Hamburg-Berlin: Mission aborted.

Von Anfang an stand fest: Im Regen würde ich Hamburg-Berlin nicht fahren. Auf der Speedmachine wollte ich das nicht und die Rennliege ist dafür einfach nicht gemacht. Fehlende Schutzbleche und eine Geometrie, die Unmengen Schmutz und Wasser vom Vorderrad zwischen die Beine und ins Gesicht befördert. Meine vorhandene Regenbekleidung ist auch eher auf Tourenfahren auf der Speedmachine ausgelegt: die Hose zu weit für die freilaufende Kette am Lowracer, die Jacke mit Reisverschluss vorn neigt zur Pfützenbildung auf dem Bauch in der extrem flachen Position auf der Rennliege. Das geringe Gewicht auf dem Hinterrad führt bei den schmalen Reifen schnell zum Ausbrechen. All dies sind beherrschbare Faktoren, aber mir fehlt dazu derzeit die Erfahrung – und ein 280km Rennen (eine Distanz, die ich vorher nie am Stück gefahren bin!) ist sicherlich nur ein bedingt geeigneter Ort, um diese Erfahrung zu sammeln.

Am Donnerstag verschlechterte sich die Wettervorhersage für den Samstag zusehends, viel Regen und starker Nordost- bis Ostwind waren angesagt. Ostwind bremst, Nordostwind würde seitlichen Druck auf die Verkleidung aufbauen. Am Donnerstag abend hatte ich mich schon fast entschieden, am Freitag gar nicht erst nach Hamburg zu fahren – zu aussichtslos schien mir das Unterfangen.

Freitag besserte sich die Vorhersage für den Samstag wieder. Zwar stand immernoch die Gefahr vereinzelter Regenfelder im Raum, doch damit käme ich zurecht. Die Aussichten beim Wind besserten sich auch, zumindest war nicht mehr Windstärke sieben aus gefährlichen Richtungen die Rede. Ich entschied, nach Hamburg zu fahren und zumindest mal morgens am Start die Situation zu beurteilen.

Am Freitagabend ging es mit dem Eurocity ab Südkreuz nach Hamburg Bergedorf. Ich hatte minimalistisches Gepäck dabei, so daß ich mein Transportproblem durch das Anbinden eines Stoffbeutels außen auf der Verkleidung lösen konnte. Ich traf mich mit einigen Leuten aus der Rennradgruppe und so ging die Fahrt schnell vorüber. In Bergedorf angekommen weigerte sich mein Garmin Edge 705 beharrlich, die Route zum Hotel zu berechnen und so fuhren wir auf einem gefühlten Weg einen kleinen Umweg nach Geesthacht. Die Straßen waren regennaß und meine Windstopperhose, die sonst bei leichtem Regen problemlos einige Zeit durchhält, war nach wenigen Kilometern so voller Matsch und durchnäßt, daß ich spürte, wie der kalte Regen über die Beine auf den Sitz lief – innerhalb der Kleidung. Die Sicht war durch einen Sprühnebel aus Wasser und Straßendreck, der sich auf der (obligatorischen, da Halter für den Rückspiegel) Brille niederschlug eingeschränkt. Die Muskeln wurden trotz flotter Fahrt kalt.

Am Hotel konnten wir die Räder unter einem Vordach anschließen – zum Glück hatten meine Mitfahrer ein Schloß dabei. Das matschig triefende Rad mit ins Zimmer zu nehmen war keine Option. So blieb mir allerdings die Chance verwehrt, die noch immer nicht ganz feste Bastelei der Lampenhalterung nachzuziehen, die Lampe leuchtete auf der Fahrt den Boden vor dem Rad an. Der richtige Halter lag erst seit Freitag Nachmittag bei mir zu Hause. Im Zimmer hing ich Handy, GPS und Lampe nochmal an die Ladegeräte. Meine Klamotten hing ich zum Trocknen auf, die Unterhose mußte ich vorher auswringen. Die Heizung lief sporadisch, der Fön half nur bedingt und eigentlich wollte ich schlafen, die Nacht war kurz. Zu kurz, durch den latenten Geruch nach kaltem Zigarettenrauch fiel mir das Einschlafen schwer.

Nach ca. zwei bis drei Stunden Schlaf quälte ich mich morgens in meine noch immer feuchte Unterhose, der Rest der Klamotten war halbwegs trocken. Ich klopfte den Sand ab, dann ging es raus. Über leicht regennasse Straßen ging es nach Altengamme. Dort wartete schon eine lange Schlange vor dem Zelt mit der Anmeldung. Zwar nieselte es nur leicht (oder kam das Wasser alles von unten), aber der Himmel sah regenschwanger aus, gen Berlin würde es immer nasser werden. Ich meldete mich also nur ab, nicht an. Das Frühstück ließ ich mir dennoch nicht entgehen, ich schaute den tapferen Startern zu, bevor ich kurz nach halb acht in Richtung Bahnhof Bergedorf aufbrach. Den Weg fand ich diesmal besser. Kilometer um Kilometer zog mehr Nässe und Kälte zwischen den Beinen hoch und in einigen Kurven mit nassem Laub spürte das Hinterrad leicht ausbrechen.

Auf der Zugfahrt erreichte mich noch die Nachricht von infolge der derzeitigen Bauarbeiten an meiner Terrasse in die Wohnung unter mir laufenden Wassers. Je näher ich Berlin kam, umso klarer wurde mir, wo diese Menge an Wasser herkam. Zu Hause gönnte ich mir eine Dusche und eine Mütze Schlaf, bevor ich Lars in Gatow abholte. Gemeinsam gingen wir noch etwas essen, waren aber so müde, daß es danach schon bald Schlaf angesagt war.

Nach einem netten Frühstück bei meinen Eltern fuhren Lars und ich gemeinsam noch zum ehemaligen Flughafen Tempelhof. Es herrschte an diesem Sonntag schönstes Wetter, so wie man es sich am Tag zuvor gewünscht hätte. Dennoch drehten wir ein paar eher lustlose Runden, tranken noch einen Tee. Lars besuchte einen Freund, während ich noch zwei Runden fuhr, mich dann aber wegen nochimmer anhaltender Müdigkeit auch wieder nach Hause aufmachte.

Ich hätte die Radsaison gerne noch mit so einem Kracher abgeschlossen – aber nicht unter diesen Voraussetzungen. Schließlich mache ich das ganze zum Spaß – und der kam so nicht auf. Meine Beine verabschieden sich aber so dankbar in die Winterpause. Die Trainingspause durch die Sehnenentzündung beim Somemrurlaub hat mir leistungsmäßig wohl ohnehin den Rest der Saison versaut, jedenfalls spürte ich seitdem meine Beine nach jeder auch nur mittelmäßig anstrengenden Fahrt. Ich glaub, mein Körper will mir etwas erzählen und ich höre auf ihn.

Wenn jemand nette Ideen für einen Ausgleichssport während dieser Zeit hat (nicht: Laufen) … nur zu!

14 Gedanken zu „Hamburg-Berlin: Mission aborted.“

    1. Schwimmen steht recht weit oben auf der Liste. Was nervt ist die sehr geringe Auswahl an dafür geeigneten Schwimmbädern :-(

  1. Ich fand’s schon am So. wo die Sonne schien schwer warmzuwerden. Am Sa. waren es bestimmt gefühlte 0°C.

    Nächste Saison werde ich auch mal die 200+ km angehen. Mit Rückenwind und nicht als Rennen ;-) Leistungsmäßig hätte ich es dieses Jahr sicher schon geschafft. Nur hat sich irgendwie nicht die Gelegenheit dazu ergeben bzw. ich habe mich unterwegs nicht beherrscht und dadurch zu sehr verausgabt. Sehr reizvolles Trainingsziel: von der Haustür in Berlin bis zur Ostsee durchzurocken (ohne mich dabei totzumachen).

    1. Ist einfach eine Erfahrungssache. Bei meinem ersten mal über 200km bin ich mittendrin mal zitternd vom Rad gestolpert, konnte kaum mehr die 2m zum Pinkelbaum gehen und brauchte danach alles an Zueckervorräten, was ich mit mir schleppte. Danach wurde es nicht mehr richtig rund. Aber Spaß hat’s am Ende trotzdem gemacht.
      Die 221km RTF Rund um Berlin mit dem leichteren und schnelleren Lowracer gingen relativ problemlos. Ich habkonstanter Energie nachgeschoben und mich brav auf sinnvollen Geschwindigkeiten gehalten. Die Rennradler ringsrum reizen natürlich zum Aufdrehen, das gibt Stimmung und motiviert. Muss man nur aufpassen, es nicht zu übertreiben.
      Ich bin mir sicher, daß Du die 200km eigentlich problemlos packen müßtest. Ich fahr auf dem Lowracer mittlerweile mit Kadenz- und Pulsmessung. Beides kann helfen. Das wichtigste ist auf den Körper zu hören, aber das Gefühl kann einen schonmal austricksen, wenn man sich bei geilem Wetter einfach gleiten läßt oder mit anderen mitzieht oder sowas.

  2. War klar und ich denke, Deine Entscheidung war echt ne sehr, sehr gute Entscheidung!
    Muß man nicht mitnehmen – da gibt es echt bessere Gelegenheiten für!
    “Überlebenstraining” muß wirklich nicht sein…

    Mit dem Sport im Winter wird sich auch was finden lassen – suche da ja auch noch…
    Außerdem: Die nächste Saison kommt bestimmt -und- damit auch wieder viele neue Ziele!

  3. das klingt aber alles sehr nach ausreden, du scheinst nicht wegen den regen sondern wegen Dir selber aufgegeben zu haben das sollte dir klar sein sonst kannst du solche rennen nicht vernümpftig fahren

    1. Ausreden würd ich nicht sagen. All diese Gründe haben in ihrer Gesamtheit zu meiner Entscheidung geführt. Diese ist natürlich subjektiv, jemand anders hätte das vielleicht anders entschieden. Ich weiß ja noch nicht, ob ich solche Rennen fahren will oder lieber Stunden-Rennen bei Sonnenschein oder auch gar keine. Klar ist: Mit dem Rad ohne Modifikationen an Rad und meiner Kleidung werd ich auch weiterhin nicht bei Regen fahren. Ich versuche hier auch keinem was zu beweisen, ich mach das zum Spaß. Und wenn ich irgendwo sehe, daß ich keinen haben werde, dann betrachte ich es als meine Freiheit, die Konsequenz zu ziehen.
      Nebenbei bin ich die ganze Sache von vornherein unter der Prämisse angegangen, daß ich das nicht bei Regen fahre. Lustigerweise hätte wohl keiner irgendwas gesagt, wenn ich mich einfach gar nicht angemeldet hätte.
      Nöö, ich steh zu meiner Entscheidung und bereue sie nicht.

  4. olli, ich finde auch, dass viele vergessen, WARUM wir das hier alles machen: nämlich weil es SPASS macht. und deshalb finde ich deine antwort auf martins comment genau ricjhtig.

    wir verdienen kein geld mit dem sport. wir schulden keinen zuschauern, die für unsere performance eintritt o.ä. zahlen, irgendwelche leistungen, wir machen das nur für uns und nur zum spaß.

    und wenn es für den einen eben ein fauxpas ist, wenn aussteigt, für den anderen eine beleidigung irgendwelcher ungeschriebener gesetzt – was solls? herausforderungen anzunehmen, grenzen zu entdecken, sie zu erreichen und vielleicht ab und zu zu übertreten, das ist das eine.

    aber sich auch die freiheit zu nehmen, “nein” zu sagen, ist vielleicht der eigentliche luxus, den wir hobbysportler haben. es weder sponsoren, geldgebern, zuschauern, martins oder sonst anderen recht machen zu müssen, ist freiheit.
    weiter so: der spaß soll siegen. basta.

    @martin: dein comment klingt nach know-how. du scheinst zu wissen, worüber du redest, wenn es um psychologische motivatiuon geht, wie man rennen angeht. interessant wäre zu erfahren, wie du bisher deine rennen mit material bestritten hast, mit dem du nicht zufrieden warst.

    Lars

  5. “Man kann enttäuscht sein wenn man es nicht schafft, aber man ist verloren wenn man es nicht versucht”

    Ich bin 28 jahre alt und habe ohne Training, bei Gegenwind und regen mit meiner Freundin in holland (land des Wassers (sagt ja alles), eine radtour von ca.450km mit sack und pack durchgezogen.

    man sollte einfach los und alles so erleben wie es kommt, denn es kommt eh immer anders!
    Und gerade das macht dann auch den, hier sooft zitierten, Spass aus.
    Ausserdem heisst es doch Radour, also Auto & Bahn sind da eigentlich tabu;)

    Ich hab nichts bedsonderes an equipment, nur das nötigste aber was ich hab ist ehrgeiz, durchsetzungsvermögen und somit einen Willen.
    es ist einfach unbeschreiblich, wenn man am Ende feststellt was man alles gemeistert hat.
    Und fürs nächstemal ist man somit um einiges an erfahrung reicher!

    Ich finde das hier jemand sich nur gut verkaufen bzw. präsentieren will aber nichts wirklich durchzieht.

    “Die Menschen stolpern nicht über Berge, sondern über Maulwurfshügel.”

    1. Vielleicht hast Du hier was falsch verstanden. Ich bin mit meinem anderen Rad tausende Kilometer durch die Gegend gefahren und nicht nur bei Sonne. Ich bin Alltagsfahrer und fahre jeden Tag mit dem Rad zur Arbeit und zurück, ich bin den ganzen letzten Winter durchgefahren. Egal ob Neuschnee, Glatteis oder -14°C. Ich fahre derzeit ca. 8000-10000km im Jahr. Sicherleich weniger als einige andere, aber deutlich mehr als die meisten, die ich so kenne.
      Und genau aus all dieser Erfahrung nehme ich mir das Recht, bei so einer Sache wie HH-B und den entsprechenden Randbedingungen eben auch zu entscheiden, daß ich darauf verzichten kann. Vielleicht bin ich weniger risikofreudig, vielleicht aber auch nur ein paar Erfahrungen reicher als Du, aber ich habe das Gefühl, daß Du nicht im mindesten verstanden hast, warum ich mich wie entschieden habe.
      Wenn ich mich nur gut verkaufen wollen würde, dann hättest Du den ganzen Kram hier nicht lesen können. Dann würde ich machen, was einige andere gerne tun: Nur im nachhinein über Dinge berichten, die funktioniert haben. Dann könnten mich hier lauter Leute bewundern, die den Trick nicht durchschauen. Das ist aber nicht meine Absicht. Mal abgesehen davon, daß viele DInge, die einfach funktioniert haben, hier wegen ihrer Langweiligkeit nichtmal auftauchen ;-)

  6. Vielleicht ist das Radfahren doch nicht der richtige Sport für Dich, denn wenn man die Beine nicht dafür hat und irgendwie merkt das man immer wieder kleine zipperlein hat, sollte man doch mal überlegen eine alternative anzugehen!

    “Der Weg ist das Ziel.”

  7. Hallo,

    …nach witzen ist mir nicht.
    Ich hab nun deinen letzten Touren mal zusammengerechnet-
    Summe ist ca.1300km , vielmehr ist es nicht!!!
    Argumentativ unbedeutend sind deine fahrten zur Abrbeit , sowas ist doch keine Tour!
    Paar kleine sweden, dänemark-Touren, aber sonst einiges abgebrochen o.ä.

    Jedenfalls, erkenn und vermiss ich bei den ganzen Höhenmessungen, Windschattengefahre und Geschwindigkeitslaberei den SPASS an sich…schade…da dieser Blog an sich doch ein soliden Eindruck macht und doch potential in sich birgt.

    Mir bleibt ja nur eine neutrale Beurteilung durch die Infos von diesem Blog, kennen tue ich dich ja nicht, somit kann ich mich Martin`s Kommentar nur anschliessen.

    Zitat: “Ich glaub, mein Körper will mir etwas erzählen und ich höre auf ihn.” – dann höre auf IHN und lasset sein – such dir einen netten Ausgleichssport wie BADMINTON,SCHWIMMEN, KRAFTSPORT, KICKERN o.ä. und such dort die stärken deines Körpers.

    Einfach fahren, nicht soviele gedanken machen – trainiere den Willen und die Einstellung bzw. Durchhaltevermögen.

    Ich bin auch kein Fan von dieser Speedmaschine, liegend auf einem Fahrrad, naja!?!
    Herausfordenrungen und das was zu einer wahren Radtour einfach dazugehört wie Sattelschmerzen und taube Handgelenke sind ja hier passè. Ausserdem halte ich die Teile für gefährlich, da man leicht Bodenwellen und -kanten übersehen kann und somit es zu Unfällen kommt.(Couch mit Rädern und Lenkrad).
    Auf Teufel-komm-raus Kilometer zu reissen ist doch nicht das was hier kommuniziert werden sollte.

    Schönen Tag noch.
    Ein junger Fahrrad-Fan.

    1. Persönlichen Blödsinn hab ich mir erlaubt zu zensieren.
      Nein, ich blogge nicht über jede 100km, die ich mal irgendwo abends abreiße und habe ansonsten noch ein Privatleben, was hier auch nicht immer ausgebreitet wird. Die langweilige Lästerei über Liegeräder zeigt nur, daß Dir die Argumente ausgehen (DU hast schließlich keine, dennen wenn Du glaubst, mioch aus dem bischen, was ich hier schreibe zu kenne, dann irrst Du Dich gewaltig.
      Da das ganze hier in einen nicht zielführenden Kleinkrieg auszuarten droht mache ich jetzt von meinem Hausrecht gebrauch und schließe diesen Diskussionsstrang.

      Abgesehen davon: Wer hier unter verschiedenen Namen unterschiedliche Ansichten verbreitet und glaubt, ich merke nicht, daß er mich verarschen will, der sollte mal über sein eigenes Verhalten nachdenken.

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