Südwest 2011: Flirting with Disaster

Dienstag, 13.09.2011

Während ich in Bad Hersfeld beim beim Frühstück sitze geht draußen ein Schauer nieder. Ein Blick aufs Regenradar sagt mir aber, daß sich das mit Ende des Frühstücks schon erledigt haben dürfte. Ich bringe noch Pfandflaschen weg, unterhalte mich kurz mit zwei anderen Radlern, dann sattle ich mein Rad und fahre im Nieselregen los.

Nach einigen Metern halte ich an und verstaue die Bauchtasche in der Ortliebrolle, ich möchte Handy und Kamera nicht mit der Feuchtigkeit meiner Umgebung konfrontieren. Einige hundert Meter weiter halte ich nochmal an und ziehe die Regenjacke über. Nach 2km halte ich an und ziehe die Regenjacke wieder aus. Einen weiteren Kilometer weiter, die Sonne kommt durch, hole ich die Bauchtasche wieder aus der Versenkung.

Über eine gute Strecke folge ich einem netten, ruhigen Radweg, dann kleinen Straßen, bis ich nach Schlitz komme. Bei einem Bäcker an der Straße mache ich eine kleine Pause mit einem Brötchen, Kakao und Apfelschorle. Während ich noch da sitze und amüsiert all die interessierten Menschen beobachte, die draußen staunend um mein Fahrrad herumgehen, kommen die beiden Radler aus dem Hotel wieder vorbei. Sie winken, fahren aber durch … und kommen nach einigen Minuten wieder. Wichtige Regel: Immer die erste Möglichkeit nehmen, wenn es auf dem Dorf schonmal was zu essen gibt.

Ich nutze die Gelegenheit, daß jemand aufs Rad aufpasst und suche die Örtlichkeit auf, dann fahre ich weiter. Ein leichtes Völlegefühl macht sich breit und wird stärker. Eigentlich habe ich nicht so übermäßig viel gegessen. Das Fahren anstrengender. In Großenlüder setze ich mich auf einen Tee in die Bäckerei des Ortes. Das Gefühl kenne ich, meine Galle meldet nsich zu Wort. Normalerweise geht das in ein paar Stunden vorbei.

Nicht so heute. Ich suche mir ein Hotel im Ort. Als Übelkeit einsetzt, suche ich einen Arzt auf. NaCl-Infusion mit Buscopan, der Bauch ist etwas verhärtet. „Wenn das schlimmer wird bis morgen: hier gibt es auch gute Chirurgen, keine Bange!“ … was für eine Ansage.

Die Nacht verbringe ich über der Kloschüssel.

Mittwoch, 14.09.2011

Erst gegen Morgen beruhigt sich mein Bauch, ich kann sogar ein Scheibchen Brot frühstücken. Ein weiterer Besuch beim Arzt bringt aber Entwarnung und es geht mir auch zuenhmend besser. Die schlaflose Nacht hat Spuren hinterlassen und ich muß erstmal meine Reserven auffüllen, also schiebe ich einen Ruhetag ein.

Südwest 2011: Kenne Deinen Gegner

Montag, 12.09.2011

Vor dem Fenster meines Burgzimmers hing noch etwas Dunst, aber nach und nach kam die Sonne durch. Nach einem ausführlichen Frühstück geht es auch schon bald los. Die kommende Etappe ist geprägt von Höhenmetern. Zunächst aber geht es auf den Unstrut-Radweg. Fernab von Autos geht es entlang des Flüßchens Unstrut entspannend vorwärts.

Doch bald ändert sich die Landschaft, es wird zunehmend welliger. Ich kämpfe mich Steigungen hoch. Es scheint aber keine Gefälle zu geben, die für die Anstrengungen entlohnen.
Und vor allem gibt es in den Orten, durch die ich fahre zwar jede Menge Fahrschulen, allerdings keine Bäcker. Oder einen Bäcker, der geschlossen hat, so wie die meisten Gasthöfe. Ich entwickle die Theorie, daß es vielen Leuten offenbar wichtiger ist, hier wegzukommen, als etwas zu essen. Dabei ist die Landschaft eigentlich wirklich schön.

Nur eben so wellig. Und es geht niemal bergab. Glaube ich.

Geschätzt müßte ich mittlerweile mindestens 1000m über dem Meeresspiegel sein. Das GPS widerspricht und gibt eine kalibrierte Höhe von 230m an. Und langsam wird es mir klar. Mein Gegner heute sind nicht die Steigungen – es ist der Gegenwind. Vier Bft und Böen. Allerdings ist deutlich zu merken, daß auf der Leeseite, wo ich aufsteige, deutlich weniger Wind herrscht, an der Luvseite allerdings der Wind offenbar sehr viel stärker bläst. Selbst auf fünf-Prozent-Abfahrten (die steileren kommen erst später am Tag) sehe ich selten mehr als vieleicht 25km/h auf dem Tacho. In der Ebene sind es vielleicht 16 bis 17 km/h.

Irgendwann finde ich Gräfentonna endlich einen offenen Supermarkt. Brötchen. Kuchen. Eistee (mit Zucker, kein Süßstoff – gar nicht so leicht heute…).
Und weiter geht es. Nach wenige Kilometern ebschließe ich, meinen Beinen eine Pause zu gönnen. Und ich merke, daß ich meine Sonnencreme wohl erfolgreich runtergeschwitzt habe: die Haut spannt. Auf einer Wiese lege ich mich ins Gras. Nach kurzem grüßt ein weiterer Radler, wir unterhalten uns kurz.

Und dann wieder los. „Eisenach, dann hast Du’s hinter Dir!“ klingt mir in den Ohren, also rein virtuell, denn ich habe den Satz nur sinngemäß von Klaus auf Twitter gelesen. Er kennt die Strecke. Eisenach. So nah und doch so fern. Es scheint nicht näher zu kommen.

Irgendwann habe ich es dann aber doch geschafft. Nudeln und Apfelschorle. Ich wälze die Gedanken, wo ich heute übernachten werde. I

n Eisenach habe ich eine Hotel-Empfehlung in GPS, ber eigentlich ist mir nach dem Essen nach noch ein paar Kilometern. Die nächste größere Ortschaft ist Bad Hersfeld, 60km entfernt und nicht mehr im Hellen zu erreichen.Sicherheitshalber schaue ich nach Hotels, die lang genug eine besetzte Rezeption haben, gehe aber davon aus, daß ich eher noch etwa 30km fahren werde und dann eine Herberge am Wegesrand suche.

Hinter Eisenach geht die radweit-Route zu einem guten Teil über den Werra-Radweg. Dieser ist in Teilen gut ausgebaut, auf anderen Teilen ist Schotterbelag angesagt – und auf diesem Schotter auch ein paar Rampen, die es in sich haben.

Nach einer Straßenpassage über ruhige kleine Straßen geht es dann auf den nächsten Schotterabschnitt. Nach etwa einem Kilometer drehe ich entnervt um. Das gestrige Unwetter hat in Form von tiefen Schlammpfützen und und dicken Ästen seine Spuren hinterlassen, diese Wege sind für Tourenradler unpassierbar. Ich fahre über die Alternativroute auf der Straße.

Dre Track vereinigt sich irgendwann wieder und dann geht es erst über einen gut ausgebauten Streckenabschnitt, dann kommt wieder so eine richtig tolle Überraschung: der ausgewiesene Radweg scheint urplötzlich in einer Sackgasse, umgeben von elektrischen Viehzäunen, zu enden.

Ungläubig starre ich auf das Schild 50m zuvor, das einen schmalen Single-Trail als Weiterführung des Radwegs ausweist. Schlammpfützen erwarten mich, aber ich bin tapfer, immerhin gilt es keine Äste zu überwinden. Ganz klar ist aber: Planungsicherheit für jedes Wetter bieten diese Wege nicht.

Ich entscheide mich, da fast nur noch Straßenpassagen kommen, den Schatten und den nachlassenden Wind zu nutzen und bis Bad Hersfeld durchzufahren. Als ich merke, daß die schlimmsten Anstiege kurz vor Bad Hersfeld kommen ist es zu spät für eine andere Entscheidung. Dunkelheit setzt ein, in den kleinen Dörfern sind keine Unterkünfte zu bekommen. Aber ich mag Fahrten bei Nacht und setze intensiv auf den folgenden Abfahrten mein Fernlicht ein (auf den Anstiegen mit 7 bis 8 km/h ist das reichlich unnötig). Speziell auf dem Salztalradweg kurz vor dem Ziel ist das Licht eine große Hilfe. Andererseits: ohne diese Scheinwerfer wären die Rehe vielleicht auch so vom Weg gesprungen und hätten sich nicht erst bitten lassen müssen (durch Abblenden).

Am Rande von Bad Hersfeld stelle ich gnadenlos auf Autorouting vom avisierten Hotel um und bin nach nichtmal einem Kilometer dort. Mein Rad bekommt einen sicheren, trockenen Garagenplatz, ich habe ein nettes Zimmer, morgen gibt es Frühstück und im Hause ist ein kroatisches Restaurant. Und vor der Tür eine Tankstelle, um mir noch etwas anderes als Leitungswasser mit aufs Zimmer zu nehmen. Mein brachialer Sonnenbrand fordert Tribut, auch in Form von großem Durst.

175km liegen hinter mir.

Südwest 2011: Sonne, Unwetter, Gastfreundschaft

Sonntag, 11.09.2001

Nach dem Aufwachen begrüßt uns blauer Himmel. Schnell haben wir gepackt und stärken uns am Frühstücksbuffet. Gegen 09:30 Uhr machen wir uns auf den Weg. Kurz auf die Karte schauen, wo man am besten wieder auf den Track zurück kommt, dann geht es los. Die Temperatur steigt unaufhaltsam, 25°C, 27°C, 29°C und die Sonne brennt. Leider liegt auch eine drückende Schwüle in der Luft. Und es weht ein scharfer Gegenwind, wir sehen die Windräder immer nur von hinten.

Klaus‘ Plan ist es, in Halle einen IC zu erreichen, die einzig stress- und umsteigefreie Rückfahrtmöglichkeit und so hängen wir uns rein. Natürlich wird nicht übertrieben, aber wir wechseln uns ab, unterhalten uns wenig ziehen unseres Weges. Das Gelände wird wellig, keine wirklich heftigen Anstiege, aber es läppert sich einiges zusammen.

Die Strecke nach Halle ist angenehm zu fahren, aber im wesentlichen eher ereignislos. Keine herausragenden Landmarken, keine wirklich spannenden Streckenabschnitte. In Halle trennen sich unsere Wege, als Klaus irgendwann vom Track abbiegt und einer großen Hauptstraße nicht ganz wie von den Verkehrsplanern für Fahrräder beabsichtigt zum Hauptbahnhof folgt.

Ich durchfahre Halle auf dem Radweit-Track, weitestgehend, an einer Stelle gibt es eine keine Abkürzung, vermutlich neu, nach einer einer angenehmen Fahrt durch einen langgezogenen Grünstreifen geht es dann auch bald wieder raus aus der Stadt. Ich beschließe bei nächster Gelegenheit eine Pause zu machen, über dem heißen Asphalt ist das Thermometer bei 31°C festgenagelt.Neben der Strecke finde ich einen schattigen Platz mit Selbstbedienung. Da mir die Gerichte nach dem KOnzepot fettiges Fleisch mit schwerer Soße (ausnahmslos alle!) nicht gefallen, nehme ich ein Eis und eine Apfelschorle und spekuliere darauf, demnächst vielleicht noch an einem Café vorbeizukommen. Außerdem liegt ja in absehbarer Entfernung noch der empfohlene Leimbacher Gasthof auf dem Weg, den ich für mein Mittagessen vorgesehen habe.

Das mit der absehbaren Entfernung entpuppt sich allerdings als Fehler. Der kräftige Gegenwind gepaart mit dem stetigen Anstieg in höheres Gelände, immer nur ganz geringe Prozentzahlen, aber die können mehr nerven als eine faire Steigung, zehren an den Kräften. Immer wieder wird meine Hoffnung auf ein Café oder ähnliches bitter enttäuscht. Zudem divergieren die autokalibrierende Höhenangabe auf dem GPS und die unkalibrierte auf dem Tacho zunehmend: der Tacho liegt mit seinen Angaben mittlerweile dutzende Meter über dem GPS, ein sicheres Zeichen für fallenden Luftdruck.

Noch 15km bis zum Gasthof. Durchhalten. Ich schwitze. Trotz Sonnencreme macht sich Sonnenbrand bemerkbar. Gegenwind.

Noch 10km bis zum Gasthof. Hungergefühl steigt auf. Ein sicheres, daß ich schon längst hätte essen sollen.

Noch 5km bis zum Gasthof. Tankstelle. Ich schlinge ein Sandwich hianunter, trinke ein Malzbier, esse zwei Schokoriegel. Die Beine schreien. Nicht gut.

Dann endlich der Gasthof. Dringend brauche ich jetzt die Pause. Apfelschorle, ein ordentliches Essen. Draußen zieht sich der Himmel zu. Die Regenprognose von gestern abend kündigte den Regen zwischen 17 und 19 Uhr. Es ist 15 Uhr. Eine Stunde Pause muß sein. Bevor das Essen nicht wirkt brauche ich kaum weiterzufahren. Ich bin über den Hungerpunkt, es ist schwer zu essen, aber ich tue es. Draußen ein paar jugendliche, die mein Fahrrad interessiert begutachten. Ich nehme mir etwas Zeit für sie, um mich abzuhalten, zu schnell weiterzufahren. Aber die Zeit drängt, das Regenradar läßt schlimmes erahnen.

Als ich weiterfahre sind es noch 30km bis Heldrungen. Das Essen liegt schwer im Magen. Nicht daß wir uns mißverstehen: hervorragendes Essen, aber mein Körper weigert sich, es so schnell zu verdauen, wie ich es jetzt bräuchte. Käme auf dem Weg eine passende Unterkunft, ich würde sie nehmen. Es kommt aber keine.

Abbiegung auf den Saale-Unstrut-Radweg, weg von den Autos. Es wird dunkler, vor mir eine schwarze Wand, sie zieht scheinbar wuer vor mir vorbei, ich muß von meinem Westkurs südwärst abbiegen, dort sieht es heller aus. Aber die Wand kommt trotzdem näher, bedrohlich nahe.

Kurz vor erreichen der Straße pfeifen plötzöich von einer Sekunde auf die andere Sturmböen über mich, die ersten Regentropfen. Mit erreichen der Straße wird der Regen stärker. Blitze zucken durch die Luft. Keine Bushaltestelle oder ähnliches weit uns breit, nur Bäume – und die sind bei Gewitter eine schlechtere Wahl als offenes Gelände. Ich sichere alle empfindlichen Dinge in meinen wasserdichten Taschen, ziehe die Regenjacke über, suche eine Lücke. Licht an und rauf auf die Straße. 10km noch bis Heldrungen. eine halbe Stunde, vielleicht etwas mehr. Ich werde naß sein, aber das ist auszuhalten.

Ein Sturmböe trifft mich von dwer Seite, das Auto hinter mir muß scharf bremsen, da ich unvermittelt auf die Gegenfahrbahn schieße. Scheiße. Ich kämpfe mich zurück an die rechte Seite. Neben mir ein Straßengraben, Bäume, die Laub und Äste verlieren. Der Wind peitsch mir seitlich so ins Gesicht, daß es schmerzt. Die nächste Böe, wieder auf die Gegenfahrbahn, nur mit mühe komme ich zurück auf die rechte Fahrbahnseite. Ich muß runter von der Straße, das ist lebensgefährlich. Aber wohin?

Auf einem Feldweg 200m entfernt auf der linken Seite steht ein Traktor mit einem Wohnwagen, eine Person schaut aus der Tür. Ich beschließe, dort nach Unterschlupf zu fragen. Der Wind drückt mich nach links, ich biege ab, lasse die Speedmachine mit den schweren Taschen in Windrichtung stehen, klopfe an die Tür. Mir wird geöffnet, ich werde eingelassen. Ein älterer Herr, er kommt gerade von einem Lanz-Bulldog-Treffen. Gemeinsam warten wir um Wohnwagen, der von Sturmböen und vom laufenden Traktor durchgeschüttelt wird.

Irgendwann wird der Regen, dann auch der Wind weniger. Da das Gespann auch noch gute zwei Stunden Fahrt vor sich hat, heißt es raus in den Regen und ab auf die Straße. Der Wind ist stark, aber beherrschbar.

Das schlechte Wetter treibt die Autofahrer zu noch wilderen Überholmanövern als sonst, ich fühle mich nicht wohl auf der Straße. In Reinsdorf winkt ein Mann am Straßenrand. „Das ist aber nicht so ein gutes Wetter zum Radfahren!“ Ich bleibe stehen, schaue nach dem Weg, das GPS-Display ist kaum zu erkennen mit dem vielen Wasser. Und werde auf einen Kaffee und ein Dach über’m Kopf eingeladen.

Und nicht nur das: Mein Rad kriegt einen trockenen Platz, ich einen Satz trockener Klamotten und meine nassen Radklamotten wandern in den Trockner. Wäre ich nicht immernoch satt, ich hätte sogar noch zu essen bekommen. Wahnsinn, daß es so eine Gastfreudschaft in Deutschland noch gibt heutzutage – für einen Wildfremden! Ich bin total überwältigt. Und dankbar. Ich kann ausruhen, mir geht es langsam besser, die Motivation kehrt zurück.

Ich rufe die Jugendherberge auf der Wasserburg in Heldrungen an, es gibt noch einen Platz für mich. 6 bis 8 Kilometer über einen ruhigen Radweg stehen mir noch bevor. Ich warte den Regen ab, dann geht es los.

Der Radweg ist super – bis auf eine kleine Stelle, wo gerade Baustelle ist. Das wäre unter normalen Bedingungen nicht schlimm, in diesem Fall hat der heftige Regen zu einer ca. 5cm tiefen Schlammkuhle geführt. Ich fahre langsam hindurch, bis zu einem Punkt, wo eine Steinkante kommt, die ich unmöglich hinauffahren kann. Ein beherzter Schritt in den Matsch. Hinterher klebt soviel davon in meinem Schuhen, daß ich erst den Inhalt meiner Trinkflasche opfern muß, um wieder einklicken zu können!

Leichter Regen setzt ein, ber der Wind läßt nach. So komme ich an der Wasserburg an. Ich bekomme ein nettes Zimemr, sogar noch einen Salat zum Abendbrot, kann duschen und mein Rad steht sicher und trocken. Ich breite meine Klamotten aus. Der Trocknergang zwischendurch hat dafür gesorgt, daß diese in einem Zustand sind, daß sie in absehbarer Zeit wirklich wieder trocken sein werden.

Was für ein Tag! 118km stehen auf dem Tacho. Reicht aber auch.

Südwest 2011: Start!

Samstag, 10.09.2011

Die Woche war hart, die Vorbereitung schleppend, erst Freitag abend um kurz vor 23 Uhr war alles fertig. Für den Samstag war ich um 09:30 Uhr mit Klaus verabredet, der mich auf der ersten Etappe meiner Tour begleiten wollte. Bevor er auftauchte ging ich nochmal zur Bank und frühstückte beim Bäcker, dann packte ich die frisch gefüllte Wasserblase und eine Flasche mit einem Wasser/Saft-Mix ans Rad … und knack das Halteblech für den Getränkehalter unter dem Sitz brach. Was für ein Auftakt. Ich beschloss einen Umweg über meinen Händler zu machen, vielleicht hat der ja eines vorrätig.

Unten vor der Tür, Klaus kommt gerade an, Gepäck ans Rad, im das Malheur mit dem Getränkehalter präsentiert, GPS gestartet, aufs Rad gesetzt, einklicken, losfahren … es klickt aber nicht. Nanu? Von meinem Gang zur Bank habe ich noch die normalen Straßenschuhe an… Also nochmal hoch, Schuhe wechseln. Dann rüber zu Feine Räder, dieses spezielle Teil, das ich jetzt brauche, ist aber nicht auf Lager. Aushilfsweise wird mit Kabelbinder geflickt, das hält auch erstmal. Vielleicht komme ich ja auf dem Weg nach Südwesten noch bei einem Händler vorbei, wo ich mir das fragliche Teil hinbestellen kann.

Und dann endlich: los. Es geht über meine Stammstrecke, den Kronprinzessinnenweg, raus über den Schäferberg und durch Potsdam. Am Schwielowsee entlang und bei Ferhc auf den R1. Auf der Radweit-Strecke nach Dessau geht es bei zunächst wolkigem, aber mit guten 22°C warmen Wetter gut vorwärts. Eine Bäckerpause haben wir schon hinter uns, in Brück packt uns der Hunger und wir kehren beim Gasthof Stadtmitte ein. Gulasch mit Nudeln, viel zu trinken und zum guten Ende noch ein Eis für faire Brandenburger Preise.

Gut gestärkt geht es weiter und jetzt wagt sich langsam auch die Sonne hervor. Schon bald kommen die ersten sanften Höhenmeter (von Bergen spreche ich bewußt nicht). Dessau, unser Etappenziel kommt näher. Ein Anruf bei der Jugenherberge ergibt, daß wirklich heut keine Plätze mehr frei sind, also fahren wir ersteinmal weiter. Am Ortseingang Dessau beginnt dann die Hotelsuche, wir entscheiden uns für ein Hotel Garni knapp südlich von Dessau, wo wir dann auch nach 140km einkehren (für Klaus natürlich ein paar mehr).

Ein elegante Doppelsuite im besten Ost-Charme erwartet uns, durch das Grillfest im Hof, bei dem wir freundlicherweise noch mitessen dürfen werden werden wir entschädigt. Ein Verdauungsrundgang im Dorf rundet den Abend ab.

SPEZI 2011

Ticketschlange vor der SPEZIAuch in diesem Jahr gönnte ich mir wieder einen Besuch bei der Spezialradmesse. Die jährliche Pilgerstätte der deutschen Liegeradler ist für ein Wochenende Germersheim. Die Anreise hatte ich zum ersten mal stilecht mit dem Liegerad hinter mich gebracht. Die SPEZI ist nicht nur wegen der Aussteller interessant, sondern lockt auch immer durch ihr buntes Publikum und die vielen privaten Projekte, die dort zu bewundern sind. Ein großes Programm hatte ich mir nicht unbedingt zurechtgelegt, als einzigen Programmpunkt hatte ich eine Probefahrt bei Azub, einem tschechischen Liegeradhersteller, auf dem Plan.

Antrieb: Rowing BikeAm Samstagmorgen landete ich dann zunächt einmal in der langen Ticketschlange. Beruhigend war allerdings, daß die Schlange mehr als dreimal so lang war, als ich mein Ticket gekauft hatte – ich war also früh genug dran. Draußen vor der Halle traf ich Daniel mit seinem Evo-K, der Kopf-draußen-Variante seines Rennmobils. Sehr leicht, sehr stabil. Faszinierend.

Meinen Bummel über die Messe begann ich in Halle 1 am Stand von HP Velotechnik, wo ich mich bei dem Mitarbeiter noch einmal persönlich für den prompten Service bedankte, der mir bei dem Problem mit der Federgabel weitergeholfen und mir die Serviceadresse, die auf meinem Weg lagen, herausgesucht und gemailt hate. Wie in den letzten Jahren auch dominierten bei HP die Trikes das geschehen, Streetmachine, Speedmachine und Grasshopper standen nur leidlich beachtet am Rand. Eine Entwicklung, die im gesamten Segment deutlich zu beobachten ist.

G-One Evo-R "Brutos"Eine weitetere Aufwartung machte ich Challenge in Halle 2, wo ich Walter mit seinem Nordkap-erprobten Fujin SL 1 wiedertraf. Wir unterhielten uns, er zeigte mir seine neuen SRAM Triggerschalter und es ging viel um Routen, Touren und das Systemgewicht. Walter fährt mit einem leichten Rad, leichtem Gepäck und als deutlich leichterer mensch allerdings deutlich weitere Etappen, als ich sie so ansetzen würde. Ich vertrete ja eher den Ansatz des komfortablen Reisens, wenn ich mit der Speedmachine vermutlich im Vergleich mit den meisten anderen Reiseradlern noch immer recht flott unterwegs bin.

Bei Azub vereinbarte ich dann eine Fahrt für den späten Nachmittag, ich wollte ja etwas mehr Zeit haben. Anschließend schlenderte ich über die Messe, es folgten diverse Fachsimpeleien. Es waren kaum wirklich Überraschungen da für mich, aber viele kleine Dinge. Die Entwicklung in diesem Markt schreitet stetig voran, augenfällig sind eine zunehmende Menge an für Liegeräder (und Trikes) passendem Zubehör, aber zum Beispiel auch die Entwicklung beim Gewicht von Velomobilen.

Optima Baron und High BaronNachdem ich mit Azub bezüglich meiner Probefahrt im Vorfeld ja bereits einen Mailwechsel hatte, war ich etwas enttäuscht, daß sie kein Azub Max 26/26 mit Vorderradfederung für mich für die Probefahrt zur Verfügung hatten, so fuhr ich mit dem Ibex und starrer Gabel und Straßenreifen auf meine ca. einstündige Probefahrt. Erster Eindruck: Das Azub ist ein sehr gutmütiges Rad. Aufsteigen, losfahren. Kein Gewackel, es funktioniert intuitiv. Die großen Räder geben einen guten Rollkomfort. Da ich keine Klickpedale htte, kann ich vergleichend wenig zur Geschwindigkeit sagen, es ist gefühlt etwas langsamer als die Speedmachine, erwartet und einkalkuliert. Der für mich interessanteste Punkt waren natürlich die Fahreigenschaften auf nicht idealem Grund. Und so suchte ich mir Schotter- und Waldwege, auf denen ich mit der Speedmachine nicht oder nur mit sehr viel Anspannung vorangekommen wäre. Ganz beim Gefühl meines Mountainbikes bin ich nicht gelandet, allerdings läßt sich mit entsprechender Bereifung und einer Vorderradfederung sicherlich noch einiges rausholen. Insgesamt rollen die großen Reifen aber auf schlechtem Grund deutlich besser. Nach allem, was ich von Beschreibungen und Bildern kenne, würde ich mit solch einem Rad eine Islandtour wohl angehen.Parken bei der Spezi...

Am Sonntag führte ich dann eine Diskussion zum Thema Fernlicht am Stand von B&M. Die ganz klare Aussage ist: Ein Fernlicht bekommt in Deutschland keine Zulassung, also wird es nicht gebaut, nichtmal als Option. Ich finde dies sehr schade, denn eine Systemlösung wäre schon sehr ansprechend – aber solange sich der Gesetzgeber nicht bewegt, widerspricht dies der Philosophie der ernstzunehmenden Hersteller in diesem Markt. Und der Gesetzgeber macht keine Anstalten, auch nur annähernd die überaus veraltete Gesetzgebung zu modernisieren. Zudem fielen mir am B&M Stand Rücklichter auf, die in die Gepäckträger einiger Hersteller integrierbar sind (allerdings keine liegeradtauglichen). Diese sind schlank und es gibt sie ohne den großen Reflekltor (der dann einzeln angebracht wird). Diese Rücklichter sind nicht im Katalog zu finden, man kann sie allerdings einzeln bestellen. Probefahrt: RaptoTrikeMeine Überlegung geht zu einem zusätzlichen Rücklicht, das ich oben am Sitz oder der Kopfstütze anbringen könnte für eine bessere Sichtbarkeit.

Bei Ortlieb schaute ich mir das neue Befestigungssystem des Liegerad-Rucksacks an. Gleichzeitig gab ich Feedback: Der Liegeradrucksack ist zu lang für die meisten Gepäckträger an Liegerädern und hängt, insbesondere mit der Trageschlaufe und dem Griff des Reisverschlusses dann regelmäßig vor dem Rücklicht, weshalb ich mir bei Abendfahrten oft schon überlege, ob ich ihn mitnehme oder doch lieber die Lowridertaschen.

Zufällig begegnete ich noch Arnold (RaptoBike) und seiner Frau. Die beiden waren Auf Prototypen unterwegs, einem „Lowracer“ mit 26/28 Zoll Rädern und dem RaptoTrike. Auf letzterem konnte ich eine kurze Proberunde drehen. Ein sehr ungewöhnliches Fahrgefühl, aber schon nach wenigen Metern kam das Vertrauen. Leider war das Bike zu kurz für mich, sonst hätte ich gerne eine etwas weitere Runde gedreht, aber auch so war der Fahrspaß enorm. Ein erfrischend anderes Konzept als die üblichen Trikes. Und mit wenigen Handgriffen in einen Einspurer umzubauen!

Auf der Außenfläche lieh ich mir ein Velayo, ein Velomobil mit Hinterradlenkung, für eine kurze Testrunde. Ein komplett anderes Gefühl, als im Evo bzw. Evo-R zu fahren. Nach wenigen Metern gewöhnte ich mich an die Hinterradlenkung und konnte das VM präzise steuern. Ohne große Mühe brachte ich es auf 35 km/h, langsam ist es also nicht, trotz seines wuchtigen Aussehens.

Auch eine Proberunde auf einem Bacchetta Highracer ließ ich mir nicht entgehen. Auch hier merkte ich sofort, daß die großen Räder sehr angenehm zu fahren sind, das rad ist schnell, leicht und sehr gutmütig. Allerdings sagte mir wieder der Um-die-Knie-Lenker nicht zu. Probefahrt: VelayoDas ist sehr subjektiv, vielleicht hat es auch etwas mit meinen langen Beinen zu tun, daß die meisten Lenker dieser Art bei mir nicht passen (oder unnötig groß werden) und tut dem positiven Gesamteindruck vom Rad so nur einen kleinen Abbruch, der sicher nicht allgemeingültig ist.

Zum Abend hin stärkte ich mich in netter Begleitung in Germersheim, bevor ich nach Karlsruhe fuhr, um meinen nachtzug nach Berlin zu kriegen. Auf dem Weg fuhr ich leider an einer Stelle unachtsam auf den flaschen Abzweig und quälte mich so kilometerweise durch eine Schotterbaustelle, anstatt auf dem gut ausgebauten Radweg zu fahren. Als ich diese hinter mir hatte, nahm ich noch einen (nicht ganz nüchternen) jugendlichen Radfahrer in Schlepptau, der seinen Weg nach Karlsruhe nicht fand. Letztendlich war ich schneller als erwartet am Bahnhof, mein Zug allerdings eine halbe Stunde später, was mir einen entsprechend langen Aufenthalt bescherte.