Südwest 2011: Eingespeicht und Abgefahren

Montag, 26.09.2011

Ich wollte zeitig vom Hof rollen, um gleich zur Öffnung beim Decathlon in Bezier zu sein, dem scheinbar einzig brauchbaren (oder existierenden) Fahrradladen in der Umgebung. Ohne Wecker wird es aber doch wieder halb zehn. Die Innenstadt von Agde ist mit ihren unzähligen kreuz und quer verlaufenden EInbahnstraßen selbst mit GPS eine Herausforderung, aber letztlich schaffe ich es am Ende doch, mich auf die D-Straße in Richtung Bezier zu begeben. Diese ist stark befahren und kein großer Spaß, aber viele andere Optionen bieten sich hier leider nicht.

Es geht ein paar Hügel hoch und runter und bei Abfahrten mit über 45 km/h und vollem Gepäck horche ich ständig nervös, ob die nächste Speiche kommt. Aber das Rad ist stabil, es bleibt bei der Einen. Obwohl ich vom Tempo gut voran komme, scheinen mir die Kilometer bis Bezier endlos. Die nervige Straße und die wenig abwechslungsreiche Landschaft tragen einen guten Teil dazu bei. In Bezier komme ich zunächst an einem Schild zu einem anderen Fahrradladen vorbei, der direkt am Weg liegt. Da dieser jedoch zu hat, fahre ich wie geplant zum Decathlon. In meinem besten französisch (Einsatz von Händen und Füßen) erkläre ich mein Problem. In fünf Minuten werde er sich der Sache annehmen, sagt der Mechaniker. Nur eine Speiche? 26 Zoll? Oui, Oui.

Ich nutze die Wartezeit, um die Toilette aufzusuchen, mir eine Erfrischung zu gönnen und eine Sonnenbrille (im Angebot, die Saison ist hier schließlich vorbei) zu kaufen. Ich muß auch wirklich nicht allzu lang warten, habe mit 17,45 EUR einen moderaten Betrag zu zahlen und kann beruhigt mit vollständigen Hinterrad weiterfahren. Dennoch werde ich dem Teil nach der Heimkehr nochmal etwas Aufmerksamkeit widmen.

Durch Bezier begleitet mich chaotischer südfranzösischer Stadtverkehr, auch die Landstraße nach Narbonne für die nächsten 25km ist nicht unbedingt entspannend. In Narbonne fahre ich im dichten Getümmel an zwei, drei offenen Cafés vorbei, wo ich eine Kleinigkeit hätte essen können, weil ich das an einer etwas ruhigeren Stelle erledigen möchte, irgendwo, wo Platz für mein Rad auf dem Bürgersteig in Sichtweite ist.

Das Einbiegen auf die Mediterranean Route, den Radweg zurück an die Küste überrascht mich dann allerdings. Schlagartig stehe ich im Grünen, von Narbonne ist nicht mehr zu spüren. Ich fahre auf einem Split-/Schotterweg am Canal de la Robine entlang. Der Belag bremst und ist nicht schön zu fahren, aber die Kanal-Landschaft entschädigt. Der Kilometerstand steigt, aber Versorgungsmöglichkeiten gibt es keine. Dafür öffnet sich irgendwann der Blick: Der Kanal geht mit seinen Ufern durch weiter Wasserflächen, die Bahn nebenan fährt auch auf einem kleinen Damm. Ein wirklich traumhafter Blick. Kurz vor dem Ende des Radwegs ein blick auf alte Salzfelder, kurz danach stelle ich erstaunt fest, daß hier Flamingos im flachen Wasser waten.

Die D-Straße umrundet elegant die kommenden Dörfer, die Anstiege laden nicht dazu ein, einen Umweg zu fahren, zumal die Orte klein sind und daher nicht klar ist, ob die Umwege etwas bringen würden. Erst ab Port Leucate führen wieder sinnvoll kleinere Straßen parallel zur großen D-Straße. Ich fahre dort entlang. Ferienanlagen ohne Ende, aber kaum noch jemand da. Geschäfte haben geschlossen. In Le Barcarès sehe ich dann eines der typischen zentral in den Ferienanlagen angelegten Ovale mit Geschäften, Cafés und Reataurants. Das einzige Restaurant, das überhaupt offen hat, bietet um diese Uhrzeit kein Essen. Das geöffnete Geschäft verkauft Badeschuhe. Der Pizzabäcker bäckt heut keine Pizza und hat seinen Laden nur zu Lüften offen, während er putzt. Was bleibt ist eine Boulangerie/Patisserie. Ich habe seit dem gewohnt kleinen französischen Frühstück 110km hinter mir. Ich verdrücke zwei kleine Quiches, ein Pain au Chocolat und einen Mokkakuchen, dazu drei Cola, Orangina, Schweppes. Dann macht der Laden zu. Ich gehe ersteinmal baden am Strand, bevor ich weiterfahre.

Ein Mix aus Uferpromenade, Radweg und D-Straße führt mich zunächst bis nach Canet-Plage, wo ich nochmal ins Mittelmeer springe. Da es nur noch acht bis neun Kilometer nach St. Cyprien sind, das ich mir locker als Tagesziel ausgeguckt hatte, lege ich diese noch drauf, als sich gegen 18 Uhr, weit vor Sonnenuntergang, der Strand schlagartig leert. Vor mir im Süden thronen die Berge, über die ich morgen nach Spanien fahren werde.

Die Nähe zu Spanien bemerke ich an vielerlei Dingen. Die Ortsschilder sind jetzt in französisch und Catalan, die Preise für das Essen in Restaurants (wenn man mal ein offenes findet) werden geringer. Und: Die Chancen hier jemanden zu finden, der deutsch spricht sind weitaus höher, als jemanden zu finden, der englisch spricht. Zudem ist die Reaktion dann auch eine konsequente Unterhaltung auf deutsch (auch wenn ich aus Höflichkeit versuche, meine drei Brocken französisch anzuwenden), nicht wie bisher, wo nach der Einigung auf englisch selbiges zwar in der Regel halbwegs verstanden wurde, die Antworten dann aber konsequent in französisch kamen, bei Nichtverstehen in anderen Worten (meist mehr und schneller).

Auf dem Tacho stehen 137km.

 

Südwest 2011: Pannentag ist Strandtag

Sonntag, 25.09.2011

Am Himmel gibt es eine graue und eine blaue Zone und beides scheint sich nicht zu bewegen. Die graue Zone liegt gen Osten, ich will ohnehin ein paar Kilometer weiter nach Westen. Und Sonne kann ich später am Strand gebrauchen, wenn ich erstnal ein wenig fahre, dann ist weniger Sonne ganz gut.

Also Frühstück und los. Schon kurz hinter Sete beginnt wieder ein wunderbarer Radweg hinter den Dünen am Strand. Läden, wo ich endlich eine Badehose kaufen könnte, gibt es hier alerdings nicht. Und irgendwann hört abrupt auch der Radweg auf. Ich fahre auf die D-Straße, der nicht asphaltierte Weg daneben gefällt mir nicht. Nicht kurz danach sehe ich im Rückspiegel einen Rennradler. Der Spieltrtieb packt mich und ich ziehe die Geschwindigkeit ein wenig hoch, viele Kilometer will ich eh nicht fahren heute, da kann man sowas schonmal machen. 32 bis 33 km/h. Er schließt auf, grüßt … und hängt sich in einem durch das Gepäck sicher nicht allzu kleinen Windschatten. 10 Kilometer ziehe ich ihn durch die Gegend, bevor wir uns im nächsten Ort trennen.

Noch ist mir nicht klar, daß Cap d’Agde auch der Ort sein wird, an dem ich den Rest des Tages verbringe, ein paar Kilometerweiter wollte ich noch, an der Küste folgen endlose Strände. Ich fahre nach Agde hinein, suche gerade den Weg wieder hinaus, da höre ich hinten unter mir ein lautes „Zinggg“, als ich die Bremse betätige, dann kurzes rhythmisches metallisches Kratzen, dann ist ersteinmal alles normal. Ich teste die Bremse, sie geht noch. Der Bremszug war es also nicht. Rauf auf den Weg am Straßenrand, das Hinterrad untersuchen. Eine Speiche baumelt locker vor sich hin, gebrochen unten neben dem Zahnkranz. Das mateallische Kratzen entstand, als sich die Reste der Speiche am Zahnkranz verbogen. Es ist ein mühsames und langwieriges Stück Arbeit, den Speichenrest zu entfernen. Eine Ersatzspeiche habe ich nicht mit, bin ich doch in einem Land voller Fahrradläden unterwegs, ich würde ohne großes Werkzeug ohnehin nur eine Rollspeiche eingesetzt bekommen, für alles andere muß der Zahnkranz ab. Dummerweise ist Sonntag. Mit dem schweren Gepäck erkläre ich die Fahrt für heute für beendet. Die endlose Suche nach dem besseren Strand wurde durch technischen K.O. entschieden.

Vorsichtig rolle ich zum Centre Ville, der Stadtmitte, gönne mir etwas zu trinken. Dann geht es weiter zum Strand. Supermärkte und auch die kleinen Strandgeschäfte haben hier auch sonntags geöffnet. Und so komme ich endlich zu einer Badehose (und Badeshorts), die ich am Strand auch sofort einweihe. Mein ersehntes Bad im Mittelmeer. Mein MIttagsschläfchen im Sand wird durch eine Wolke und drei Tropfe Regen jäh unterbrochen, ich flüchte mich an die Strandpromenade, wo ich bei einem großen Eisbecher auf die Rückkehr der Sonne warte. Anschließend suche ich mir noch ein Hotel, so daß ich nicht mit all dem Gepäck am Strand stehe. Eigentlich wollte ich campen, aber dann bleibt das Problem, wohin mit den Taschen?

Den Nachmittag verbringe ich am Strand, dann mache ich mich im Hotel frisch und gehe rüber zu Promenade. Vorhin war dort laute Musik, Neonlicht, Essensdüfte . jetzt um halb neun ist hier nichts mehr. Nach etwas suchen finde ich eine offene Pizzeria. Zuerst werde ich eine Weile ignoriert, später gibt es dann doch noch die Karte und das Essen kommt dann auch rechnt schnell.

Auf dem Tacho stehen 42km.

Südwest 2011: Mittelmeer. Wahnsinn.

Samstag, 24.09.2011

Eigentlich liegen heute nicht viele Kilometer vor mir. Keine 80 bis nach Grau du Roi, wo ich auf die Küste stoßen will. Dennoch bin ich zeitig wach, dehne das Frühstück nicht alzu sehr aus und bin um 09:30 Uhr auf der Piste. Heute ist der große Tag: Aus eigener Kraft ab Berlin das Mittelmeer erreicht haben.

Die Temperatur ist schon morgens bei 20°C und steigt, obwohl heute die Sonne kaum scheint. Erst ein Dunstschleier, dann zunehmend dunklere Wolken verdecken den Himmel. Aber das kann meine Stimmung nicht trüben, nach Regen sieht es nicht aus und beim Fahren ist es ganz angenehm, wenn einem einen Tag mal nicht die Sonne auf den Schädel brennt. Den Fahrspaß trüben für die ersten 40km allerdings die stark befahrenen Straßen. Kein Drängeln oder Hupen, keiner, der einem das Recht abspricht, sich mit dem Fahrrad auf der Straße zu bewegen. Aber die Überholmanöver werden merklich enger und nervöser, wenn es voll wird auf den Straßen.

Nach einem kurzen Anstieg zeigt der Höhenmesser runf 90 Meter an und ich weiß, ab jetzt wird es eine Weile bergab gehen und dann topfeben werden. Ein gutes Gefühl. Ich komme gut voran. Die Fahrt bis Vauvert hat bis auf einen kurzen Blick über die Ebene allerdings nicht viel zu bieten. Ich umgehe Nimes und Montpellier und biege in Vauvert von der stark befahrenen D-Straße auf die Gallician Veloroute ab. Über einige Kilometer bin ich so fernab des Autoverkehrs, danach geht es auf wenig befahrene Straßen, die durch ein Gebiet führen, daß sich von den Everglades im wesentlichen durch die Abwesenheit beißender Reptilien zu unterscheiden scheint. Kilometerweit geht die Straße geradeaus, bis ich mich plötzlich zwischen Wein- und Olivenplantagen und großen Feldern mit Gemüse wiederfinde.

Das ist schön anzusehen, birgt aber ein Problem: Als freundlicher Radfahrer möchte man weder Nutzpflanzen noch anderer Leute Garten vollpinkeln. Und so bemühe ich mich, das Problem durch Schwitzen zu lösen, was erstaunlich lang funktioniert. Ich gönne mir sogar eine Pause an einem der diversen Obst- und Gemüsestände.

Dann geht es nach Grau du Roi rein. Meine Route endet auf der Mole – eigentlich. Irgendeine Veranstaltung sorgt dafür, daß diverse Straßen voll oder gesperrt sind – und die Schwenkbrücke ist offen und bewegt sich während meiner Wartezeit nicht. Irgendwann fahre ich zur anderen Brücke zurück, zur Mole wäre es jetzt ein großer Umweg und so stoße ich ein kleines Stückchen weiter kurz vor La Grande Motte auf den Strand. Ich schiebe die Speedmachine durch den Sand – und blicke aufs Meer. Es ist fast unwirklich. Ich stehe einige Zeit da, bevor ich endlich meine Radlerhose und die Schuhe und Socken ausziehe und meine Beine ins Mittelmeer tauche.

Das Wasser ist kühl, aber trotzdem brauche ich noch eine Badehose. In den kommenden Tagen wird das Wetter sonniger und wärmer und das lasse ich mir nicht nehmen. Im nächstgelegenen Laden werde ich alerdings nicht fündig. Dafür komme ich auf dem Weg an der Küste entlang an einem Fahrradladen vorbei, wo ich mir Kettenschmierung (meine ist alle) und einen neuen Schlauch für hinten kaufe. Sicher ist sicher.

Der Weg führt mich hinter den Dünen entlang, irgendwann biege ich auf ein kurzes Stück direkt am Strand ab, nicht asphaltgiert, aber fahrbar und mit einem weiten Blick über den Küstenbogen. Dann geht es auf einen (leider durch Bauarbeiten unerwartet miesen) Weg, der am Kanal, der mitten durch die Wasserfläche hinter(!) dem Strand verläuft, nach Sete führt.

Sete ist dann auch mein heutiges Ziel. Ich folge einer Hotelempfehlung via Twitter in La Corniche. Von hier sind es nur noch ca. 160km auf der von mir gewählten Route bis Perpignan, von dort folgen Girona und Barcelona. Das wäre alles in zwei Tagen zu tun, aber ich reduziere meine Kilometerleistungen ab jetzt und werde einige Tage länger brauchen.

Auf dem Tacho stehen 133km.

Vor mir das tiefe Schwarz der nächtlichen See, am Horizont die Lichter eines großen Schiffes, die langsam kleiner werden, neben mir streift der Strahl des Leuchtturms von Sete durch die Nacht. Die Brandung rauscht, wenn sich die Wellen an den Felsen unter mir brechen. Eine warme Brise weht mir ins Gesicht. Es ist schön. Ich könnte heulen vor Glück.

In zwei Wochen bin ich von Berlin, von meiner Haustür, bis ans Mittelmeer gefahren. Aus eigener Kraft. Jetzt sitz ich hier und kann es kaum fassen. Hinter mir liegen über 1800km. Ich hatte viel Glück mit dem Wetter und die Strecke, die ich ausgesucht habe, hat sich als sehr gut erwiesen. Die Zwischenbilanz nach zwei Wochen könnte nicht besser ausfallen.

Ab jetzt wird es ruhiger, ich habe noch etwas über 300km (geschätzt, genau habe ich den Weg noch nicht ausgerechnet) vor mir. Der Wetterbericht verspricht Sonne, über 25°C jeden Tag und viele Kilometer Strand liegen noch an meinem Weg.