Als ich aufwache schaut noch ein paar mal kurz die Sonne zwischen den Wolken hindurch, aber langsam zieht es sich zu. Und irgendwann höre ich, wie die ersten Regentropfen auf das Zelt prasseln. Erst wenige, dann immer mehr. Ich nutze die Zeit und packe im trocknen und warmen Innern des Zeltes meine Sachen. Östersund steht auf dem Programm und ich will nicht allzu spät loskommen. Ich frühstücke, der Schauer geht vorüber. Ich ziehe das Tarp vom Rad, ziehe die Häringe des Zeltes und unterhalte mich mit meinen Campingnachbarn, während ich das Zelt abtrockne. Und es fängt wieder an zu regnen. Schnell lege ich notdürftig das Zelt zusammen, spanne das Tarp über das Rad und kauere mich neben mein Zelt unter dem Behelfsdach ins Trockene.
Der Camper läd mich auf einen heißen Tee in den warmen und trockenen Wohnwagen ein – das lasse ich mir nicht entgehen. Ich kriege sogar noch Frühstück angeboten, will aber die Gastfreundschaft nicht zu sehr ausnutzen und habe ja auch gerade schon etwas gegessen. Die Familie kommt oft hierher und ist sehr naturverbunden, da kann ich als Großstadtkind wieder nützliche Informationen mitnehmen.
Als es endlich aufhört zu regnen ist es fast 12. Ich rolle mein nahezu trockenes Zelt ein, packe das Rad und mache mich auf den Weg, bevor es wieder anfängt. Der Plan geht auch auf, das dunkle grau bleibt hinter mir. Auch geht es erstmal ein gutes Stück sanft bergab und bleibt dann zwar leicht hügelig, allerdings kommen keine bösen Steigungen mehr – und das ist auch gut so: mein linker Fuß macht sich bemerkbar. Weniger beim Fahren an sich, als eher nach Pausen für ein bis zwei Minuten. Ich freunde mich mit dem Gedanken an, in Östersund eine Zwangspause einzulegen und einen Arzt sicherheitshalber anschauen zu lassen, was ich für ein Problem habe mit dem Fuß.
Ungewohnt viele Tankstellen liegen hier am Weg und so kann ich mich zwischendurch sogar besser als gewohnt versorgen, es gibt auch mal etwas anderes als nur Hotdogs zur Auswahl. Unter anderem Obst. Irgendwo muß ich wegen des Fußes nach einer Steigung eine Pause machen und trinke in einer kleinen Hütte einen heißen Kakao. Der Besitzer reicht mir (aufs Haus!) die Spezialität: Waffeln mit Multebeeren. Eigentlich bin ich noch satt, aber sowas geht ja bekanntlich immer!
Danach kommen wieder einige eher ereignislose Kilometer – bis plötzlich vor mir ein Bär auf der Straße steht, keine 50 Meter entfernt. Er schaut mich an, flüchtet dann von der Straße. Mein Adrenalinspiegel schnellt in die Höhe. Ein kleiner Bär, soviel habe ich erkannt, aber genau das macht die Situation für mich schwer einschätzbar. Bären sind hier in der Regel scheu und meiden die Konfrontation mit dem Menschen, es sei denn, man gerät zwischen eine Mutter und ihr Junges. Dieser Bär war aber offenbar schon alt genug, um allein unterwegs zu sein und so sehe ich ihn noch ein wenig neben der Straße durch den lichten Wald rennen, bis er im Dickicht verschwindet.
Das Fahren fällt immer schwerer, speziell nach Pausen. Ich denke mir, ich sollte nicht übertreiben und Östersund doch lieber streichen. Die Temperatur fällt von 16°C am Morgen auf mittlerweile 12°C und weiter. Der Luftdruck fällt plötzlich rapide, starker Gegenwind kommt auf und von hinter mir (also entgegen der Windrichtung am Boden) zieht eine dunkelgraue Wolke auf, ein Zeichen für eine Windwalze und für jeden, der sich mit dem Wetter mal auseinandergesetzt hat: Alles zusammen sind höchste Warnsignale. Ich schaue mich nach Schutz um, Bushaltestellen, Tankstellen – irgendwas. Nichts. Und ich habe Glück. So plötzlich, wie es aufzog, so plötzlich verzieht sich das Wetter wieder. Die Temperatur steigt um ein paar Grad an, selbst der Luftdruck geht wieder etwas höher und ich habe blauen Himmel vor mir.
Östersund rückt mit nur noch 40 bis 50 km Entfernung in erreichbare Nähe. Bei Hackas biege ich von der E45 ab und folge einer kleinen Seitenstraße am See, die wunderbare Ausblicke auf die noch immer schneebedeckten Berge im Westen bietet. Der Wind bringt kalte Luft vom See herauf, nur noch sechs bis sieben Grad zeigt das Thermometer und die letzten Kilometer werden immer schwerer.
Von dieser Seite kommt der erste Campingplatz noch vor Östersund. Obwohl ich völlig fertig bin und es schon halb elf ist entscheide ich mich, noch bis zum Östersund Camping zu fahren, der näher am Ort ist – über die Östersund-Brücke. Eine gewaltige Kulisse, leider fehlt mir für ein Foto die Kraft, die FInger frieren fast ab.
In der Stadt ist alles zu. Wirklich alles. Wäre ich an einem passenden Hotel vorbeigekommen, es wäre meins gewesen – es kamen aber nur volle und geschlossene. Und teure sowieso. Also zum Campingplatz, die Stellen zum Zelten gesucht, das Zelt aufgebaut. Ich koche mir noch Nudeln auf meinem Kocher, da kann ich währenddessen die Hände wärmen und anschließend wärmt das Essen auch das Zelt. Gegen eins gehe ich schlafen. Eine Lampe habe ich nicht gebraucht.