Samstag, 24.09.2011
Eigentlich liegen heute nicht viele Kilometer vor mir. Keine 80 bis nach Grau du Roi, wo ich auf die Küste stoßen will. Dennoch bin ich zeitig wach, dehne das Frühstück nicht alzu sehr aus und bin um 09:30 Uhr auf der Piste. Heute ist der große Tag: Aus eigener Kraft ab Berlin das Mittelmeer erreicht haben.
Die Temperatur ist schon morgens bei 20°C und steigt, obwohl heute die Sonne kaum scheint. Erst ein Dunstschleier, dann zunehmend dunklere Wolken verdecken den Himmel. Aber das kann meine Stimmung nicht trüben, nach Regen sieht es nicht aus und beim Fahren ist es ganz angenehm, wenn einem einen Tag mal nicht die Sonne auf den Schädel brennt. Den Fahrspaß trüben für die ersten 40km allerdings die stark befahrenen Straßen. Kein Drängeln oder Hupen, keiner, der einem das Recht abspricht, sich mit dem Fahrrad auf der Straße zu bewegen. Aber die Überholmanöver werden merklich enger und nervöser, wenn es voll wird auf den Straßen.
Nach einem kurzen Anstieg zeigt der Höhenmesser runf 90 Meter an und ich weiß, ab jetzt wird es eine Weile bergab gehen und dann topfeben werden. Ein gutes Gefühl. Ich komme gut voran. Die Fahrt bis Vauvert hat bis auf einen kurzen Blick über die Ebene allerdings nicht viel zu bieten. Ich umgehe Nimes und Montpellier und biege in Vauvert von der stark befahrenen D-Straße auf die Gallician Veloroute ab. Über einige Kilometer bin ich so fernab des Autoverkehrs, danach geht es auf wenig befahrene Straßen, die durch ein Gebiet führen, daß sich von den Everglades im wesentlichen durch die Abwesenheit beißender Reptilien zu unterscheiden scheint. Kilometerweit geht die Straße geradeaus, bis ich mich plötzlich zwischen Wein- und Olivenplantagen und großen Feldern mit Gemüse wiederfinde.
Das ist schön anzusehen, birgt aber ein Problem: Als freundlicher Radfahrer möchte man weder Nutzpflanzen noch anderer Leute Garten vollpinkeln. Und so bemühe ich mich, das Problem durch Schwitzen zu lösen, was erstaunlich lang funktioniert. Ich gönne mir sogar eine Pause an einem der diversen Obst- und Gemüsestände.
Dann geht es nach Grau du Roi rein. Meine Route endet auf der Mole – eigentlich. Irgendeine Veranstaltung sorgt dafür, daß diverse Straßen voll oder gesperrt sind – und die Schwenkbrücke ist offen und bewegt sich während meiner Wartezeit nicht. Irgendwann fahre ich zur anderen Brücke zurück, zur Mole wäre es jetzt ein großer Umweg und so stoße ich ein kleines Stückchen weiter kurz vor La Grande Motte auf den Strand. Ich schiebe die Speedmachine durch den Sand – und blicke aufs Meer. Es ist fast unwirklich. Ich stehe einige Zeit da, bevor ich endlich meine Radlerhose und die Schuhe und Socken ausziehe und meine Beine ins Mittelmeer tauche.
Das Wasser ist kühl, aber trotzdem brauche ich noch eine Badehose. In den kommenden Tagen wird das Wetter sonniger und wärmer und das lasse ich mir nicht nehmen. Im nächstgelegenen Laden werde ich alerdings nicht fündig. Dafür komme ich auf dem Weg an der Küste entlang an einem Fahrradladen vorbei, wo ich mir Kettenschmierung (meine ist alle) und einen neuen Schlauch für hinten kaufe. Sicher ist sicher.
Der Weg führt mich hinter den Dünen entlang, irgendwann biege ich auf ein kurzes Stück direkt am Strand ab, nicht asphaltgiert, aber fahrbar und mit einem weiten Blick über den Küstenbogen. Dann geht es auf einen (leider durch Bauarbeiten unerwartet miesen) Weg, der am Kanal, der mitten durch die Wasserfläche hinter(!) dem Strand verläuft, nach Sete führt.
Sete ist dann auch mein heutiges Ziel. Ich folge einer Hotelempfehlung via Twitter in La Corniche. Von hier sind es nur noch ca. 160km auf der von mir gewählten Route bis Perpignan, von dort folgen Girona und Barcelona. Das wäre alles in zwei Tagen zu tun, aber ich reduziere meine Kilometerleistungen ab jetzt und werde einige Tage länger brauchen.
Auf dem Tacho stehen 133km.
Vor mir das tiefe Schwarz der nächtlichen See, am Horizont die Lichter eines großen Schiffes, die langsam kleiner werden, neben mir streift der Strahl des Leuchtturms von Sete durch die Nacht. Die Brandung rauscht, wenn sich die Wellen an den Felsen unter mir brechen. Eine warme Brise weht mir ins Gesicht. Es ist schön. Ich könnte heulen vor Glück.
In zwei Wochen bin ich von Berlin, von meiner Haustür, bis ans Mittelmeer gefahren. Aus eigener Kraft. Jetzt sitz ich hier und kann es kaum fassen. Hinter mir liegen über 1800km. Ich hatte viel Glück mit dem Wetter und die Strecke, die ich ausgesucht habe, hat sich als sehr gut erwiesen. Die Zwischenbilanz nach zwei Wochen könnte nicht besser ausfallen.
Ab jetzt wird es ruhiger, ich habe noch etwas über 300km (geschätzt, genau habe ich den Weg noch nicht ausgerechnet) vor mir. Der Wetterbericht verspricht Sonne, über 25°C jeden Tag und viele Kilometer Strand liegen noch an meinem Weg.