Die Woche war hart, die Vorbereitung schleppend, erst Freitag abend um kurz vor 23 Uhr war alles fertig. Für den Samstag war ich um 09:30 Uhr mit Klaus verabredet, der mich auf der ersten Etappe meiner Tour begleiten wollte. Bevor er auftauchte ging ich nochmal zur Bank und frühstückte beim Bäcker, dann packte ich die frisch gefüllte Wasserblase und eine Flasche mit einem Wasser/Saft-Mix ans Rad … und knack das Halteblech für den Getränkehalter unter dem Sitz brach. Was für ein Auftakt. Ich beschloss einen Umweg über meinen Händler zu machen, vielleicht hat der ja eines vorrätig.
Unten vor der Tür, Klaus kommt gerade an, Gepäck ans Rad, im das Malheur mit dem Getränkehalter präsentiert, GPS gestartet, aufs Rad gesetzt, einklicken, losfahren … es klickt aber nicht. Nanu? Von meinem Gang zur Bank habe ich noch die normalen Straßenschuhe an… Also nochmal hoch, Schuhe wechseln. Dann rüber zu Feine Räder, dieses spezielle Teil, das ich jetzt brauche, ist aber nicht auf Lager. Aushilfsweise wird mit Kabelbinder geflickt, das hält auch erstmal. Vielleicht komme ich ja auf dem Weg nach Südwesten noch bei einem Händler vorbei, wo ich mir das fragliche Teil hinbestellen kann.
Und dann endlich: los. Es geht über meine Stammstrecke, den Kronprinzessinnenweg, raus über den Schäferberg und durch Potsdam. Am Schwielowsee entlang und bei Ferhc auf den R1. Auf der Radweit-Strecke nach Dessau geht es bei zunächst wolkigem, aber mit guten 22°C warmen Wetter gut vorwärts. Eine Bäckerpause haben wir schon hinter uns, in Brück packt uns der Hunger und wir kehren beim Gasthof Stadtmitte ein. Gulasch mit Nudeln, viel zu trinken und zum guten Ende noch ein Eis für faire Brandenburger Preise.
Gut gestärkt geht es weiter und jetzt wagt sich langsam auch die Sonne hervor. Schon bald kommen die ersten sanften Höhenmeter (von Bergen spreche ich bewußt nicht). Dessau, unser Etappenziel kommt näher. Ein Anruf bei der Jugenherberge ergibt, daß wirklich heut keine Plätze mehr frei sind, also fahren wir ersteinmal weiter. Am Ortseingang Dessau beginnt dann die Hotelsuche, wir entscheiden uns für ein Hotel Garni knapp südlich von Dessau, wo wir dann auch nach 140km einkehren (für Klaus natürlich ein paar mehr).
Ein elegante Doppelsuite im besten Ost-Charme erwartet uns, durch das Grillfest im Hof, bei dem wir freundlicherweise noch mitessen dürfen werden werden wir entschädigt. Ein Verdauungsrundgang im Dorf rundet den Abend ab.
Der webbasierte Routingdienst Naviki verfolgt ein interessantes Konzept: Neben der Kartenbasis aus OpenStreetMap verfügt Naviki über einen eigenen Wegenetz-Layer, der größtenteils aus benutzergenerierten Tracks erstellt wird. Auf diese Weite soll ein Netz fahrradfreundlicher Strecken entstehen, die das automatische Routing ergänzen.
Bisher hatte ich Naviki vor allem genutzt, um einen groben Track zu erhalten, anhand dessen ich eine auf meine Bedürfnisse zugeschnittene Route erstellen konnte. Dabei fiel mir allerdings häufiger schon mal auf, daß die Tracks teils über interessante Strecken führten, ich schenkte dem aber keine besondere Aufmerksamkeit.
In einem Anflug von Abenteuerlust nahm ich mir also vor, einmal auszuprobieren, was einem unbedarften Nutzer passiert, der für eine 80km bis 100km lange Fahrt, wie sie für viele Radtouristen üblich ist, einfach nur den erzeugten Track aufs GPS läd und diesem dann folgt. Als Startpunkt wählte ich meinen Wohnort im Südwesten Berlins, Ziel sollte die Lutherstadt Wittenberg sein – Einstellung „fahrradfreundliche Route“.
Natürlich fuhr ich nicht völlig blind drauf los. Ich machte aus dem Track zusätzlich noch eine Route und begutachtete das Ergebnis dabei. Auffällig: Der Track führt erstaunliche geradlinig durchs Land. Bei näherer Betrachtung wird klar, warum: Aus Berlin raus führt der Weg über gut fahrbare Straßen, als das Straßennetz dünner wird, sind viele „Abkürzungen“ quer durch den Wald enthalten.
Hierbei wird auf der OSM schon sichtbar, daß es sich nicht nur um einfache Wege handelt, sondern durchaus als Grade 3 bis Grade 5 gekennzeichnete Pfade dabei sind. Unsurfaced oder Grade 1 in der OpenStreetMap bedeutet, daß zwar kein Asphalt vorhanden ist, der Weg in aller Regel mit einem normalen Tourenrad noch problemlos bezwingbar ist, auch mit Reisegepäck. Grade 2 bedeutet schon eine recht ruppige Piste, die nach einem Regen oder ähnlichem schonmal zu einem echten Ärgernis werden kann. Alles darüber hinaus, als die Grade 3 bis 5 sind für einen durchschnittlichen Radtouristen aber auch für mich mit dem Liegerad schon eine Herausforderung, selbst bei gutem Wetter wäre hier ein Crosser oder ein Mountainbike eher das Mittel der Wahl.
Ich wollte es aber nunmal wissen. Ich setze mich auf meine (nicht beladene) Speedmachine und fuhr los. Angenehme Reisegeschwindigkeit, raus aus der Stadt auf wirklich guten Wegen, die Umfahrung der Autohölle beherrscht das System definitiv. Dann die erste Abbiegung auf einen Waldweg. Ich komme nur noch mit maximal 10 km/h voran, der Untergrund ist teils sandig, immer wieder muß ich absteigen und schieben. Die Abkürzung gegenüber dem Haken auf der Landstraße ist nicht so gewaltig, daß es sich zeitlich lohnt. Ich überlege, das Experiment abzubrechen, entscheide mich aber schließlich doch zur Weiterfahrt auf dem Track.
Zwischen Tremsdorf und Fresdorf treffe ich wieder auf die Straße (ein Plattenweg, aber in dieser Situation eine Erlösung!) und habe erstmal wieder ein paar Kilometer bis Rieben auf ruhigen und gut fahrbaren Landstraßen vor mir. Kurze Pflastersteinabschnitte gehören auf brandenburgischen Dörfern dazu und sind kein Grund zur Beunruhigung.
Ab Rieben bis kurz vor Kemnitz folgt ein langes Stück quer durch einen Wald. Weite Teile sind nur schiebend zu bewältigen. Tiefer Sand, hohes Gras, von landwirtschaftlichen Fahrzeugen gezogene Furchen und ein Weg, der zugewachsen und von umgestürzten Bäumen versperrt ist. Gelände, auf dem man teilweise vermutlich sogar ein MTB durch die Gegend trägt. Der 60-jährige Radtourist auf dem Kettler-Alu-Rad mit Wochenend-Gepäck stünde hier wahrlich aufgeschmissen mitten im Wald und müßte mühsam nach einer Umkehr herausfinden, wie er auf einer Alternativroute wieder auf seinen Track zurückkommt. Die Umfahrung via Dobbrikow, Nettgendorf und Zülichendorf wäre unwesentlich länger, aber bei weitem schneller und leichter zu fahren.
Nach ein paar erholsamen Kilometern auf einer Landstraße geht es hinter Bardenitz wieder auf sandige Waldwege. Nicht mehr ganz so schlimm wie zuvor, größtenteils ohne Abzusteigen fahrbar, wenn auch nur sehr langsam geht es nach Danna. Via Klausdorf, Lindow, Eckmannsdorf wäre auch hier eine duetlich schneller und besser fahrbvare Alternative auf ruhigen Straßen vorhanden gewesen.
Hinter Schönefeld geht wieder quer über die Felder. Schlaglöcher, Schotter und Sand sind meine Freunde, aber ich freue mich, daß es ohne längere Schiebestrecken machbar ist. Die Alternativroute über die Landstraße durch Zahna wäre auch hier die deutlich bessere Wahl. Ich stoße erst kurz vor Wittenberg wieder auf feste Straßen.
Mein Fazit: Die Idee hinter Naviki ist gut, allerdings ist das Ergebnis alles andere als befriedigend. Die Katastrophe kam mit Ansage: Aufgrund der in OSM enthaltenen Informationen wäre es problemlos möglich gewesen, hier eine weitaus fahrradfreundlichere Route zu erstellen, die nur unwesentlich länger gewesen wäre, wenn ich mal davon ausgehe, daß die Zielgruppe für Naviki nicht Mountainbiker sind. Ohne erhebliche manuelle Nachbesserung würde ich derzeit nicht empfehlen, den Tracks zu folgen. Um einen Einzelfall auszuschließen habe ich mir noch eine Route von Gransee nach Waren (Müritz) erstellen lassen, der ich am nächsten Tag dann aber nur noch teilweise gefolgt bin – auch hier ging es wieder querfeldein, hätte ich nicht nachgebessert, hätten auch hier lange Schiebestrecken gedroht.
Sonne, 25°C, leichter Rückenwind. Ideale Bedingungen also für die etwa 50 Kilometer, die von der Cycle Vision nach Deventer vor mir lagen. Um trotzdem kein Risiko einzugehen, fuhr ich etwas mehr als drei Stunden bevor mein Zug ab Deventer gehen sollte in Biddinghuizen los. Anstelle der N306 vorbei am Freizeitpark Walibi World entschied ich mich diesmal für den Radweg am Ufer entlang. Ich umfuhr Elburg und bog vor Nunspeet auf kleinere Straßen ab.
Nach wenigen Kilomtern erreichte ich dann ein ausgedehntes Waldgebiet, das ich auf guten Radwegen durchquerte. Mein Nettoschnitt lag bei etwa 30 km/h, der Bruttoschnitt kaum drunter. Lediglich ein paar kurze Passagen mit schlechterem Pflaster bremsten meine Fahrt zwischendurch etwas, belohnt wurde das aber immer wieder mit langen sehr gut ausgebauten Strecken, auf denen ich ungeniert mit ca. 35 km/h auf dem Tacho den Schnitt wieder nach obentreiben konnte.
Erst nach dem Verlassen des Naturschutzgebietes auf öffentlichen Straßen mit der ein oder anderen Kreuzung, was in den Niederlanden in aller Regel einen Kreisverkehr bedeutet, wurde meine Fahrt wieder etwas langsamer. Nicht ganz regelkonform scherte ich oft vom sonst hervorragenden Radweg auf die Straße aus, um die Kreisverkehre mit größerer Geschwindigkeit queren zu können und zumindest nach dem Einfahren in dieselbigen Vorfahrt zu haben.
Mein Schnitt lag immernoch gut über 29km/h, als ich Deventer erreichte, allerdings kostete mich die nicht ganz eindeutig ausgeschilderte Auffahrt auf die Brücke – ich erwischte den Fußweg am Ende – über die Ijssel noch etwas Zeit, so daß ich am Bahnhof dann einen Nettoschnitt von knapp weniger als 29km/h zu „beklagen“ hatte. Alles in allem lag ich aber so gut in der zeit, daß ich mir in Devneter noch eine gute Portion Nodeln gönnen konnte, beim Supermarkt noch getränke für die Zugfahrt kaufte und anschließend sogar noch gute 20 Minuten auf demBahnsteig warten mußte.
Der zug fuhr – für mich ungewohnterweise – via Südkreuz, so daß ich mir die Heimfahrt vom Hauptbahnhof sparte. Dennoch stieg ich nicht in die S-Bahn, sondern fuhr die letzten Kilometer durch das nächtliche Berlin, womit ich meinen Kilometerstand auf 6500km seit Jahresbeginn bringen konnte.
Nach einem Ruhetag mit sonnigem Wetter fing der Samstagmorgen mit eher vertrauten Umständen an: Regen. Leichte Schauer, nur unterbrochen von Phasen mit Nieselregen und ein dunkelgrauer Himmel. Zum Glück hatte ich es nicht weit bis zur Cycle Vision – aber auch 20km reichen, um trotz Regenkleidung naß zu werden.
Als ich bei der Cycle Vision ankam sah ich bekannte Gesichter und schon von Ferne jede Menge interessanter Fahrzeuge. Wegen des anhaltenden Nieselregens und der nicht einladenden Temperaturen waren all die Hersteller mit ihren Ständen unter das Vordach der Eingangshalle geflüchtet und drinnen war deutlich mehr los als draußen, was zum Teil aber auch an den andernorts liegenden Wettkämpfen lag.
Nach einer Aufwärmphase bei warmem Kakao im Innern drehte ich eine Runde über die Stände. Der Testparcours war heute zwar eine riesige nasse Fläche, aber dafür relativ leer. Eigentlich beste Bedingungen, um die Wettertauglichkeit eines Velomobils auszutesten, ich allerdings probierte erstmal ein sportliches Trike ohne Schutzbleche aus. Es machte einen Höllenspaß, das Gerät fuhr sich selbst auf der nassen Fahrbahn mit erstaunlicher Spur- und Straßenlage. Ich allerdings sah danach aus, als wär ich mit dem Mountainbike zum Schlammspringen gewesen…
Judith überzeugte sich von den Vorteilen eines Velomobils, gerade bei diesem Wetter, eine andere Freundin machte (sehr erfolgreich!) ihre ersten Liegeradversuche und probierte das BeWaW auch gleich noch mit aus und war begeistert. Ich hielt mich zunächst etwas zurück, nutzte nur später die Chance, eine Runde im Evo-K von Daniel zu drehen. Wie üblich mit zu kleinen Schuhen und etwas zu kurz eingestellt für mich, aber selbst auf regennasser Fahrbahn traute ich mich, zumindest mal auf 55 km/h zu beschleunigen. Die Panzerlenkung, wie im Evo-R finde ich allerdings immernoch etwas gewöhnungsbedürftig – wenn man sich allerdings daran gewöhnt hat, dann dürfte sie eine extrem präzise und angenehme Art des Steuerns sein.
Zum Abend stellte ich mein Rad sicher unter und suchte mir eine trockene Mitfahrgelegenheit nach Lelystad, wo ich ein Hotel fand. Nach so viel Regen auf der Reise hatte ich wenig Lust, mein Zelt in der matschigen Wiese aufzustellen.
Am Sonntag wurde es deutlich wärmer und vor allem hörte der Regen auf. Ich schaute mir noch das 50-m-Dragrace an und den Beginn des 3-Stunden-Rennens. Allerdings vertiefte ich mich mehr in interessante Gespräche, als wirklich dem Rennverlauf zu folgen. Auf der mittlerweile trockenen Piste wurden gute Geschwindigkeiten gefahren, die langen züge an unverkleideten und teilverkleideten Liegerädern aber auch die schnellen VMs waren dennoch sehr interessant anzusehen, zumal die Strecke kurvenreich war, was für die Zuschauer natürlich immer besonders spannende Anblicke liefert.
Gegen 15 Uhr mußte ich mich dann auf den Weg in Richtung Deventer machen, um meinen Zug zu bekommen.
Nun sollte es weiter gehen, nach Nunspeet. Die Nähe der nahenden Cycle Vision und ein Hotel mit Annehmlichkeiten wie Sauna und Schwimmbad hatten es mir angetan. Vor mir standen gut 90km. Und die fingen an mit Regen. Nach dem Frühstück an Bord der Andante war es zunächst leichter Niesel, doch schon bald wurde der Regen stärker. Erst wartete ich in einer nicht allzu gut schützenden Bushaltestelle einen dicken Regenschauer ab, dann fuhr ich in Regenzeug weiter nach Lemmer. Später sollte der Regen nachlassen und so entschied ich, ersteinmal zu Mittag zu essen.
Ich suchte mir am Hafen einen Italiener, wo ich mein Rad in Sichtweite und unter einem Schirm parken konnte und setzte mich ins warme, um die nassen Klamotten trocknen zu lassen. Nudeln und ein schöner Nachtisch. Nebenbei warf ich einen Blick aufs Regenradar und die Prognose – die erstaunlich gut stimmte. Nachdem ich fertig war mit dem Essen hörte auch bald der Regen auf und der Himmel wurde zunehmend heller.
Nach Emmeloord ging es dann gegen den harten Westwind bis zur Brücke. Ich fuhr an einer langen Autoschlange vorbei, denn die Brücke war offen – mitten auf der Autobahn. Ich streifte Flevoland, sah schon die Schilder nach Biddinghuizen, wo am Wochenende die Cycle Vision stattfindet. Bei Elburg, einen sehenswerten kleinen Festungsstadt, ging es dann wieder zurück auf etwas älteres Land und noch ein paar Kilometer südlich bis zum Hotel in Nunspeet.