Heading North … again

Nach dem sehr erholsamen Ruhetag bei Christoph ging es heute weiter nach Norden. Da sich Christoph beruflich bedingt stark mit der Natur in seiner Umgebung auseinandersetzt, hatte ich in den letzten Tagen wertvolle Informationen mitnehmen können. Meine gesichteten Elche zum Beispiel waren in dieser Gegend eher eine Seltenheit: wegen der Bären- und Wolfspopulation. Ob mich das nun für das Wildcampen beruhigen konnte? Weiter im Norden soll es wieder andersrum sein. Wichtiger aber für meine Etappe: Hinter Orsa geht es erstmal bergauf.

Der Himmel war wolkenlos, es gibt hier nichtmal die bei uns allgegenwärtigen Kondensstreifen der Flugzeuge, die Sonne schien und ich setzte mir meinen neu erworbenen Hut auf. Und dann fuhr ich die nächsten 30 Kilometer quasi nur bergauf. Die kleinen Stücken Erholung dazwischen dienten nur als Rechtfertigung, daß die Steigung danach mit 5% bis 7% gleich wieder richtig zuschlagen durfte. Von 160m ü. NN auf fast 600 ü. NN. Sicher, nichts gegen eine Alpenüberquerung oder gegen das, was mich vermutlich in Norwegen erwartet. Aber ein ganz schöner Humpen, wenn man seine 150km Tagesschnitt schaffen möchte.

Die Landschaft wird zwar nicht eintönig, gerade die kleinen Seen und Flüsse bieten immer wieder idyllische Anblicke am Rand der Straße und manche der Rastplätze laden zum Verweilen ein – leider kommen die meist ghenau dann, wenn man aus lauter Verzweiflung gerade vorher an einem weniger schönen Platz eine Pause gemacht hat. Die Vorstellung, jetzt eine Woche durch genau diese Landschaft zu fahren ist meditativ schön auf der einen Seite, auf der anderen auch irgendwie etwas bedenklich.

Plötzlich sehe ich vor mir auf dem grauen Band der Straße einen leuchtend gelben Punkt. Dieser bewegt sich, wird langsam größer und Autos machen einen großen Bogen drum. Das kann nur ien Radfahrer sein! Ich lege einen Zahn zu und hole den Radfahrer ein. Besser gesagt die Radfahrer. Ein Ehepaar auf einem gelben Tandem mit Anhänger! Die Wahrscheinlichkeit für dieses Treffen auf der Straße hatte ich als äußerst gering eingeschätzt, eher erwartet, die beiden vielleicht zu überholen, wenn sie auf einem Campingplatz pausieren und ich abends noch am Fahren bin. „Hallo, Guten Tag!“, sage ich freudig. Vier Augen blicken mich fragend an … „Do you speak english???“ – Ich bin verdutzt, mir war ja von einem deutschen Ehepaar erzählt worden – in WIrklichkeit sind die beiden aber Franzosen, die schon von ihrer Heimat an der Atlantikküste aus unterwegs sind, zum Nordkap und zurück wollen. Wir unterhalten uns kurz auf der Straße und beschließen, eine gemeinsame Essenspause einzulegen. Helene und Gilles (ich hoffe, ich buchstabiere das gerade halbwegs korrekt) haben vier Monate Zeit. Sie zollen mir Respekt für meine Kilometerleistungen – insgeheim bin ich eher neidisch auf die viele Zeit, die sie für die Reise haben. Sie waren auf dem Campingplatz in Orsa und fahren etwa 80km pro Tag, so trennen sich unsere Wege nach Austausch der Internetadressen und Erinnerungsfotos wieder, denn ich will heute noch bis hinter Sveg und habe es etwas eiliger. Ich sehe sie nochmal kurz wieder, weil ich nach ein paar Kilometern eine Pause mache, um Wasser nachzubunkern.

Die Flüsse hier oben sind langsam sauberer, wenn ich nicht genug Leitungswasser hätte, damit würde ich problemlos kochen und es vermutlich sogar direkt trinken. Apropos Leitungswasser: Wo immer ich hinkam in Schweden versicherte man mir, daß an gerade dieseer Stelle einfach das beste Wasser aus der Leitung käme. Es schmeckt tatsächlich immer etwas unterschiedlich – über besser oder schlechter mache ich mir bei meinem Durst wenig Gedanken.

Die Fahrt nach Sveg ist wenig ereignisreich, Sveg auch eher ein verschlafener Ort, allerdings bietet er eine Pizzeria (wie immer im türkischer oder arabischer Hand) und offene Supermärkte, so daß ich mich noch versorgen kann. Am Sonntag wird das schwierig – nicht weil Sonntag ist oder keine Orte kommen, sondern weil am schwedischen Nationalfeiertag kein Geschäft offen hat. Wasser werde ich irgendwo bekommen, ansonsten muß ich morgen dann wohl meine Vorräte an Fertigessen dezimieren.

Hinter Sveg fällt mir die Fahrt etwas schwerer, mein rechter Fuß schmerzt ein wenig an der Ferse. Trotzdem krtiege ich die 150km noch voll, so daß mein nächstes Ziel, Östersund, in erreichbare Nähe rückt. Außerdem finde ich durch Zufall einen wunderbaren Lagerplatz, den ich mir mit einem deutschen Camper (Wohnwagen) teile. Ich zelte direkt am Fluß und habe das erste mal mit Mücken zu kämpfen. Diese sind sehr penetrant, aber offenbar noch nicht sehr stechwütig.

Im heller Dämmerung gehe ich um kurz vor Mitternacht schlafen und weiß, in dreieinhalb Stunden beginnt die Sonne mein Zelt zu trocknen, falls sich überhaupt Feuchtigkeit in der Nacht darauf sammelt.

Kleine Statistik der ersten Woche

Die erste Woche ist fast um – oder sagen wir lieber der erste Abschnitt vom Start bis zum ersten Ruhetag. Ich bin gut vorangekommen und habe eine Menge Erfahrungen gemacht.

Ein paar Zahlen: Die Planung sah von Trelleborg bis Orsa inklusive eines Bonus für Umwege (Lagerplatz suchen, Einkaufen, verfahren … was so ist) 800km vor. Rechnerisch wären das bei 150km/Tag 5 1/3 Tage. Gefahren bin ich laut Tacho 799,79km – wenn das mal keine Punktlandung war! Da ich den Ruhetag für Orsa eingeplant hatte, habe ich versucht die Strecke in 5 Tagen zu schaffen, was mir auch gelungen ist – ein Schnitt von 160 km/Tag. Anstrengend – und wenn ich das weiter halten will (zumindest die rechnerischen 150 bis zum Nordkap), dann muß ich auf jeden Fall meine Ernärhung disziplinierter angehen, insbesondere auch weil die Möglichkeiten hier oben dünner werden!

Wie ich schon auf der Reise letztes Jahr bemerkte, scheinen Liegeräder hier oben nahezu unbekannt zu sein. Wenn ich das Rad vor einem Laden oder einer Tankstellep parke, dauert es meist nicht lange, bis der erste davorsteht und es genau mustert, am liebsten von allen Seiten – manchmal sogar mit Foto. Die Reaktionen sind aber immer sehr positiv und die Fragen weitaus klüger als das ewig gleiche „schläft man darauf nicht ein?“, das ich aus Deutschland kenne. Auch die Frage nach dem Preis ist deutlich seltener und kommt wenn dann eher zurückhaltend am Ende der Konversation.

Ansonsten ist Schweden für Reiseradler ein attraktives Land. Im Süden abseits der großen Straßen kann man sehr bequem fahren und mit ein wenig Planung findet sich auch immer ein Supermarkt und ein Campingplatz. Weiter im Norden wird es anspruchsvoller – weniger Auswahl an fahrbaren Straßen und dünne Besiedlung sind dann nur noch für Leute interessant, die auch gerne mal längere Strecken fahren – dafür sind die Tage sehr lang und die Natur ist einzigartig. Das Gelände ist hügelig, auf den Straßen kann man schonmal kleine Anstiege zwischen 4% und 6% erleben, aber das ist immer endlich und es geht auch irgendwann wieder bergab.

Wälder, Seen, die ersten Elche

Morgens packe ich zeitig mein Zelt zusammen. Ich will abends in Orsa sein, das sind gut 170km. Da in den letzten Supermärkten und Tankstellen Käse oder Ähnliches nur in Familienpackungen vorhanden war fehlt mir jetzt Belag für mein Brot. Fast 20km bis zum Frühstück (nächste Tankstelle in Lesjöfors laut GPS), der Beginn einer Beinahe-Katastrophe. Die 20km fallen natürlich nicht gerade leicht – und dann stehe ich an der Tankstelle und habe die Auswahl zwischen: Hotdog. Also zwei Hotdogs, dann noch eine halbe Tüte kleiner Zimtschnecken, dazu Kakao und noch die Wasservorräte auffüllen. Weiter geht es. Nicht ideal, aber Frühstück.

Am Wegesrand zwischen Bäumen kaum wahrnehmbar steht etwas. Als ich vorbeikomme trabt es mit Getöse ins Unterholz. Leider habe ich sie nur Sekunden gesehen, aber es waren wohl meine ersten Elche auf dieser Reise. Eigentlich, so denke ich, lassen die sich doch von nichts beeindrucken. Aber es müssen Elche gewesen sein, denn die beiden waren groß, größer als Pferde. Daß die sich vor dem Liegerad erschrecken macht mir ein wenig Sorgen, denn ein erschrecktes Tier ist schwer einzuschätzen – und so ein Elch ist verdammt groß. Bei einer Konfrontation weiß ich wer gewinnt. Ich bin es nicht. Also aufpassen.

Hotdogs sind keine nachhaltige Nahrung und so setzt nach 50-60km wieder Hunger ein – es ist eh höchste Zeit was zu essen. Da nichts in Sicht ist, beschließe ich am nächsten Rastplatz den Kocher auszupacken. Am Inlandsvägen (26, E45) gibt es in kurzen Abständen Parkplätze – in Deutschland würde man „Nothaltebucht“ sagen und Unmengen von Toilettenpapier am Rand zeugen davon, wofür diese Plätze in der Regel benutzt werden. Und dann gibt es in etwas größeren Abständen Rastplätze. Dort gibt es mehr Platz, meist etwas mehr Abstand zur Straße. Es stehen Tische, Bänke und einfache (aber in der Regel saubere, benutzbare) Klos zur Verfügung, manchmal sogar kleine Schutzhütten oder Grills – aber keine Versorgungsmöglichkeiten. Ich fahre auf den nächsten Rastplatz. Dort treffe ich einen schwedischen Angler mit einem Fahrrad, der froh ist mich zu sehen – er hat keine Luftpumpe und sein HInterrad hat einen Platten. Ich helfe ihm mit der Luftpumpe aus und muß mich zum ersten mal agressiver Mückenschwärme erwehren. An Kochen ist nicht zu denken, ich habe nur noch etwas mehr als einen Liter Wasser und keine Ahnung, wann die nächste Möglichkeit kommt, Wassernachzufüllen. Jetzt Trinkwasser für Nudeln opfern ist also auch nicht klug. Und so fahre ich weiter. Hungrig. Nicht klug.

Irgendwann kommt wieder eine Tankstelle und es gibt: Hotdog. Naja, und Wasser. Und so weit ist es ja jetzt auch nicht mehr. 50km noch bis Mora und das ist ja schon gleich bei Orsa. Ja, ich komme mir ein wenig dämlich vor dabei und das darf mir weiter im Norden nicht mehr passieren.

Auf der Straße kommt mir der erste Reiseradler in freier Widlbahn entgegen. Es ist Finn. Finn ist aus Dänemark und kommt vom Nordkapp zurück. Trotz Verständigungsschwierigkeiten verstehe ich, daß er via Oslo nach Alta geflogen ist, am Nordkap war und jetzt seit 15 Tagen unterwegs ist. In zwei Tagen will er zurück in Dänemark sein, da hat er noch etwas vor sich. Er fährt auf einem Carbonrad mit Ortliebrolle und Rucksack und erzählt, daß ihm oben bei Jokkmokk die hintere Felge gebrochen sein. Deshalb hat er jetzt eine Ersatzfelge, weniger Gänge und vor allem hinten keine Bremse mehr, denn seine Bremsscheibe ist bei der Aktion auch kaputt gegangen. Und Finn erzählt, er habe ein deutsches Ehepaar auf einem Tandem getroffen. Ich erzähle ihm, das Tandem sei gelb und habe einen Anhänger – er ist verblüfft.

Wo die 26 auf die E45 trifft, die von Göteborg aus westlich des Vänern nach Norden führt und auf der ich ab jetzt weiterfahre, ist ein kleiner Campingplatz. Ein paar Wohnmobile stehen dort. Ich beschließe ein Experiment zu wagen und frage an einem deutschen Wohnmobil, ob die Reise nach Norden ginge – ja, wenn auch nicht zum Nordkap. Ich hinterlasse einen Zettel mit einem kurzen Text und meiner Telefonnummer und bitte den Wohnmobilfahrer, falls er das gelbe Tandem sieht, den Zettel auszuhändigen. Allerdings weiß ich nicht, wer schneller ist. ich suche mir wohl nochmal einen Nordkapfahrer. Sollten die beiden auf ihrem Tandem langsamer sein als ich (darauf wetten würde ich nicht), dann würde ich sie vermutlich unbemerkt überholen, während sie abseits der Straße ihr Lager aufschlagen.

Mora erreiche ich bei etwa 150km. 20km bis Orsa zu Christoph werden noch folgen und wegen der nicht ausreichenden Ernährung heute bin ich ziemlich fertig. Zwei Mars, eine Cola, ein Apfelsaft und eine Banane müssen erstmal reichen, auf Hotdog habe ich keine Lust mehr. Dann geht es auf verschlungenen Pfaden durch den Ort und über einen nicht asphaltierten Radweg in Richtung Orsa. Christoph hatte mich vorgewarnt und gesagt, ich solle den Weg ab Vattnäs nehmen – aber aufgrund schwindender Konzentration war es mir so lieber als die befahrene und enge E45 zu nehmen. Mit der sprichwörtlich letzten Kraft rollte ich in Orsa auf den Hof, der Mann mit dem Hammer war aber nicht weit hinter mir.

Ich wurde herzlich empfangen – und das allergrößte: Ich bekam sogar noch eine riesige Portion Tortellini! Das war das Richtige, um mich jetzt wieder aufzubauen. Nach angeregten Gesprächen ging es dann nach dem Duschen ins Bett und ich schlief innerhalb kürzester Zeit ein.

Change!

Ich bin zwar pünktlich um 10 Uhr fertig mit dem Packen, als die Rezeption aufmacht, wo ich zahlen muß, aber ich entscheide mich, noch kurz eine Unterhose und Socken zu waschen und bei dem sonnigen Wetter auf hinten auf dem Gepäck zu trocknen. Außerdem treffe ich noch zwei Schweizer, die heute ihren Ruhetag haben, aber auch gerade mit ihren Rädern auf dem Weg zum Nordkap sind – so fit möchte ich in deren Alter (70, verrät mir einer der beiden!) auch noch sein!

Anschließend kaufe ich in Marietad ein USB-Kabel (ich habe zu Hause das falsche gegriffen, ein reines Ladekabel ohne Datenleitungen – war halt auch weiß…) und setze mich in ein Café zum Frühstück. Ich lasse den Tag bewußt ruhig angehen nach den über 170km gestern. Beim Frühstück komme ich mit einem Radfahrer aus Norwegen ins Gespräch – nicht auf dem Weg zum Nordkap, nur ein wenig am Göta Kanal – der mir seine Telefonnummer gibt, falls ich auf dem Rückweg bei ihm vorbeikomme, soll ich mich melden. Es ist immer wieder unglaublich, wie leicht man mit den Leuten hier ins Gespräch kommt und Kontakte knüpft!

Ich fahre ohne GPS-Routing nach Tipps eines Motrorradfahrers, der in der Hütte neben mir einquartiert war weiter, mein nächster Zwischenstopp ist nach ein paar Kilometern Sjötorp, wo der Göta Kanal vom Vänern in Richtung Osten geht. Ich mache Fotos, ein kurze Pinkelpause und fahre zurück auf die 26. Zwischendurch bieten sich von der Straße weite Blicke über den See, der so groß ist, daß man das gegenüberliegende Ufer nicht sehen kann. Weiter geht es nach Kristinehamn. Dort gönne ich mir eine Pizza, denn ab hier geht es erstmal bergauf.

Nördlich von Kristinehamn wird dann wirklich vieles anders. Sehr viel weniger Verkehr ist das erste, was mir auffällt, sehr viel weniger LKW. Dichter Wald und immer wieder langgezogene Seen. Ansonsten gibt es hier allerdings zunehmend weniger Infrastruktur. Das graue Band der Straße schlängelt sich durch den Wald, viele Kilometer kommt kein Abzweig, Übergänge über den Straßengraben enden oft direkt danach im Dickicht des Waldes. Vereinzelt stehen mal Häuser an der Straße oder auch einfach Briefkästen neben Einfahrten, die zumindest vermuten lassen, daß dort ein Haus sein muß.

Ich erreiche Filipstadt, dann Persberg. Sonnenuntergang ist heute schon nach 22 Uhr, aber mir wird klar, daß das Finden eines geeigneten Lagerplatzes für die Nacht hier gar nicht so einfach wird. Die besten Chancen bieten immernoch Seen, allerdings hat man kaum eine Ahnung, wohin ein Weg führt, der von der Straße abzweigt. Als ich 150 Kilometer auf dem Tacho habe biege ich wahllos in die nächste Einfahrt ein. Kleine Gärten, ein paar Häuser – Jedermannsrecht in allen Ehren, aber in jemandes Garten kann man auch in Schweden sein Zelt nicht einfach so aufstellen. Die Häuser sind dunkel, leer. Als ich schon am Umdrehen bin, regt sich in einem Haus etwas. Ich frage freundlich, ob es denn hier irgendwo einen Platz für mein Zelt gäbe und bekomme eine für schwedische Verhältnisse kurz angebundene Antwort: „This is private!“ – Ja, wußte ich ja. Daher hab ich ja auch nicht einfach mein Zelt aufgebaut, sondern gefragt.

Der nächste Abzweig ist vielversprechend, zwischen den Häusern genügend Platz, freie Fläche. Da es dennoch in Sichtweite ist frage ich an einem Haus, wo jemand zu Haus ist, man zeigt mir freundlich einen Platz. Als mein Zelt steht und ich mich in den Schlafsack verkrieche ist es fast Mitternacht – eine Taschenlampe ist nicht nötig, es herrscht Dämmerung. Und nebenan läuten mich die Kuhglocken in den Schlaf.

Erleuchtung, Erlösung, Glaube

Sanftes Vogelgezwitscher und verhaltener Sonnenschein weckten mich am nächsten Morgen. Da die Sonne schon recht spät unter- und sehr früh wieder aufgeht, habe ich nicht mit Dingen wie Morgentau zu kämpfen, das Zelt ist schon um halb acht morgens trocken. So beginne ich meine Taschen zu packen und rolle das Zelt ein. Über kleine Straßen finde ich meinen Weg zurück zur 26. Die Zahlen auf dem Tacho bleiben niedrig, meine Beine schmerzen. Habe ich mich übernommen, hat all das Training nichts gebracht? Kilometer um Kilometer kämpfe ich mich vorwärts, zwar geht es selten mal auf mehr als 150 Meter über dem Meer, das dafür aber um so öfter.

Wo die 26 die 40 kreuzt, fahre ich ein kleines Stück in Richtung Westen auf der 40 und biege bei Bottnaryd auf die 185 ein. Die 26 macht hier einen Haken nach Jönköping und auf der 185 spare ich einige Kilometer und kann vor allem sehr viel entspannter als auf der stark befahrenen 26 fahren. Straßen dritter Ordnung haben für Radfahrer hier definitiv Vorteile. Entlang einer malerischen Seenkette, die immer wieder schöne Anblicke bietet, geht es auf dieser kleinen Straße, bis ich bei Mullsjö wieder auf die 26 treffe. Am Kreuzungspunkt gibt es Mittagessen in einer Raststätte: Köttbullar (kleine Fleischbällchen) – echt schwedisch. Aufgrund meiner anhaltenden Probleme habe ich beschlossen, den Tretausleger etwas zu länger einzustellen, was ich dann auch nach meinem Essen tue. Und wirklich, das war es! Nachdem meine guten alten Pearl Izumis kurz vor der Reise anfingen sich zu zerlegen war ich leider gezwungen (und hatte mich nicht gut dabei gefühlt), mit anderen Schuhen die Reise anzutreten. Ich hatte die Gelegenheit genommen und etwas dickere, wasserfeste und wärmere, Shimanos zu kaufen. Ich habe die in der einen Woche eingelaufen, bin damit gefahren bevor es losging – aber natürlich nicht genug, um diesen subtilen halben Zentimeter wirklich zu bemerken. Schon auf den ersten paar hundert Metern nach dem Weiterfahren merkte ich, wie sich meine Beine erholten – und die Zahlen auf dem Tacho waren auch gleich bedeutend größer. Und mangels Laserline bei HP war mein Ausleger nun ein klein wenig schief eingestellt…

Wie gut, daß schon nach kurzer Zeit am Straßenrand eine passende Haltemöglichkeit kam. Ein Trabi in Deutschlandfarben (stilecht, mit Emblem) thronte auf dem Dach der kleinen Tankstelle, die den Namen „Strammer Max“ trug. Nach kurzem Schrauben, der Ausleger ist nun begradigt, konnte ich nicht umhin, dort hinein zu gehen. Ich hatte zwar gerade erst eine Pause hinter mir, aber dieses kleine Stück Deutschland in Schweden wollte ich mir dann doch antun. Zielsicher sprach ich den Menschen hinter der Theke auf deutsch an – und der verstand kein Wort. Ich versuchte es in englisch, das gleiche Ergebnis. Dann wurde ich an zwei Gäste verwiesen – und das waren ausgewanderte Deutsche. Ein kleiner Plausch über dies und jenes bei einer Cola auf deutsch hat ja auch mal was. Dort erfuhr ich dann auch, daß zwei Tage vor mir ein deutsches Ehepaar auf einem gelben Tandem mit Anhänger auf dem Weg zum Nordkap war.

Hätte ich bis vor kurzem noch gezweifelt, ob ich heute weit über die 100km kommen würde, so stellte sich nun Euphorie ein. Ich kam vorwärts. Und ich faßte einen kühnen Plan: Mariestad! Ich wollte heute noch den Vänern sehen! Bis Skövde folgte ich der 26. Wirklich entspanntes Fahren ist anders, die Straße ist stark befahren, viele LKW, die mit teils nur geringem Abstand überholen. Der Randstreifen ist eng, die Straße insgesamt nicht sehr breit. Und bei Skövde schließlich sind wieder Fangzäune rechts und links der Fahrspuren aufgestellt. Praktisch für PKW, todgefährlich für Motorradfahrer oder Radfahrer. Und für letztere ist die Ortsumgehung dann eh gesperrt.

Ich nutze die Ortsdurchfahrt, um mich an einer Tankstelle mit weiterem Essen zu versorgen. In Skövde sind viele Radfahrer unterwegs, das Radwegenetz ist sehr gut ausgebaut. Und es kommen mir sehr viele Rennradler entgegen – die Vätternrunde steht an und es wird allerorten trainiert. An der Tankstelle treffe ich den ersten Schweden, der mein Liegerad nicht nur ungläubig anstarrt, sondern schonmal eines gesehen hat – wenn auch, wie er sagt, nicht von so nahe. Bei der Vätternrunde, da fahre wohl eines mit, erzählt er mir.

Hinter Skövde in Richtung Mariestad beschließe ich, nicht auf die 26 zurückzufahren, sondern parallel. Das heißt zunächst einmal, daß ich auf kaum nivellierten Straßen immer wieder mit kleinen, knackigen Anstiegen zwischen 4 und 6 Prozent Steigung zu kämpfen habe, aber die Belohnung in Form einiger Schußabfahrten folgt natürlich dann auch. Die Nummern der Straßen (02931) klingen hier langsam eher wie die Vorwahlen der kleinen Orte, die ich durchquere, aber die Landschaft wird flacher. Weniger Wald und mehr Landwirtschaft bestimmen das Bild.

Irgendwann treffe ich die 201, auf der ich dann nach Mariestad einfahre. Noch vor Sonnenuntergang (der ist im 21:55 Uhr) stehe ich am Vänern. Glücksgefühle überkommen mich, ich bin angekommen auf meiner Reise. Und ich glaube jetzt fest daran, daß das Nordkap ein erreichbares Ziel ist.

Wo ich schlafen werde, fragt mich ein interessierter Schwede. Ich zucke mit den Schultern. Mal sehen. Er gibt mir den Tipp, daß ein kleines Stück weiter eine Badestelle sei, mit Klo und vielleicht sogar Dusche. Das wilde Campen ist in der Nähe von größeren Orten immer etwas schwierig, weit fahren will ich auch nicht mehr und so schwanke ich zwischen der Badestelle und dem Campingplatz, den mein GPS vorschlägt. Ich fahre zur Badestelle. Das Klo ist nutzbar, die Duschen sind geschlossen und ich weiß nicht, wann hier der Betrieb losgeht. Ich entscheide mich doch für den Campingplatz. Die Sonne ist untergegangen, es wird dunkel und der Platz liegt südlich von Mariestad. Also nochmal 5km drauflegen. Dafür aber eine warme Dusche.

Als ich um 23 Uhr am Campingplatz bin hat die Rezeption natürlich zu. Ich versuche rauszufinden, wo die Stellplätze für Zelte sind, da kommt jemand, der für mich die Rezeption nocheinmal aufmacht. Ich bin faul und entscheide mich für eine Hütte. Einfach Taschen reinstellen, Rad hinterher und fertig. Ich gehe noch duschen und falle danach in tiefen Schlaf in meinem Schlafsack.