Wir hatten ein Frühstück um 07:30 Uhr bestellt. Das Frühstück war für französische Verhältnisse üppig, für Radfahrer eher nicht so. Außerdem setzte Regen ein. Die Unterhaltung mit den netten Betreibern der Unterkunft war dafür äußerst angenehm.
Beim Losfahren war es halbwegs trocken und wir machten erst einmal einen kleinen Umweg zum örtlichen Lidl um uns mit Geschmack für unser Trinkwasser zu versorgen. Während wir am Kanal fuhren, war uns das Wetter noch hold, doch kurz nach dem Wechsel auf die Strasse hielten wir unter einem Dach im nächsten Ort, um uns die Regenkleidung überzuziehen. Schon wenige hundert Meter weiter auf freier Strasse kam dann der nächste Zwangshalt: Micha hatte einen Platten. Aussen sprudelte das Wasser am Mantel, eine Ursache liess sich aber nicht ausmachen. Nach dem Ausbau des Hinterrades und dem Abziehen des Mantels offenbarte sich das Problem: ein durchgescheuerter Flicken… Nach dem Wechsel des Schlauchs pumpte die CO2-Pumpe den Reifen fix auf Betriebsdruck – und der Regen hatte auch aufgehört.
Auf den Stress gönnten wir uns im nächsten Ort etwas zu Essen, danach ging es schon bald wieder auf dedizierte Fahrradwege bis kurz vor Mulhouse. In Mulhouse fragten wir uns zu einem Fahrradladen durch, wo wir einen neuen Ersatzschlauch und noch zwei CO2-Patronen besorgten, wenn auch nur die kleinen. Aber ich wollte eh noch zum Decathlon, wenn einer am Weg liegt.
Ab Mulhouse geht es abseits jedes Autoverkehrs neben dem Rhein-Rhone-Kanal entlang auf dem Eurovelo 6. Die Fahrt verlief sehr entspannt, auch die Sonne kam jetzt raus. Da wir langsam Hunger bekamen, suchten wir uns eine Bank, wo wir den Kocher auspackten und uns leckere Veggipaella aus dem Bioladen kochten.
Frisch gestärkt ging es dann weiter, doch drohte bald der nächste Schauer. Wir versuchten diesen unter einer Brücke abzuwarten, aber er hing über uns fest. Als das ferne Gewittergrollen nachliess fuhren wir in Regenklamotten weiter – was natürlich dazu führte, dass der Regen nach wenigen Minuten aufhörte.
Bis nach Montbeliard kamen wir trocken. In der Altstadt nahmen wir uns ein Hotel mit Pool und Sauna. Nach dem Abendessen nutzen wir dieses Angebot aus und entspannten uns gut.
Nach dem Aufwachen zeigt sich der Himmel grau und regenschwanger. Noch ist es trocken, aber es ist klar, daß es wohl nicht lang so bleiben wird. Ich packe den größten Teil meiner Sachen, die Regensachen liegen wie immer ohnehin leicht zugreifbar oben im Gepäck. Zum Frühstück gehe ich runter, doch alle Plätze sind belegt. Kein Problem, die Wirtin bringt mir mein Frühstück in mein großzügiges Zimmer, wo ich am Küchentisch bei Musik aus dem Handy für französische Verhältnisse ausgiebig frühstücke.
Nach dem Frühstück zahle ich und hole mein Rad aus der Garage, die noch immer nach Äpfeln duftet. Ich darf mir einen mitnehmen, sie sind unbehandelt, also problemlos ohne große Spülaktionen zwischendurch zu essen. Kaum setze ich mich auf die Speedmachine, schon beginnt ein sanfter Nieselregen, der mich zunächst einige Kilometer begleitet, mal mehr mal weniger stark. Doch am Himmel ist ein hellerer Streifen zu sehen, der Besserung verspricht.
Zunächst geht es auf der D468 weiter nach Süden, später biege ich über einige kleinere Landstraßen und als Radwege ausgewiesene Strecken durch den Wald (asphaltiert!) nach Westen in Richtung Mulhouse ab. Von Mulhouse selbst bekomme ich nicht so viel mit, ich belasse es dabei, den Ort zu streifen und mich möglichst bald auf dem EuroVelo 6 (EV6) Radweg einzufädeln. Dieser führt entlang des Rhein-Rhone-Kanals auf alten Treidelwegen, die mittlerweile alle durchgehend mit bestem Asphalt ausgestattet sind.
Der Weg ist wirklich eine Empfehlung für Radwanderer: Beste Fahrbedingungen. Wenn mal ein Drängelgitter kommt, dann steht oft mindestens eine Seite offen oder es ist so breit, daß man – langsam – auch mit dem bepackten Liegerad problemlos durchkommt. Und so viele, daß es wirklich problematisch wäre sind es nicht. Der Weg selbst ist perfekt ausgeschildert, selbst wenn mal irgendwo gebaut wird, ist eine Umleitung mit deutlichen Markierungen auf fahrbaren Wegen vorhanden. Zwar steigt der Gesamtweg an, doch die Steigung ist gut zu bewältigen: Zwischen den zahlreichen Schleusen ist keine oder eine minimale Steigung vorhanden, dann gibt es an den Schleusen jeweils eine kurze Rampe, die einen wieder die nächsten zwei bis drei Meter nach oben bringt.
Der Kanal – und damit der Radweg – tangiert die meisten Orte nur oder ist leicht abseits gelegen, für eine Versorgungspause muß man vom Weg runter, meist ohne zu wissen, ob und was einen in den Dörfern erwartet. Um den Weg richtig zu genießen, sollte man sich Zeit nehmen, so daß man immer wieder in die Orte abbiegen kann, denn über weite Strecken sieht man sonst nur den Kanal, Schleusen, niedlische Schleusenwärterhäuschen aber wenig von der umliegenden Landschaft. Dafür fliegen die Kilometer nur so dahin.
Längst habe ich die Wasserscheide überschritten, als ich nach einer Schlafgelegenheit zu suchen anfange. Doch wo ich auch hinkomme: voll oder geschlossen. Ich komme langsam in Probleme. Magen leer, die Sonne geht unter, kein Schlafplatz in Sicht. In einem der Orte, in die ich abbiege, finde ich zumindest ein geöffnetes Restaurant, wo ich sofort Energie nachtanke. Wenigstens ein Problem gelöst. Beim losfahren entdecke ich nur drei Häuser weiter ein Hotel. Auf die Frage, ob es noch ein Zimmer gäbe, kommt als Gegenfrage, ob ich auch noch etwas essen will, mein beruhigtes Lächeln versteinert allerdings, als auf mein “nein” (schließlich hatte ich ja gerade gegessen) die Auskunft kommt, daß dann auch kein Zimmer frei sei. Was für eine Frechheit.
Via Twitter bekomme ich Hilfe von Klaus, der mir für Baumes les Dames (>20 km) bzw. Besancon (ca. 50km) einiges suchen kann. Ich versuche es zunächst noch in einem Logis am Wegesrand. Die Dame dort teilt mir mit, daß alles voll sei, wohl auch in Baumes les Dames, wo sie vergeblich einige Hotels anruft. Sie bietet mir sogar einen Platz auf der Wiese hinter dem Haus für das Zelt an, doch in Anbetracht der Temperatur von gerade 10°C und der Nässe durch Regen und aufziehenden Dunst lehne ich ab. Als ich ihr sage, daß ich ca. 170km bereits hinter mir habe und die letzten 40km nach Besancon nun auch ncht mehr das Problem sind scheint sie sich fast Sorgen um mich zu machen.
Ich fahre weiter und Klaus um eine passende Reservierung in Besancon. Um mich herum Dunkelheit, anhan des Sternenhimmels, den ich noch sehe, kann ich erkennen, daß ich mittlerweile zwischen den Bergen in einem tiefen Tal fahre, das ich zu gern bei Tag gesehen hätte, hier ist sicherlich der landschaftlich spannendste Teil der Strecke. Die Reservierung in Besancon wird schwieriger als geplant, aber am Ende gibt es etwas mit 24h-Rezeption und freien Zimmern. Ich habe dafür das Problem, daß sich die Wolken ins Tal senken. Erst streift nur mein Fernlicht die Wolken, die 50 bis 100 Meter über mir die Baumwipfel berühren, dann tauche ich irgendwann ein. Fernlicht aus. Selbst der Edelux erzeugt manchmal nur noch eine graue Wand vor mir. Die Feuchtigkeit zieht in jeden Winkel. Was erstaunölich gut hilft ist meine Tchibo-Sportweste. Sie hat zusammen mit dem Rest genau die richtige Temperierung und ich koche nicht im eigenen Saft, wie wenn ich in dieser Situation die Regenjacke übergezogen hätte.
Das Leuchten des GPS Bildschirms vor mir, der Strahl des Edelux und wenn gerade keine Nebelbänke wabern des Fernlichts, werden meine Freunde in der Nacht. Langsam tickt die Restkilometer-Anzeige runter. Bis endlich Besancon in hinter einer Kurve auftaucht. Ich nehme mir sogar noch kurz Zeit für ein paar Nachtfotos, bevor ich den kräftigen Anstieg zu meinem Hotel auf mich nehme. Nach dem Duschen falle ich um ein Uhr morgens wie tot ins Bett.