Ramsauers Kampfradler

Es war mal wieder so weit: Herr Ramsauer, unser Verkehrsminister, bewies, daß er nicht Verkehrsminister, sondern vielleicht Autominister heißen sollte. Er wetterte gegen die bösen Kampfradler und daß man dagegen dringend etwas unternehmen müsse.

Zunächst einmal: Ja, auch ich bin der Meinung, Radfahrer haben sich an Verkehrsregeln zu halten. Rote Ampeln sind tabu, auf Bürgersteigen wird nicht gefahren, Radwege sind nicht in Gegenrichtung zu benutzen und gutes Licht ist am Fahrrad kein Hexenwerk. Unumwunden gebe ich zu, daß auch ich in der ein oder anderen Situation einen sagen wir mal kreativen Umgang mit den Regeln praktiziere. Oberstes Gebot ist für mich persönlich die gegenseitige Rücksichtnahme. Ich rolle schonmal über einen Bürgersteig – wenn die Situation übersichtlich ist und zudem mit nicht wesentlich mehr als Schwrittgeschwindigkeit. Eine angeordnete Radwegbenutzungspflicht ignoriere ich in diversen Fällen – wenn ich dadurch den sonstigen Verkehr nicht unnötig behindere. Und einen grünen Rechtsabbiegepfeil an einer Ampel beziehe ich schonmal auf mich, wenn es die Situation erlaubt, obwohl vielleicht eine rote Fahrradampel dagegen spräche. Ich tue dies durchaus im Bewusstsein, dort vielleicht die ein oder andere Regel zu missachten, aber immer so, daß ich andere in ihren Rechten nicht beschneide.

Auch ich als Radfahrer ärgere mich, wenn ich brav an der roten Ampel warte und dann irgendein Depp an mir vorbei rauscht – meistens jemand, den ich kurz danach eh wieder überhole. Mich nervt es, wenn mir Leute ungeniert auf einem der wenigen Radwege, die ich freiwillig nutze entgegenkommen und vielleicht nichtmal Platz machen oder gar überhaupt nicht auf ihre Umwelt achten. Jedesmal denke ich mir: Klar, und ich darf den schlechten Ruf der Radfahrer wieder ausbaden.

Aber wenn ich über meine Fahrten, im wesentlichen im Westen Berlins, nachdenke und mir vor Augen führe, wer denn diese bösen, rücksichtslosen, regelübertretenden Kampfradler so sind, dann fällt mir in der täglichen Beobachtung etwas auf: Natürlich sind ein paar junge, rücksichtslose Menschen dabei, die dem typischen Klischee entsprechen, der Hauptteil derer, die mich an der roten Ampel überholen, die wie selbstverständlich auf dem Bürgersteig fahren oder den Radweg in die Gegenrichtung benutzen sind – zumindest hier – älzere Leute, oft schon (geschätzt) im Rentenalter. Nicht die typischen Chaoten und rücksichtslosen Rowdies, die immer angeführt werden.

Ich lese auch gerne die Polizeiberichte und achte vor allem auf die Fahrradunfälle – es ist schließlich weniger schmerzhaft aus den Fehlern anderer zu lernen. Auch hier fällt (ohne nachgezählt zu haben, das überlasse ich Leuten an passender Stelle, man möge also meinen Eindruck widerlegen, wenn ich falsch liege) oft auf, daß ältere Radfahrer in die Unfälle verwickelt sind. Daß es den flinken Fixie-Fahrer oder Kurier trifft, der unbestritten mehr Kilometer auf dem Rad hinter sich bringt und vielleicht aus beruflichem Druck oder weil es eben hip ist sicherlich auch die ein oder andere Regelübertretung begeht ist relativ selten.

Was steckt also dahinter? Gerade für ältere Menschen oder Gelegenheitsradfahrer sind sicherlich manche Situationen schlechter einzuschätzen, aber viele Dinge sind auch ungleich anstrengender, zum Beispiel das ständige stehenbleiben an Ampeln oder Umwege. Das allerdings ist kaum mit mehr Gesetzen oder Kennzeichen sinnvoll zu bekämpfen, hier müsste eine sinnvolle Radverkehrsplanung ansetzen. In den Niederlanden und auch in Kopenhagen gibt es in den Städten Fahrradstrecken, die Priorität vor anderen Verkehrsmitteln genießen. Die Strecken sind so angelegt, daß sie schnell und durchgängig mit möglicvhst wenigen Stops zu befahren sind. Das wird durch die Wegführung erreicht, aber auch durch entsprechende Anpassungen von Ampelphasen bzw. deren individueller Steuerung bei Annäherung. Für das Rechtsabbiegen gilt an vielen Ampeln in den Niederlanden, daß ich das – ähnlich wie beim grünen Pfeil als Autofahrer bei uns – darf. Und es führt nicht zu vermehrten Unfällen. Es sind viele dieser kleinen Maßnahmen, mit denen sich der Verkehr an die Bedürfnisse der Verkehrsteilnehmer anpasst und so zu einer klareren, sichereren Situation für alle Verkehrsteilnehmer führt. Nicht nur für Radfahrer.

Was mich allerdings an den Einlassungen unserer Verkehrsministers ganz besonders ärgert ist die Realitätsferne. Mit Stammtischniveau sol dort Politik gemacht werden, wo der Blick auf simple Zahlen reicht, um die Aussagen ad absurdum zu führen. Die Zahl der Unfälle mit Radfahrern als Hauptverursacher ist in 10 Jahren nahezu gleich geblieben (sogar leicht gesunken) – und das, obwohl immer mehr Wege mit dem Rad zurückgelegt werden.  Die Gefährdung durch Radfahrer ist um ein vielfaches geringer als die Gefährdung durch Autofahrer, die Zahl der Toten und Verletzten durch Unfälle ohne Beteiligung von Autos ist geradezu verschwindend gering.

Etwas Augenmaß täte der Debatte also gut. Die Faktenlage jedenfalls gibt es nicht her, hier so zu reagieren. Die auf das Auto zentrierte Sicht ist ein Relikt vergangener Zeiten, die gesellschaftliche Entwicklung im Verkehr läuft der Politik schon lange und mit weitem Abstand davon. Will man diese Lücke verkleinern, hilft es nicht, mit hoher Gewschwindigkeit in die falsche Richtung zu brausen.

4 Gedanken zu „Ramsauers Kampfradler“

  1. “Die auf das Auto zentrierte Sicht ist ein Relikt vergangener Zeiten, die gesellschaftliche Entwicklung im Verkehr läuft der Politik schon lange und mit weitem Abstand davon.”

    Soweit sind wir nicht. Ich sehe keinen gesellschaftlichen Konsens zu einer Abkehr von der autozentrierten Politik, vor allem dann nicht, wenn diese mit Einschnitten verbunden wäre: Arbeitsplätze, Mobilität, Individualität, …

    Was wir sehen, ist, dass es in Hipster-Hochburgen wie vielleicht Berlin und Hamburg einen Trend bei Hipstern und jungen gerade-nicht-mehr-Hipster-Familien gibt, ohne Auto auszukommen. Aber für diese Kreise ist der Autoverzicht ein Luxusproblem: Sie brauchen das Auto in ihren Hipster-Hochburgen gar nicht, sparen dann gern das Geld dafür, und kokettieren nach außen mit einer “nachhaltigen” Lebensweise.

    Diejenigen sind aber nur ein winziger Anteil derjenigen, die täglich und meist allein in den Dosen sitzen.

    Was ist …
    … mit den Dosenfahrern aus der Vorstadt, die den Sonntagvormittag mit dem polieren ihres Autos verbringen, während die Freundin es drinnen saugt?
    … mit den Geschäftsleuten, die ihre ach so engen Termine nicht anders halten können und die Mustersammlung nicht mit dem Bus zum Kunden schleppen können/wollen/sollen?
    … mit der Prenzlbergmutti, wenn die Kinder zur Kita müssen und der sytlische Chariot-Anhänger doch nicht nass und dreckig werden soll?
    … mit dem Ottonormalverbraucher vom Land, der irgendwie zur Arbeit kommen muss und nach vollbrachtem Tagwerk seinen Familieneinkauf nach Hause schaffen muss?

    … um nur ein paar Beispiele aus dem Dosenbrauchtum zu nennen.

    Die gesellschaftliche Entwicklung im Verkehr ist eine andere, nämlich:

    * Bus und Bahn gehen aus der Flächenerschließung zunehmend heraus und konzentrieren sich auf Magistralen. Nicht einmal, weil deren Betreiber es so wollten, sondern weil etwas anderes von den Aufgabenträgern nicht mehr bestellt wird – da es nicht finanziert ist (in der Politik heißt es “nicht finanzierbar ist”, was aber Unsinn ist, weil das eine politische Entscheidung ist, die anders getroffen werden kann)

    * Sind Bus und Bahn erst einmal weg, ist oft auch die damit einhergehende Infrastruktur flöten, und das ist oft auf Jahre hinaus nicht umkehrbar. Um die Dose führt dann kein Weg mehr drumherum, außer die Entvölkerung ganzer Landstriche. Was noch mehr Probleme mit sich bringt.

    * Die Autoindustrie hat den “gefährlichen Trend” längst erkannt, und reagiert mit subtilen Methoden zur Frühgewöhnung der Jugend an das Autofahren. Geschickt und politisch korrekt getarnt z.B. als “DriveNow”. Methoden aus der Zigarettenindustrie.

    * Die Spritkosten steigen. Die Pendlerpauschale, ein bischen später, auch.

    * Verkehrspolitik in deutschen Städten zugunsten von Fahrrad, Fußgänger und ÖPNV gibt es, wenn überhaupt, nur nach dem Grundsatz “Keine Parkflächen vernichten, und so wenig wie möglich Raum dem Autoverkehr entziehen. Anders ist z.B. in Berlin nicht zu erklären, warum die BVG-Tram nicht endlich auf eigenem Bahnkörper als Stadtbahn geführt wird – wo doch das sogar gefördert würde.

    * Der neue E-Mobility-Trend löst das Problem nicht. Schlimmstenfalls gilt ein E-Auto sogar als schick, weil ökologisch unverdächtig (ist es das beim derzeitigen Energiemix?) und darum kann man es bedenkenlos anschaffen – vielleicht sogar als Drittflitzer zum Schrippen-holen und Zur-Kita-fahren. Nun könnte man denken, naja, dafür sind die ja ganz klein. Aber ersten ist das nur jetzt noch so, weil die Industrie noch am Energie-Antriebs-Problem feilt. Kommen da irgendwann ausgefeilte Lösungen, wird es als erstes den E-SUV geben, und der ist dann nicht mehr so klein. Und zweitens braucht auf die kleinste Dose eine Verwahrmöglichkeit, solange man sie nicht mit in’s Loft hoch nehmen kann (auch das gibt es ja schon…).

    Womit ich bei einem Zwischenfazit angelangt bin: Solange absurde Verschwendung wie ein “SUV” nicht nur nicht verboten, sondern sogar über Steuertricks noch befördert wird – solange ist die Faktenlage so, dass die Gesellschaft Autozentriert ist. Weil sie sich vom Auto abhängig gemacht hat.

    Sie wird davon nur los kommen, wenn sie das Auto- und inzwischen ja auch Flugzeug- und morgen auch noch das Güterzugproblem nicht durch Bewältigung des Verkehrsproblems an sich zu lösen versucht, sondern über den Problemhorizont hinaus denkt und sich fragt, warum es diesen ganzen Verkehr eigentlich gibt – und ob es ihn künftig auch weiterhin geben muss?

  2. Peter Ramsauers Ausführungen über die »Kampfradler« habe ich nur flüchtig verfolgt, daher halte ich mich mit einer Bewertung der angedachten Konsequenzen zurück. Im Gespräch mit Politik, Presse, Polizei und Verkehrsteilnehmern beziehe ich mich viel lieber auf konstruktive Ansätze wie das »Radverkehrshandbuch Radlland Bayern« von Innenminister Joachim Herrmann (CSU) oder auch auf RPs eigene pauschale Forderung, das Fahrrad als »gleichberechtigtes Verkehrsmittel« zu betrachten.

    (a) »Falschfahren« auf Geh- und Radwegen, (b) »Rotlichtverstöße« beim »Rennradtraining« und (c) miese technische Ausstattung des fahrbaren Untersatzes beobachte ich hier in der Provinz ebenso wie vor Jahren in der Großstadt. Dabei täuscht mich mein »Gefühl« mindestens so oft wie die zahllosen anderen »Meckerer«, egal ob auf zwei Beinen oder in »Dosen«.

    (a) liegt »hier bei uns« zum überwiegenden Teil an der veralteten und baulich wenig sachgerechten Ausführung der »Radwege«, die Radfahrer mehr oder weniger »automatisch« zu ihrem Fehlverhalten verleiten. Im Rahmen der verkehrspolitischen Arbeit im ADFC versuchen wir hier vor Ort, bei den verantwortlichen Stellen ein Umdenken in der Verkehrslenkung (Stichwort »Radwegbenutzungspflicht«, leider viel zu oft in Kombination mit »innerörtlichen kombinierten Zweirichtungs-Fuß- und Radwegen) zu bewirken. Das ist zäh und mühsam, nicht zuletzt, weil sogar innerhalb des ADFC unterschiedliche und konträre Ansätze verfolgt werden. Außerdem steht man als juristischer Laie mit seiner Argumentation doch häufig selbst auf reichlich wackeligem Boden.

    (b) »stört« mich schon seit Berliner Zeiten nur noch selten, denn ich sehe mich ebensowenig als »Blockwart« mit Hilfssherifffunktion wie ich unqualifizierte Kritik von anderen Verkehrsteilnehmern anzunehmen bereit bin. »Die(se) Ampel zeigt Rot? – Sehr gut, dann kann ich eine Minute meditieren!« Wahrscheinlich ändert sich diese Einstellung, sobald es zu einer Kollision mit einem »Falschradler« kommen sollte. Bis dahin lehne ich eine Beteiligung an »Rennen« im öffentlichen Straßenverkehr kategorisch ab.

    (c) resultiert vermutlich daher, dass – anders als bei motorisierten und versicherungspflichtigen Fahrzeugen – offensichtlich nicht der Hersteller u/o Verkäufer für die Einhaltung der StVZO zuständig ist, sondern der »Endverbraucher«, der mit dem Gefährt am Straßenverkehr teilnimmt. Durch Werkstattkurse zu Beginn der Fahrradsaison und durch die »Beförderungsrichtlinien« bei den ADFC-Kursen versuchen wir, positives Verständnis für eine vollständige Verkehrstauglichkeit zu wecken. (Ja, an meinen SPD-Pedalen an der Speedmachine sind _keine_ Reflektoren dran.)

    Im Zusammenhang mit einer eventuellen »Kennzeichenpflicht« kam mir unlängst folgender Gedanke: Was wäre so verwerflich daran zu fordern, dass Unternehmen, die durch den Einsatz von Fahrrädern Geld verdienen (Kurierdienste, Fahrradverleihe, Anbieter von touristischen Radtouren, …), verpflichtet werden, (1) einen StVZO-konformen Zustand ihres Fuhrparkes zu pflegen, (2) eine durch ein »Nummernschild« markierte Verkehrshaftpflichtversicherung abzuschließen und nachzuweisen? Die berühmt-berüchtigten »Fixxie-Kuriere« mögen anteiilig kaum zum Unfallgeschehen beitragen, als ausdrücklich schlechte Vorbilder sind sie im gedeihlichen Miteinander nicht geeignet. Und an die großen Pulks von Berliner »Touri-Radlern« auf den technisch mangelhaft ausgestatten Rädern (»Lichtanlagen? Unsere Touren finden nur bei Tageslicht statt.«) entsinne ich mich mit Grausen.

    Nicht nur im Straßenverkehr, sondern ganz allgemein im gesellschaftlichen Miteinander sollten sich alle Beteiligten viel häufiger an »Paragraph 1« der StVO erinnern.

    Gute Fahrt!

  3. Tja,
    frage mich auch manchmal was R. für ne “Klatsche” hat…
    Im Westeil unserer Stadt neigen Autofahrer dazu uns Radfaher zu übersehen – Schuld an allen Misslichkeiten die diese produzieren – sind eh wir “Assis” mit dem Rad….
    Im Ostteil unserer Stadt herrscht von ALLEN Seiten oft Anarchie…
    Da fahre ich echt wirklich ungerne mit dem Rad…
    Bemühe mich immer korrekt zu fahren – bekommt man dabei echt gefährliche Manöver mit und sagt was dazu, dann wird man dort jedoch nur blöd “angepault” – rauhe Sitten…

    Nichts desto trotz fällt auf, daß der Großteil nach dem Recht des Stärkeren funktioniert…
    Da darf man natürlich raten, wer dies ist…
    Also ernsthaft – Motorguru R. soll doch bitte mit seinen Sprüchen am Stammtisch beim Bier bleiben…
    Teufel auch – oder hängt dies mit der Lobbyarbeit einer gewissen Industrie zusammen???

    Ärgerlich…

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