Freitag, 23.09.2011
Zuerst ist es noch etwas kühl im Zelt, doch das gibt sich schnell, als ich mich aus dem Schlafsack schäle. Marcel und Jonathan sind auch gerade wach geworden und so sortieren wir uns ersteinmal zum Frühstück. Wir sind gerade fertig und mit dem Packen und Abbauen der Zelte beschäftigt, als uns eine Dame heißen Kakao bringt – es müsse doch kalt sein! Kalt ist es nicht mehr wirklich, aber wir nehmen dankend an.
Bevor es losgehen kann, fällt mir noch ein niedriger Luftdruck am Hinterreifen auf, ich schiebe das aber darauf, daß ich schon seit Berlin nicht mehr recht zum Nachpumpen gekommen war – der Nachteil langer Radwege abseits von Straßen ist, daß man so selten an Tankstellen vorbeikommt. Und für die Handpumpe bin ich doch oft zu faul. Also messe ich dem keine größere Bedeutung bei, pumpe etwas nach und auf geht es. An der nächsten Tankstelle finden wir eine Möglichkeit, wenigstens auf 5 Bar aufzufüllen, die ich dankbar nutze. Der Voderreifen hatte noch 5 Bar, dem konnte ich dort nichts Gutes tun.
Eigentlich hatte ich überlegt, heute eine Etappe von mehr als 150km einzuschieben, aber es ist spät geworden bei der Abfahrt, jetzt bremst uns auch noch ein weiteres Stück Schotterweg, wo der Via Rhona Radweg noch nicht ganz fertig gestellt ist. Nach gerade einmal 25km halten wir an, um ein zweites Frühstück zu nehmen. Anschließend guter Radweg, dann wieder Schotter, wilde Kurven und dann das Einbiegen auf die D86.
Damit ist für mich die Zeit gekommen, von den beiden Jungs Abschied zu nehmen, ich will eine Schippe drauflegen und heute wenigstens noch hundert drauflegen, so daß abends ca. 130 bis 140 Kilometer auf dem Tacho stehen,
auch wenn mir das wegen der Uhrzeit schon fast unrealistisch vorkommt. Ich ziehe los, erstmal bis Montelimar durchtreten ist mein Ziel.
Beim Durchqueren eines Kreisverkehrs 20km weiter kommt mir das Fahrverhalten meiner Speedmachine seltsam schwammig vor. Ein kurze Griff ans Hinterrad verrät: Da ist schon wieder zu wenig Druck drauf. Ich fahre auf einen Supermarktparkplatz, der ein schattiges Plätzchen bietet und nehme das Problem in Augenschein. Gepäck runter, Hinterrad ausbauen, Schlauch raus. Wegen des Verkehrslärms der nahen Straße ist am Schlauch zunächst nichts zu finden, eine genauere Betrachtung ergibt eine kleine Beschädigung. Ich untersuche den Mantel – und finde einen dicken Glassplitter, der sich offenbar von außen nach innen durchgearbeitet hat, denn von außen war der nicht mehr zu sehen. Ich entferne den Störenfried, ziehe einen neuen Schlauch ein und pumpe – von Hand – auf einen brauchbaren Druck. Dann geht es endlich weiter. Ich hatte fast erwartet, daß mich Jonathan und Marcel überholen.
Kurz vor Montelimar kommt mir ein Liegeradler entgegen, er kommt auf meine Seite rübergefahren. In einem wilden Mix aus Englisch, Deutsch und Französisch unterhalten wir uns. Jean-Marc kommt aus Montelimar und fragt, ob ich den Via Rhona Radweg kenne. Ich bejahe und er erzählt, hier sei ein neues Stück fertig geworden (das in meiner Karte dementsprechend noch nicht verzeichnet ist) und bietet an, mich dorthin zu begleiten. Dankend nehme ich an und wir biegen von der befahrenen Straße ab und folgen kleineren Wegen.
Unterwegs fragt mich Jean-Marc, ob ich Wasser hätte – ich zeige ihm meine leere Flasche und erkläre, das Wasser in der Blase sei schon einen Tag alt. Er erzählt etwas von „gutem Wasser“ und „Source“, dann biegen wir in einen kleinen Ort ab. Dort sprudelt wahrlich eine frische Quelle, unter einem Dach aus diversen Rohren. Menschen aus der ganzen Umgebung kommen vorbei und füllen massenweise Flaschen auf. Auch ich füle meine Flasche auf und nach einem vorsichtigen Kosten entleere ich die Trinkblase und fülle auch diese mit frischem, kühlem Quellwasser.
Dann geht es auf das neue Stück Via Rhona bis Viviere. Ich bedanke mich bei Jean-Marc für die nette Tour, wir sitzen noch kurz in einem Café zusammen – zu essen gibt es um diese Uhrzeit wie üblich leider nichts. Anschließed fahre ich wieder auf die D86 in Richtung Avignon.
Irgendwo beschließe ich, es gäbe eine nette Möglichkeit, nach Gorges de l’Ardeche abzubiegen, eine Strecke, die mir Jean-Marc empfohlen hatte, und so Avignon zu umgehen. Ganz leicht fällt mir die Entscheidung nicht, denn ich wollte eigentlich sur le pont d’Avignon stehen (und das Lied summen…), aber ich habe eh schon lange im Hinterkopf, EV6 und den Via Rhona Radweg nochmal gesondert zu befahren. Weniger Kilometer, mehr Sightseeing – das wäre eine Tour, die ich auch gerne mal zu zweit oder in einer kleinen Gruppe wagen würde.
Ich hatte Bedenken, ob es zu bergig würde auf dem Weg zur Ardeche, aber Jean-Marc hatte mich beruhigt. Ein paar Hügel begegnen mir dennoch, geben damit aber immer wieder den Blick auf das Tal und die umliegende Landschaft frei. Zudem ist jeder Anstieg ein Kredit, den man dem Berg gibt und bei der Abfahrt mit Zinsen zurückbekommt. Irgendwo finde ich auch noch etwas zu essen und auch eine Tankstelle, die Luft bis 9 Bar liefern kann.
Der einzig wirklich bemerkenswerte Anstieg – etwa 160 Höhenmeter bei vier bis fünf Prozent – kommt dann mit Einbruch der Dunkelheit. Aber ich will noch bis zum Ende meiner provisorischen Route fahren, damit ich am nächsten Tag eine schaffbare Strecke bis zum Meer vor mir habe. Und so habe ich im Dunkeln dann eine grandiose Abfahrt mit weiten Blicken über das erleuchtete Tal.
In Remoulins suche ich mir ein Hotel – und stelle erstaunt fest, es sind nichteinmal mehr 100km bis zum Meer, nur noch 20km bis Nimes. Ich bin weiter gekommen, als ich dachte.
155km stehen auf dem Tacho.