Sanftes Vogelgezwitscher und verhaltener Sonnenschein weckten mich am nächsten Morgen. Da die Sonne schon recht spät unter- und sehr früh wieder aufgeht, habe ich nicht mit Dingen wie Morgentau zu kämpfen, das Zelt ist schon um halb acht morgens trocken. So beginne ich meine Taschen zu packen und rolle das Zelt ein. Über kleine Straßen finde ich meinen Weg zurück zur 26. Die Zahlen auf dem Tacho bleiben niedrig, meine Beine schmerzen. Habe ich mich übernommen, hat all das Training nichts gebracht? Kilometer um Kilometer kämpfe ich mich vorwärts, zwar geht es selten mal auf mehr als 150 Meter über dem Meer, das dafür aber um so öfter.
Wo die 26 die 40 kreuzt, fahre ich ein kleines Stück in Richtung Westen auf der 40 und biege bei Bottnaryd auf die 185 ein. Die 26 macht hier einen Haken nach Jönköping und auf der 185 spare ich einige Kilometer und kann vor allem sehr viel entspannter als auf der stark befahrenen 26 fahren. Straßen dritter Ordnung haben für Radfahrer hier definitiv Vorteile. Entlang einer malerischen Seenkette, die immer wieder schöne Anblicke bietet, geht es auf dieser kleinen Straße, bis ich bei Mullsjö wieder auf die 26 treffe. Am Kreuzungspunkt gibt es Mittagessen in einer Raststätte: Köttbullar (kleine Fleischbällchen) – echt schwedisch. Aufgrund meiner anhaltenden Probleme habe ich beschlossen, den Tretausleger etwas zu länger einzustellen, was ich dann auch nach meinem Essen tue. Und wirklich, das war es! Nachdem meine guten alten Pearl Izumis kurz vor der Reise anfingen sich zu zerlegen war ich leider gezwungen (und hatte mich nicht gut dabei gefühlt), mit anderen Schuhen die Reise anzutreten. Ich hatte die Gelegenheit genommen und etwas dickere, wasserfeste und wärmere, Shimanos zu kaufen. Ich habe die in der einen Woche eingelaufen, bin damit gefahren bevor es losging – aber natürlich nicht genug, um diesen subtilen halben Zentimeter wirklich zu bemerken. Schon auf den ersten paar hundert Metern nach dem Weiterfahren merkte ich, wie sich meine Beine erholten – und die Zahlen auf dem Tacho waren auch gleich bedeutend größer. Und mangels Laserline bei HP war mein Ausleger nun ein klein wenig schief eingestellt…
Wie gut, daß schon nach kurzer Zeit am Straßenrand eine passende Haltemöglichkeit kam. Ein Trabi in Deutschlandfarben (stilecht, mit Emblem) thronte auf dem Dach der kleinen Tankstelle, die den Namen „Strammer Max“ trug. Nach kurzem Schrauben, der Ausleger ist nun begradigt, konnte ich nicht umhin, dort hinein zu gehen. Ich hatte zwar gerade erst eine Pause hinter mir, aber dieses kleine Stück Deutschland in Schweden wollte ich mir dann doch antun. Zielsicher sprach ich den Menschen hinter der Theke auf deutsch an – und der verstand kein Wort. Ich versuchte es in englisch, das gleiche Ergebnis. Dann wurde ich an zwei Gäste verwiesen – und das waren ausgewanderte Deutsche. Ein kleiner Plausch über dies und jenes bei einer Cola auf deutsch hat ja auch mal was. Dort erfuhr ich dann auch, daß zwei Tage vor mir ein deutsches Ehepaar auf einem gelben Tandem mit Anhänger auf dem Weg zum Nordkap war.
Hätte ich bis vor kurzem noch gezweifelt, ob ich heute weit über die 100km kommen würde, so stellte sich nun Euphorie ein. Ich kam vorwärts. Und ich faßte einen kühnen Plan: Mariestad! Ich wollte heute noch den Vänern sehen! Bis Skövde folgte ich der 26. Wirklich entspanntes Fahren ist anders, die Straße ist stark befahren, viele LKW, die mit teils nur geringem Abstand überholen. Der Randstreifen ist eng, die Straße insgesamt nicht sehr breit. Und bei Skövde schließlich sind wieder Fangzäune rechts und links der Fahrspuren aufgestellt. Praktisch für PKW, todgefährlich für Motorradfahrer oder Radfahrer. Und für letztere ist die Ortsumgehung dann eh gesperrt.
Ich nutze die Ortsdurchfahrt, um mich an einer Tankstelle mit weiterem Essen zu versorgen. In Skövde sind viele Radfahrer unterwegs, das Radwegenetz ist sehr gut ausgebaut. Und es kommen mir sehr viele Rennradler entgegen – die Vätternrunde steht an und es wird allerorten trainiert. An der Tankstelle treffe ich den ersten Schweden, der mein Liegerad nicht nur ungläubig anstarrt, sondern schonmal eines gesehen hat – wenn auch, wie er sagt, nicht von so nahe. Bei der Vätternrunde, da fahre wohl eines mit, erzählt er mir.
Hinter Skövde in Richtung Mariestad beschließe ich, nicht auf die 26 zurückzufahren, sondern parallel. Das heißt zunächst einmal, daß ich auf kaum nivellierten Straßen immer wieder mit kleinen, knackigen Anstiegen zwischen 4 und 6 Prozent Steigung zu kämpfen habe, aber die Belohnung in Form einiger Schußabfahrten folgt natürlich dann auch. Die Nummern der Straßen (02931) klingen hier langsam eher wie die Vorwahlen der kleinen Orte, die ich durchquere, aber die Landschaft wird flacher. Weniger Wald und mehr Landwirtschaft bestimmen das Bild.
Irgendwann treffe ich die 201, auf der ich dann nach Mariestad einfahre. Noch vor Sonnenuntergang (der ist im 21:55 Uhr) stehe ich am Vänern. Glücksgefühle überkommen mich, ich bin angekommen auf meiner Reise. Und ich glaube jetzt fest daran, daß das Nordkap ein erreichbares Ziel ist.
Wo ich schlafen werde, fragt mich ein interessierter Schwede. Ich zucke mit den Schultern. Mal sehen. Er gibt mir den Tipp, daß ein kleines Stück weiter eine Badestelle sei, mit Klo und vielleicht sogar Dusche. Das wilde Campen ist in der Nähe von größeren Orten immer etwas schwierig, weit fahren will ich auch nicht mehr und so schwanke ich zwischen der Badestelle und dem Campingplatz, den mein GPS vorschlägt. Ich fahre zur Badestelle. Das Klo ist nutzbar, die Duschen sind geschlossen und ich weiß nicht, wann hier der Betrieb losgeht. Ich entscheide mich doch für den Campingplatz. Die Sonne ist untergegangen, es wird dunkel und der Platz liegt südlich von Mariestad. Also nochmal 5km drauflegen. Dafür aber eine warme Dusche.
Als ich um 23 Uhr am Campingplatz bin hat die Rezeption natürlich zu. Ich versuche rauszufinden, wo die Stellplätze für Zelte sind, da kommt jemand, der für mich die Rezeption nocheinmal aufmacht. Ich bin faul und entscheide mich für eine Hütte. Einfach Taschen reinstellen, Rad hinterher und fertig. Ich gehe noch duschen und falle danach in tiefen Schlaf in meinem Schlafsack.