Resiliente Infrastrukturen: #PopUpBikelanes

In Berlin, speziell in Kreuzberg, entstehen derzeit im Eiltempo sogenannte PopUp Bike Lanes: Radspuren, die schnell aus vorher vorwiegend dem MIV zugeordneter Verkehrsfläche zu dem Radverkehr gewidmeten Flächen umgestaltet werden. Dazu wird Parkraum oder eine Fahrspur mit einer gelben Linie und einer Absperrung aus Warnbaken vom sonstigen Verkehr abgetrennt und exklusiv dem Radverkehr geöffnet. Damit sollen Radfahrer schneller, sicherer und in Zeiten von Corona mit genügend Abstand voneinander vorankommen. So soll es attraktiver werden, aus den öffentlichen Verkehrsmitteln oder auch vom Auto auf das umwelt- und verkehrsfreundliche Fahrrad umzusteigen.

Ich habe einige der neuen Radverkehrsanlagen ausprobiert, die später auch zum Teil dauerhaft bleiben sollen – und kam zu einem gemischten ersten Eindruck.

Keine Frage, der Ansatz ist sehr gut und die Umsetzung im Rahmen des in der Kürze der Zeit Machbaren auch. Hier kommen Projekte voran, die teils vorher geplant waren, aber im Berliner Verwaltungsdickicht bisher trotz Mobilitätsgesetz schleppend bis gar nicht vorwärts gingen. Und wenn das Ergebnis manchmal nicht so ideal ist, wie ich mir das als Radfahrer wünsche, so war dies oft weniger die eigentliche Umsetzung, als mehr die baulichen Möglichkeiten oder die dreiste Missachtung der Regeln durch einzelne Autofahrende.

Tempelhofer Ufer, Hallesches Ufer, Gitschiner Straße

Dieser Straßenzug führt in Ost-West-Richtung zentral durch die Innenstadt und war bisher für Radfahrer eher unangenehmes Pflaster. Schon vor Corona hat man in einigen Abschnitten begonnen, die Radverkehrsanlagen in Form von Schutzstreifen anzulegen oder zu verbessern, jetzt aber gibt es in beide Richtungen über längere Strecken abgetrennte Spuren für den Radverkehr. Dort, wo die neuen Radspuren entstanden sind, sind oft wenige Geschäfte oder Wohnhäuser, es fällt wenig Parkraum weg, die aktiv genutzte Verkehrsfläche wird anders aufgeteilt (stimmt so nicht zu hundert Prozent, fasst aber weite Teile der Strecke zusammen). Aus drei Spuren (pro Richtung) wurden jetzt zwei für Autos und eine für Radfahrer, teils auch eins-eins. Es gibt vereinzelt Probleme mit Lieferfahrzeugen, aber kaum welche mit dem Individualverkehr. Die Spur für die Radfahrer sind breit genug, um bei umsichtiger Fahrweise einander zu überholen. Bei wenig Autoverkehr ist es für schnelle Radfahrer teils auch möglich, kurz nach links auszuweichen. Dieser Bereich ist im großen und ganzen gelungen.

Kottbusser Damm

Es handelt sich hier um eine belebte Geschäftsstraße, die an die oben genannten Straßen in Nord-Süd-Richtung südlich andockt. Durch das Anlegen der radspur sind in der derzeitigen Umsetzung Parkmöglichkeiten für Autos weggefallen, die Straße hat durch die vielen Geschäfte ohnehin gerne mal mit Nur-mal-kurz-Parkern zu kämpfen, in zweiter Reihe mal mehr mal weniger lang ihr Auto einfach stehen lassen.

Die angelegte Radspur ist zu schmal, damit sich Radfahrer gegenseitig sicher überholen können, ein Ausweichen nach links ist beim üblichen Verkehr kaum möglich. Im derzeitigen Zustand nutzen einige Autofahrende die Lücken zwischen den Warnbaken, um mal eben auf der Radspur zu halten – oder letztlich zu parken, denn mit dem Verlassen des Autos und dem Verschwinden in Hauseingängen oder Läden ist es genau das. Mit etwas „Glück“ wird ein schmaler Streifen zwischen AUto und Bordstein gelassen, durch den man sich (zumindest ohne Anhänger und bei sicherer Beherrschung des Rades) durchquetschen kann, oft genug muss man aber in den Fließverkehr links einfädeln. Vom Normalrad ist es für Erwachsene mit Umschauen gerade noch möglich, für Kinder oder mich auf dem Liegerad ist der Blick nach hinten durch die derzeitigen Baken teils verwehrt, so dass ein Ausscheren in den Autoverkehr gefährlich wird.

Hier muss sich bei der Umwandlung in eine endgültige Form noch einiges tun, sei es für Liefer- und Haltezonen, eventuell an der Breite des Radweges – aber auch beim Kontrolldruck gegenüber den Autofahrenden. In der derzeitigen Form ist die #PopUpBikelane zwar besser als der Zustand ohne, aber die typische Frage „würden Sie ihr Kind hier bedenkenlos fahren lassen?“ würde ich mit einem klaren „Nein“ beantworten.

Lichtenberger Straße

Eine Corona-Bikelane, wie sie sein soll – Lichtenberger Straße

Die auf der Lichtenberger Straße angelegte Lösung hat mir am Besten gefallen, hier stand auch relativ problemlos der Platz dafür zur Verfügung. Aus dem bisherigen Parkraum ist eine ausreichend breite Radspur geworden. Der bisherige Radfahrer-Schutzstreifen, zu schmal und in der Dooring-Zone, ist jetzt der ausreichend dimensionierte Trennbereich zwischen der neuen Parkspur und der Fahrradinfrastruktur, so dass keine Dooring-Probleme entstehen sollten, ganz links bleibt den Autofahrenden eine Fahrspur. Ein Gutes Vorankommen ist gewährleistet, die Anlage ist die sicherste, die mir in den drei beschriebenen Fällen unterkam und ich kann mir vorstellen, dass sie auch Anforderungen genügt, um zum Beispiel Rettungswege unter Nutzung der Radspur bereitzustellen. Wo also der Platz dafür da ist: So darf man das gerne manifestieren.

Berlin – die geteilte Stadt

Hauptsache, die Autos kommen durch

Ich bin nicht der erste und ich werde nicht der letzte sein, der darüber schreibt. Ich erhebe nichtmals den Anspruch, hier irgendwelche neuen Aspekte aufzuzeigen, denn vermutlich ist alles und schon sehr viel mehr darüber bereits gesagt oder geschrieben worden.

Yorckstraße - kein Übergang

Trotzdem brauche ich diesen Raum, um das gesehene irgendwie zu verarbeiten. Es ist so absurd. Und doch so passend für eine Hauptstadt, die es nicht schafft einen Flughafen zu bauen, für eine Verkehrspolitik, die zwar über Fahrräder redet, am Ende aber immer nur Auto umsetzt.

Mit großem Medienrummel und voller Stolz wurde der nächste Abschnitt des Grünstreifens an der Nord-Süd-Trasse zwischen Südkreuz und Potsdamer Platz eröffnet, der sogenannte Flaschenhals zwischen Yorck- und Monumentenstraße. Der Park ist wirklich schön geworden, die Auffahrt an der Monumentenbrücke kann sich sehen lassen. Aber auf das, was einen dann an der Yorckstraße erwartet ist man einfach nicht vorbereitet:

TodesstreifenDie divers vorhanden Brücken sind nicht instandgesetzt, der obere Weg endet ein einem Zaun, auf der anderen Seite der kurzen Brücke sieht man die Fortsetzung des Weges. Es sind keinerlei Zeichen zu erkennen, daß überhaupt angefangen wurde, die Instandsetzung wenigstens einer der vorhandenen Brücken in Angriff zu nehmen.Als ob das nicht genug sei: Es gibt auf beiden Seiten der Yorckstraße aufwändig gebaute Auf- bzw. Abfahrten. Diese sind mit engen Drängelgittern versehen – ein Durchkommen mit Kinderanhänger am Fahrrad wird hier zum akrobatischen Kunststück.

Drängelgitter, Luxusversion.

Immerhin ist das Teil des offiziellen Fernradweges Berlin-Leipzig – da könnte man schon eine geringfügig fahrradfreundlichere Lösung erwarten. Unten an der Yorckstraße angekommen gipfelt das ganze darin, daß der Überweg über die Straße versperrt ist. Es stehen Gitter auf beiden Seiten – und die nächsten Ampeln sind hunderte Meter entfernt. Dort, wo keine Gitter stehen, ist ein sicheres Überqueren kaum möglich, hohe Bordsteine verhindern ein übriges.

Bei den vielen Fußgängern und Radfahrern, die am Sonntag dort waren, war nur Kopfschütteln und Unverständnis zu sehen. Man mag dies als einen Beitrag zur Kommunikation in der Stadt werten, aber zielführend ist das nicht. „Schildbürgerstreich“ war noch die euphemistischste Formulierung, die einem zu Ohren gelangte.

Und das wäre ihr Radweg gewesen...Ich kann verstehen, daß die Sanierung der Brücken teuer und aufwändig ist. Wenn das im Zuge der Erschließung des Geländes nicht sofort möglich ist, ist das sehr, sehr bedauerlich. Aber der Verwunderung und dem Ärger könnte ein einfaches (bitte ernst gemeintes) Schild mit einer kurzer Erklärung und vielleicht einem Fertigstellungstermin für die Brücken schon entgegenwirken – stattdessen steht auf der Nordseite ein Schild, das den Radweg über die gesperrte Brücke ausweist und viele dann zwischen Zaun und Treppe ratlos allein lässt. Und eine Möglichkeit, die Yorckstraße an dieser Stelle angemessen zu überqueren wäre eine sinnvolle Maßnahme gewesen. Eine Ampelanlage, die es den Spaziergängern (und auch den vielen Jugendlichen und Kindern) erlaubt hätte, dort sinnvoll die Straße zu überqueren. So aber steht man vor Zäunen und Gräben, die im besten Falle als Mahnmal für Berlin als geteilte Stadt taugen, zu vieles erinnert hier an das Niemandsland, den Mauerstreifen.

Ramsauers Kampfradler

Es war mal wieder so weit: Herr Ramsauer, unser Verkehrsminister, bewies, daß er nicht Verkehrsminister, sondern vielleicht Autominister heißen sollte. Er wetterte gegen die bösen Kampfradler und daß man dagegen dringend etwas unternehmen müsse.

Zunächst einmal: Ja, auch ich bin der Meinung, Radfahrer haben sich an Verkehrsregeln zu halten. Rote Ampeln sind tabu, auf Bürgersteigen wird nicht gefahren, Radwege sind nicht in Gegenrichtung zu benutzen und gutes Licht ist am Fahrrad kein Hexenwerk. Unumwunden gebe ich zu, daß auch ich in der ein oder anderen Situation einen sagen wir mal kreativen Umgang mit den Regeln praktiziere. Oberstes Gebot ist für mich persönlich die gegenseitige Rücksichtnahme. Ich rolle schonmal über einen Bürgersteig – wenn die Situation übersichtlich ist und zudem mit nicht wesentlich mehr als Schwrittgeschwindigkeit. Eine angeordnete Radwegbenutzungspflicht ignoriere ich in diversen Fällen – wenn ich dadurch den sonstigen Verkehr nicht unnötig behindere. Und einen grünen Rechtsabbiegepfeil an einer Ampel beziehe ich schonmal auf mich, wenn es die Situation erlaubt, obwohl vielleicht eine rote Fahrradampel dagegen spräche. Ich tue dies durchaus im Bewusstsein, dort vielleicht die ein oder andere Regel zu missachten, aber immer so, daß ich andere in ihren Rechten nicht beschneide.

Auch ich als Radfahrer ärgere mich, wenn ich brav an der roten Ampel warte und dann irgendein Depp an mir vorbei rauscht – meistens jemand, den ich kurz danach eh wieder überhole. Mich nervt es, wenn mir Leute ungeniert auf einem der wenigen Radwege, die ich freiwillig nutze entgegenkommen und vielleicht nichtmal Platz machen oder gar überhaupt nicht auf ihre Umwelt achten. Jedesmal denke ich mir: Klar, und ich darf den schlechten Ruf der Radfahrer wieder ausbaden.

Aber wenn ich über meine Fahrten, im wesentlichen im Westen Berlins, nachdenke und mir vor Augen führe, wer denn diese bösen, rücksichtslosen, regelübertretenden Kampfradler so sind, dann fällt mir in der täglichen Beobachtung etwas auf: Natürlich sind ein paar junge, rücksichtslose Menschen dabei, die dem typischen Klischee entsprechen, der Hauptteil derer, die mich an der roten Ampel überholen, die wie selbstverständlich auf dem Bürgersteig fahren oder den Radweg in die Gegenrichtung benutzen sind – zumindest hier – älzere Leute, oft schon (geschätzt) im Rentenalter. Nicht die typischen Chaoten und rücksichtslosen Rowdies, die immer angeführt werden.

Ich lese auch gerne die Polizeiberichte und achte vor allem auf die Fahrradunfälle – es ist schließlich weniger schmerzhaft aus den Fehlern anderer zu lernen. Auch hier fällt (ohne nachgezählt zu haben, das überlasse ich Leuten an passender Stelle, man möge also meinen Eindruck widerlegen, wenn ich falsch liege) oft auf, daß ältere Radfahrer in die Unfälle verwickelt sind. Daß es den flinken Fixie-Fahrer oder Kurier trifft, der unbestritten mehr Kilometer auf dem Rad hinter sich bringt und vielleicht aus beruflichem Druck oder weil es eben hip ist sicherlich auch die ein oder andere Regelübertretung begeht ist relativ selten.

Was steckt also dahinter? Gerade für ältere Menschen oder Gelegenheitsradfahrer sind sicherlich manche Situationen schlechter einzuschätzen, aber viele Dinge sind auch ungleich anstrengender, zum Beispiel das ständige stehenbleiben an Ampeln oder Umwege. Das allerdings ist kaum mit mehr Gesetzen oder Kennzeichen sinnvoll zu bekämpfen, hier müsste eine sinnvolle Radverkehrsplanung ansetzen. In den Niederlanden und auch in Kopenhagen gibt es in den Städten Fahrradstrecken, die Priorität vor anderen Verkehrsmitteln genießen. Die Strecken sind so angelegt, daß sie schnell und durchgängig mit möglicvhst wenigen Stops zu befahren sind. Das wird durch die Wegführung erreicht, aber auch durch entsprechende Anpassungen von Ampelphasen bzw. deren individueller Steuerung bei Annäherung. Für das Rechtsabbiegen gilt an vielen Ampeln in den Niederlanden, daß ich das – ähnlich wie beim grünen Pfeil als Autofahrer bei uns – darf. Und es führt nicht zu vermehrten Unfällen. Es sind viele dieser kleinen Maßnahmen, mit denen sich der Verkehr an die Bedürfnisse der Verkehrsteilnehmer anpasst und so zu einer klareren, sichereren Situation für alle Verkehrsteilnehmer führt. Nicht nur für Radfahrer.

Was mich allerdings an den Einlassungen unserer Verkehrsministers ganz besonders ärgert ist die Realitätsferne. Mit Stammtischniveau sol dort Politik gemacht werden, wo der Blick auf simple Zahlen reicht, um die Aussagen ad absurdum zu führen. Die Zahl der Unfälle mit Radfahrern als Hauptverursacher ist in 10 Jahren nahezu gleich geblieben (sogar leicht gesunken) – und das, obwohl immer mehr Wege mit dem Rad zurückgelegt werden.  Die Gefährdung durch Radfahrer ist um ein vielfaches geringer als die Gefährdung durch Autofahrer, die Zahl der Toten und Verletzten durch Unfälle ohne Beteiligung von Autos ist geradezu verschwindend gering.

Etwas Augenmaß täte der Debatte also gut. Die Faktenlage jedenfalls gibt es nicht her, hier so zu reagieren. Die auf das Auto zentrierte Sicht ist ein Relikt vergangener Zeiten, die gesellschaftliche Entwicklung im Verkehr läuft der Politik schon lange und mit weitem Abstand davon. Will man diese Lücke verkleinern, hilft es nicht, mit hoher Gewschwindigkeit in die falsche Richtung zu brausen.