Südwest 2011: Auf und nieder…

Dienstag, 27.09.2011

Noch schnell Mails checken vor dem Frühstück … die Buchung der Rückfahrt, falls ich mit der Bahn fahren will, ist am sichersten noch in Frankreich möglich, also plane ich einen kurzen Zwischenstopp in Cerbère am Bahnhof ein. Zwar bedeutet das eine lange Reise, aber so entfällt der Streß, das Rad flugtauglich zu verpacken und preislich bleibt es auch im Rahmen. Zudem ist es natürlich aus ökologischer Sicht weitaus korrekter.

Das Frühstück fällt äußerst französisch aus, das heißt für Radfahrerverhältnisse eher klein. Und das, wo mir heute die bergigste Etappe der gesamten Tour bevorsteht. Von Saint Cyprien habe ich nur ein paar Kilometer bis Argeles-sur-Mer zum Einfahren, dann geht es in die Ausläufer der Pyrenäen, die hier bis ins Meer ragen. Die Dichte an Männern (kaum Frauen) auf Rennrädern, meist schnieke Carbonbomber, ist nocheinmal merklich höher als ohnehin schon. Allerdings scheinen die meisten eher dem Motto Carbon statt Kondition zu frönen, denn auf der Ebene lassen sie sich problem überholen, aber daß mich auf den 4% bis 6% Anstiegen kaum einer überholt und wenn doch, sich dann die Butter vom Brot nehmen läßt, indem er es nicht schafft, mich bis zum höchten Punkt abzuhängen (und ich leg es wirklich nicht drauf an, ich hab kiloweise Gepäck und eine lange Strecke vor mir!), irritiert mich zutiefst. Haben die denn alle keinen Ehrgeiz?

In Cerbère ist ersteinmal Pause. Zunächst am Bahnhof bei Besorgen der Fahrkarte. Es dauert ewig, bis der Schalter mal besetzt ist, ich nutze die Zeit auf dem WC. Dann radebreche ich der – selbstverständlich – nur französisch sprechenden Dame hinter dem Schalter, an welchem Termin in welchem Zug ich heimfahren will und daß ich das hinter mir stehende Fahrrad mitnehmen möchte. Ein Schwall französischer Wörter prasselt auf mich ein, die Dame verschwindet, diskutiert mit Kollegen, kommt mit einem Kalender wieder, um sich nocheinmal des Termins zu versichern. Beim Eingeben der Daten gibt sie mehrfach ein vernehmliches “merde” von sich. Dafür reicht mein französisch durchaus. Das Ticket ist billiger als erwartet, ich bin verwundert. Schnell stellt sich heraus, daß der Termin einen Monat später als geplant ist. Also nochmal neu. “Merde”. Dann kommt der erwartete Preis raus, die Fahrradkarte wird aufgeschlagen und alles stimmt. Lächeln hat die Dame vermutlich bei ehemaligen DDR-Grenzsoldaten gelernt.

Ich schaue mich auf dem Bahnhof um und entscheide, daß ich bei der Fahrt ab Barcelona lieber den Zug zwei Stunden früher nehme: Fahrstühle oder andere Möglichkeiten, ohne die Nutzung diverser Treppen Bahnsteige zu wechseln suche ich vergebens. Da will ich lieber etwas Zeit haben. Sicher ist sicher.

Anschließend gehe ich im Ort noch etwas essen. Lieblos gegrilltes Fleisch mit Pommes zu unverschämten Preisen. Frankreich will mich loswerden, schwant es mir. Aber für die kommenden Anstiege brauche ich Energie, es hilft nichts. Dann geht es über den ersten Pass. Gut, es sind keine Alpen, aber für mich mit dem auf Umfahrung der Alpen ausgelegten Gepäck sind 202 Meter (direkt ab Meeresspiegel, am Stück, 5%) durchaus eine Leistung. Besonders bei der sengenden Sonne und fast 30°C. Kein Wind. Ich schwitze. Aber es lohnt sich, es bieten sich Ausblicke auf die Küstenlinie und die Buchten, die es wirklich in sich haben.

Ich treffe zwei deutsche Motorradfahrer (die ihre Maschinen allerdings auf dem Hänger hinter dem Auto hergebracht haben), kurz danach einen deutschen Radler. Dieser rät mir, auch hinter Portbou nicht die bequeme Route zu fahren und durch den Naturpark bei Cadaqués. Die Abfahrt in den Ort (eine Stichstraße, die man dann wieder hinauf muss) lohne sich aber nicht.

Und so mache ich es. Hinter Portbou fahre ich auf die kleine Paßstraße mit ihren Serpentinen. Länger und mehr Höhenmeter. Aber dafür darf ich die unter mir durch Tunnel verlaufende neue Straße verächtlich Luschenkurve nennen. Es ist nur keiner da, der zuhört. Das ist aber auch gut so, denn das bedeutet, daß diese Strecke (im Gegensatz zur anderen) fast frei von Autos ist.

Die Abfahrt nach Colera entschädigt, doch gleich kommt der nächste Anstieg. Bei Llanca biege ich wie empfohlen auf die kleine Straße, die an Cadaqués vorbeiführt ab. Noch mehr Umweg, noch mehr Höhenmeter. Aber die Ausblicke sind wiederum gigantisch. Ein Blick auf den Höhenmesser bei der Abbiegung auf die Stichtstraße in den Ort verrät: mehr als 250 Höhenmeter liegen dazwischen. So groß ist meine Wille, mich zu quälen dann wirklich nicht. Und von hier geht es ohnehin noch ein Stück weiter auf etwas über 280 Meter hinauf. Auf der ganzen Strecke überholt mich immerhin ein Rennradler, der aber scheint meinen verächtlichen Tweet über Rennradfahrer und Radrennfahrer gelesen zu haben und zieht grußlos und mit einer erheblichen Geschwindigkeitsdifferenz an mir vorbei.

Die Abfahrt nach Roses bereitet um so mehr Freude. Hohe Geschwindigkeit, schöne Kurven. Ich lasse nur meine hintere Bremse leiden, für den Fall der Fälle will ich, daß die vordere kalt und bereit für eine Vollbremsung ist. Zum Glück brauche ich sie nicht.

Von hier aus geht es erstmal auf stark befahrenen, autobahnähnlichen Straßen, die zum Glück einen mehr oder weniger breiten Seitenstreifen aufweisen, weg von der Küste dorthin führen nur Stichstraßen, an der Küste entlang gibt es keine wirklich sinnvoll fahrbaren Straßen. Ich habe ziemlich viel verbrannt bei den Anstiegen und fühle das jetzt, aber die kleinen Orte hier sind ziemlich tot. Ich versorge mich zweimal an Tankstellen mit ein paar Schokoriegeln und zuckerhaltigen Getränken, nicht nachhaltig, aber es hilft ersteinmal weiter. Außerdem bieten Tankstellen zumindest vorübergehend Schatten.

Endlich geht es auch wieder über kleinere, wenig befahrene Straßen, so daß der Streß etwas nachläßt. Nur noch 25km bis nach Sant Feliu de Guixols, das ist auch mit leerem Magen zu schaffen. Und in den Touriorten an der Küste wird es wieder was geben. Mit entsetzen stelle ich fest: Zwischen mir und den Touriorten liegen nicht nur 25km, sondern auch noch ein verdammter Berg. Nochmal 200 Höhenmeter. Auf knurrenden Magen. Eisern entscheide ich mich, nicht mein Gel anzurühren, was immer als Notreserve dabei ist.

Die Sonne geht unter. Mit Beginn der Abfahrt schalte ich mein Licht ein. Während Radfahrer, die an roten Ampeln halten, hier offenbar ein bekanntes Phänomen sind, scheint mein Licht den Autofahrern erheblich Respekt einzuflößen (und ich rede nicht vom Fernlicht!) – die Bögen werden erheblich größer, die um mich gefahren werden. Die Ausnahme stellen drei Autofahrer dar, die sich im wesentlichen durch ihr deutsches Kennzeichnen auszeichnen. Ich nenne keine Regionen, aber es paßte perfekt zu meinen Vorurteilen.

Palamos streife ich nur, in Castell-Platja d’Aro halte ich in der neonbunt glitzernden Hauptstraße an und zücke das Smartphone. Die HRS-Anwendung nennt zwei Hotels mit Preisen weit jenseits der 100 Euro pro Nacht. Die Campingplätze hier in Spanien haben durchweg bereits geschlossen um diese Jahreszeit. Die nächsten bezahlbaren Hotels liegen in Tossa de Mar bzw. Lloret de Mar. Ihr ahnt es schon: Dazwischen liegen Berge. Ich kann das nicht ganz glauben und starte einen Versuch. Ich schaue beim nächstbesten Drei-Sterne-Hotel (drunter scheint man’s hier nicht zu machen) auf die Preistafel. 50 EUR für die Nacht. Deutlich besser als das, was mir HRS anbot. Ich frage im Hotel: Ja, Zimmer für eine Nacht kein Problem. 41 EUR. Nehm ich.

Ich beeile mich mit dem Duschen, bin noch geprägt von Frankreich. Aber auf der Amüsiermeile ist das Leben lang noch nicht vorbei, Restaurants und Geschäfte haben auch gegen 21 Uhr noch offen und nach den angeschriebenen Öffnungszeiten und dem Eindruck wohl auch noch deutlich darüber hinaus.

Auf dem Tacho stehen 158km.