Und weil eine Schaltung, ein Ritzel und eine Kette (jeweils an einem anderen Rad) etwas Zuwendung gebrauchen konnten kehrten wir dort ein. Der etwas kauzige Besitzer taute mit der Zeit dann doch etwas auf, nachdem wir anfänglich nicht ganz sicher waren, ob er Lust hatte uns zu bedienen. Allein das war ein Erlebnis.

Weiter ging es zum nächsten “Restaurant”, die Anführungszeichen sind an dieser Stelle voll beabsichtigt. Das Essen war … naja, nicht giftig. Und das soziale Umfeld war … nennen wir es mal spannend. Ich bin mir noch immer nicht sicher, ob am Nachbartisch eine Folge Frauentausch gedreht wurde oder ob dort einfach nur der NPD-Ortsverband tagte. Aber die genannten Alternativen beschreiben das intellektuelle Niveau auf jeden Fall ganz gut. 01-friedhofDornburg hatte uns damit aber auch genug Realität (ich hoffe noch immer, es war ein Paralleluniversum) geliefert.

Wir fuhren einfach weiter. In Walternienburg verließ uns Phelim – der hatte sich die Tour wohl etwas anders vorgestellt (wir ja ursprünglich auch) und hatte vor allem in der letzten Nacht etwas gelitten, ohne Isomatte in Norberts BW-Zelt. Wir fuhren weiter. Durch einen Wald auf Schotterwegen. Danach kehrten wir erstmal im nächsten Dorf in ein Cafe ein – kalte Getränke, Kuchen, Eiskaffee lockten – und wegen des Schlafmangels in der letzten Nacht wurden wir langsam müde.

Deshalb legten wir uns zwischen Brambach und Neeken an einem Friedhof in den Schatten einiger Bäume und schliefen erstmal eine Runde. Am Friedhof konnten wir auch Wasservorräte gut auffüllen und die von der letzten Nacht noch feuchten Schlafuntensilien trocknen.

Weiter gings, doch der nächste Zwischenstopp kam bald: ein Supermarkt, wo wir unser Abendbrot zusammenstellten. Wir wollten noch bis zur Elbe und uns dann einen Platz für die Nacht suchen bevor es dunkel würde.

Bei Roßlau-Dessau Nachtlager am Elbuferüberquerten wir die Elbe und folgten dann dem Elbradweg noch bis Vockerode, wo wir nahe einiger Sportschiffer und noch näher an ein paar Anglern unser Nachtlager am Elbufer aufschlugen. Über viel mehr als eine gute Unterhaltung und ein kleines Abendbrot kamen wir aber kaum noch hinaus.

Und dann gingen wir schlafen. Mit der Erkenntnis, daß wir die beste Entscheidung getroffen hatten in Magdeburg. Ohne die Fehler der vorigen Nacht hätte sich die Tour nie so entwickeln können, sichdieses Gefühl von Freiheit und Zufriedenheit kaum eingestellt. Ich bin sicher, daß und ein unter Touris ertrinkender Brocken den Spaß und die Erfüllung, diese Lust auf die nächste Tour niemals hätte so geben können.

Der Brocken läuft nicht weg und wenn auch anders, so werden wir ihn nochmal auf die Liste setzen. Aber nicht diesmal.

GPS Track vom 22.08.2009