Südwest 2011: Die Heimfahrt

Donnerstag, 29.09.2011

Ruhetag. Ich verbringe den Tag mit Kleinigkeiten, laufe kurz durch Cerdanyola del Valles, bringe aber nicht den Elan auf, mich in den Zug oder aufs Rad nach Barcelona zu setzen. Abends besuchen Adrian und ich noch einen Freund von Adrian, den ich auch kenne, einen Deutschen und kriegen spontan ein nettes Abendbrot serviert. Ein Tag ohne irgendwas hat gut getan.

Freitag, 30.09.2011

Heute geht es in Richtung Heimat. Morgens habe ich eigentlich viel Zeit, aber ich bin zeitig dran. Von Cerdanyola del Valles fahre ich knapp 25km nach Granollers. Kleine Stationen haben manchmal Vorteile, wenn man mit bepackten Fahrrädern unterwegs ist. Die Fahrt nach Granollers ist nicht besonders spektakulär, es geht sanft ein paar Meter hinauf ins Hinterland von Barcelona, viel zu sehen gibt es aber nicht. In Granoller suche ich zuerst den Bahnhof auf, um eine Fahrkarte zu kaufen. Ich sollte den Zug um ca. 13:45 Uhr nehmen, zwei Stunden später ist auch OK, noch zwei Stunden später wird es beim Umsteigen sehr eng.

Die nächste Verbindung ist schon um 11:48 Uhr und da ich Granollers beim Durchfahren nicht sonderlich interessant fand, nehme ich gleich diesen Zug. Da es keine Fahrstühle gibt und mir der Weg über die Gleise nicht gewährt wird, bin ich froh einen hilsbereiten Fahrgast zu finden, der mir beim Tragen des Rades über die Treppen zum richtigen Bahnsteig hilft. Auch der EInstieg in den Zug am Eingang für Behinderte beinhaltet noch immer eine große Stufe, aber auch hier finde ich Hilfe.

Interessant wird die Strecke erst, als der Zug kurz vor der französischen Grenze wieder in die Nähe der Küste kommt und tiefe Täler und Tunnel durchquert. In Cerbere ist das Aussteigen wegen eines niedrigeren Bahnsteigs noch komplizierter als das Einsteigen, wieder brauche ich Hilfe.Zum Glück aber ist Bahnsteig gleich am Hauptgebäude, so daß mir (vorerst) die Treppen erspart bleiben. Meinen Ausweis muß ich allerdings vorzeigen.

Der Versuch, hier endlich eine Fahrkarte für meine Anschlußverbindung in Luxemburg zu erstehen scheitert kläglich, hilflos deutet der Mann am Schalter nach der Suche nach dem Zug auf seinen Bildschirm, wo für diesen Zug keine Preise ausgeschrieben sind, so daß weder Ticketverkauf noch Reservierung möglich sind.

Vom Bahnhof rolle ich über bekannte Wege nach Cerbere an den Hafen, sehe nur das eine bereits getestete Restaurent geöffnet und entschließe mich, einfach erstmal um der Aussicht willen auf den Berg zur spanischen Grenze zu fahren. Die Steigung nehme ich mit etwas mehr Leichtigkeit als beim letzten mal, so ein Ruhetag wirkt WUnder – ich brauche mein kleinstes Kettenblatt nicht zu bemühen. Am Aussichtspunkt überlege ich, ob in Portbou vielleicht die besseren Möglichkeiten zu essen zu finden sind und fahre dann wirklich auf dieser Seite hinunten.

Portbou erweist sich als Glücksgriff, das Essen ist preiswerter und besser, es gibt ein offenes WLAN auf der Promenade und der Stand (Steine, kein Sand) bietet eine Dusche. Nach dem Essen drehe ich eine Runde in den Hafen, dann zurück zum Strand und nehme ein abschließendes Bad im Mittelmeer mit anschließénder Dusche. Erfrischend! Im Supermarkt erstehe ich noch ein paar Kekse, dann mache ich mich an den Rückweg nach Cerbere.

Von dieser Seite ist der Berg steiler. Aber auch das ist kein großes Problem. Ich kurbele die 170 Höhenmeter bei fünf bis sieben Prozent einfach hoch. An der Tankstelle kurz vor der Grenze trinke ich noch etwas, dann geht es auf der anderen Seite wieder hinunter. Leider etwas gebremst von hirnlosen Autofahrern, die unbedingt überholen müssen, bloß um mich dann in jeder Kurve auszubremsen. Liebe Autofahrer, einfache Physik: ein schmales einspuriges Fahrzeug kann enge Kurven schneller fahren, weil es ohne in den Gegenverkehr zu schießen die bessere Kurvenlinie nutzen kann. Überholt einfach, wenn die Abfahrt zuende ist.

In Cerbere kaufe ich mir etwas Wein und Verpflegung für die nächtliche Bahnfahrt, dann habe ich noch Zeit, um auf der Mole den Blick aufs Meer zu genießen, bevor ich gegen 19:30 Uhr am Bahnhof erscheine. Der Ticketverkäufer (der mir mein Ticket nicht verkaufen konnte), hatte mir den Tipp gegeben, daß der Stationschef mich vielleicht ohne Treppen zum richtigen Gleis bringen könne. Das kann er leider nicht, aber immerhin hilft er mir (auf Nachfrage), das Fahrrad die Treppen hoch und runter zu tragen und zeigt mir das richtige Gleis.

Der ZUg steht bereit, die meisten Wagen gehen nach Strasbourg, die wenigen Wagen nach Luxemburg sind ganz hinten. Ich stehe allein da, aber da ich ja viel Zeit habe, nehme ich das Gepäck ab, trage es in den Wagen, trage die Speedmachine hinein und bugsiere sie durch die sehr engen Türen ins Fahrradabteil, für das sie allerdings etwas zu lang ist. Das Bahnpersonal sagt zu meinem quer im Abteil stehenden Rad allerdings einfach: „Oui, Oui – c’est bon!“ – damit ist das Thema für mich erstmal erledigt.

Mein 6er-Liegeabteil der zweiten Klasse ist direkt neben meinem Fahrrad. Der Zug scheint um diese Jahreszeit nicht sehr stark ausgelastet: In meinem Abteil ist allein mein Bett vorbereitet, was zu heißen scheint, daß ich es für mich alleine habe. Ich mache mich während der Fahrt an den entsprechenden Umbau, so daß ich Platz zum Sitzen habe und nicht ganz so beengt unter dem anderen Bett liege. Vorher allerdings hänge ich noch einige Zeit am Fenster fest, denn die Küstenfahrt in den letzten Resten der Dämmerung ist ein durchaus sehenswertes Schauspiel.

Während der nächsten Stationen füllt sich der Zug ein wenig, ich nutze die Zeit, um noch diesen Blogartikel zu schreiben und mein Essen und den Wein hinreichend zu würdigen.

Auf dem Tacho stehen 46km.

Südwest 2011: Auf und nieder…

Dienstag, 27.09.2011

Noch schnell Mails checken vor dem Frühstück … die Buchung der Rückfahrt, falls ich mit der Bahn fahren will, ist am sichersten noch in Frankreich möglich, also plane ich einen kurzen Zwischenstopp in Cerbère am Bahnhof ein. Zwar bedeutet das eine lange Reise, aber so entfällt der Streß, das Rad flugtauglich zu verpacken und preislich bleibt es auch im Rahmen. Zudem ist es natürlich aus ökologischer Sicht weitaus korrekter.

Das Frühstück fällt äußerst französisch aus, das heißt für Radfahrerverhältnisse eher klein. Und das, wo mir heute die bergigste Etappe der gesamten Tour bevorsteht. Von Saint Cyprien habe ich nur ein paar Kilometer bis Argeles-sur-Mer zum Einfahren, dann geht es in die Ausläufer der Pyrenäen, die hier bis ins Meer ragen. Die Dichte an Männern (kaum Frauen) auf Rennrädern, meist schnieke Carbonbomber, ist nocheinmal merklich höher als ohnehin schon. Allerdings scheinen die meisten eher dem Motto Carbon statt Kondition zu frönen, denn auf der Ebene lassen sie sich problem überholen, aber daß mich auf den 4% bis 6% Anstiegen kaum einer überholt und wenn doch, sich dann die Butter vom Brot nehmen läßt, indem er es nicht schafft, mich bis zum höchten Punkt abzuhängen (und ich leg es wirklich nicht drauf an, ich hab kiloweise Gepäck und eine lange Strecke vor mir!), irritiert mich zutiefst. Haben die denn alle keinen Ehrgeiz?

In Cerbère ist ersteinmal Pause. Zunächst am Bahnhof bei Besorgen der Fahrkarte. Es dauert ewig, bis der Schalter mal besetzt ist, ich nutze die Zeit auf dem WC. Dann radebreche ich der – selbstverständlich – nur französisch sprechenden Dame hinter dem Schalter, an welchem Termin in welchem Zug ich heimfahren will und daß ich das hinter mir stehende Fahrrad mitnehmen möchte. Ein Schwall französischer Wörter prasselt auf mich ein, die Dame verschwindet, diskutiert mit Kollegen, kommt mit einem Kalender wieder, um sich nocheinmal des Termins zu versichern. Beim Eingeben der Daten gibt sie mehrfach ein vernehmliches „merde“ von sich. Dafür reicht mein französisch durchaus. Das Ticket ist billiger als erwartet, ich bin verwundert. Schnell stellt sich heraus, daß der Termin einen Monat später als geplant ist. Also nochmal neu. „Merde“. Dann kommt der erwartete Preis raus, die Fahrradkarte wird aufgeschlagen und alles stimmt. Lächeln hat die Dame vermutlich bei ehemaligen DDR-Grenzsoldaten gelernt.

Ich schaue mich auf dem Bahnhof um und entscheide, daß ich bei der Fahrt ab Barcelona lieber den Zug zwei Stunden früher nehme: Fahrstühle oder andere Möglichkeiten, ohne die Nutzung diverser Treppen Bahnsteige zu wechseln suche ich vergebens. Da will ich lieber etwas Zeit haben. Sicher ist sicher.

Anschließend gehe ich im Ort noch etwas essen. Lieblos gegrilltes Fleisch mit Pommes zu unverschämten Preisen. Frankreich will mich loswerden, schwant es mir. Aber für die kommenden Anstiege brauche ich Energie, es hilft nichts. Dann geht es über den ersten Pass. Gut, es sind keine Alpen, aber für mich mit dem auf Umfahrung der Alpen ausgelegten Gepäck sind 202 Meter (direkt ab Meeresspiegel, am Stück, 5%) durchaus eine Leistung. Besonders bei der sengenden Sonne und fast 30°C. Kein Wind. Ich schwitze. Aber es lohnt sich, es bieten sich Ausblicke auf die Küstenlinie und die Buchten, die es wirklich in sich haben.

Ich treffe zwei deutsche Motorradfahrer (die ihre Maschinen allerdings auf dem Hänger hinter dem Auto hergebracht haben), kurz danach einen deutschen Radler. Dieser rät mir, auch hinter Portbou nicht die bequeme Route zu fahren und durch den Naturpark bei Cadaqués. Die Abfahrt in den Ort (eine Stichstraße, die man dann wieder hinauf muss) lohne sich aber nicht.

Und so mache ich es. Hinter Portbou fahre ich auf die kleine Paßstraße mit ihren Serpentinen. Länger und mehr Höhenmeter. Aber dafür darf ich die unter mir durch Tunnel verlaufende neue Straße verächtlich Luschenkurve nennen. Es ist nur keiner da, der zuhört. Das ist aber auch gut so, denn das bedeutet, daß diese Strecke (im Gegensatz zur anderen) fast frei von Autos ist.

Die Abfahrt nach Colera entschädigt, doch gleich kommt der nächste Anstieg. Bei Llanca biege ich wie empfohlen auf die kleine Straße, die an Cadaqués vorbeiführt ab. Noch mehr Umweg, noch mehr Höhenmeter. Aber die Ausblicke sind wiederum gigantisch. Ein Blick auf den Höhenmesser bei der Abbiegung auf die Stichtstraße in den Ort verrät: mehr als 250 Höhenmeter liegen dazwischen. So groß ist meine Wille, mich zu quälen dann wirklich nicht. Und von hier geht es ohnehin noch ein Stück weiter auf etwas über 280 Meter hinauf. Auf der ganzen Strecke überholt mich immerhin ein Rennradler, der aber scheint meinen verächtlichen Tweet über Rennradfahrer und Radrennfahrer gelesen zu haben und zieht grußlos und mit einer erheblichen Geschwindigkeitsdifferenz an mir vorbei.

Die Abfahrt nach Roses bereitet um so mehr Freude. Hohe Geschwindigkeit, schöne Kurven. Ich lasse nur meine hintere Bremse leiden, für den Fall der Fälle will ich, daß die vordere kalt und bereit für eine Vollbremsung ist. Zum Glück brauche ich sie nicht.

Von hier aus geht es erstmal auf stark befahrenen, autobahnähnlichen Straßen, die zum Glück einen mehr oder weniger breiten Seitenstreifen aufweisen, weg von der Küste dorthin führen nur Stichstraßen, an der Küste entlang gibt es keine wirklich sinnvoll fahrbaren Straßen. Ich habe ziemlich viel verbrannt bei den Anstiegen und fühle das jetzt, aber die kleinen Orte hier sind ziemlich tot. Ich versorge mich zweimal an Tankstellen mit ein paar Schokoriegeln und zuckerhaltigen Getränken, nicht nachhaltig, aber es hilft ersteinmal weiter. Außerdem bieten Tankstellen zumindest vorübergehend Schatten.

Endlich geht es auch wieder über kleinere, wenig befahrene Straßen, so daß der Streß etwas nachläßt. Nur noch 25km bis nach Sant Feliu de Guixols, das ist auch mit leerem Magen zu schaffen. Und in den Touriorten an der Küste wird es wieder was geben. Mit entsetzen stelle ich fest: Zwischen mir und den Touriorten liegen nicht nur 25km, sondern auch noch ein verdammter Berg. Nochmal 200 Höhenmeter. Auf knurrenden Magen. Eisern entscheide ich mich, nicht mein Gel anzurühren, was immer als Notreserve dabei ist.

Die Sonne geht unter. Mit Beginn der Abfahrt schalte ich mein Licht ein. Während Radfahrer, die an roten Ampeln halten, hier offenbar ein bekanntes Phänomen sind, scheint mein Licht den Autofahrern erheblich Respekt einzuflößen (und ich rede nicht vom Fernlicht!) – die Bögen werden erheblich größer, die um mich gefahren werden. Die Ausnahme stellen drei Autofahrer dar, die sich im wesentlichen durch ihr deutsches Kennzeichnen auszeichnen. Ich nenne keine Regionen, aber es paßte perfekt zu meinen Vorurteilen.

Palamos streife ich nur, in Castell-Platja d’Aro halte ich in der neonbunt glitzernden Hauptstraße an und zücke das Smartphone. Die HRS-Anwendung nennt zwei Hotels mit Preisen weit jenseits der 100 Euro pro Nacht. Die Campingplätze hier in Spanien haben durchweg bereits geschlossen um diese Jahreszeit. Die nächsten bezahlbaren Hotels liegen in Tossa de Mar bzw. Lloret de Mar. Ihr ahnt es schon: Dazwischen liegen Berge. Ich kann das nicht ganz glauben und starte einen Versuch. Ich schaue beim nächstbesten Drei-Sterne-Hotel (drunter scheint man’s hier nicht zu machen) auf die Preistafel. 50 EUR für die Nacht. Deutlich besser als das, was mir HRS anbot. Ich frage im Hotel: Ja, Zimmer für eine Nacht kein Problem. 41 EUR. Nehm ich.

Ich beeile mich mit dem Duschen, bin noch geprägt von Frankreich. Aber auf der Amüsiermeile ist das Leben lang noch nicht vorbei, Restaurants und Geschäfte haben auch gegen 21 Uhr noch offen und nach den angeschriebenen Öffnungszeiten und dem Eindruck wohl auch noch deutlich darüber hinaus.

Auf dem Tacho stehen 158km.

Südwest 2011: Eingespeicht und Abgefahren

Montag, 26.09.2011

Ich wollte zeitig vom Hof rollen, um gleich zur Öffnung beim Decathlon in Bezier zu sein, dem scheinbar einzig brauchbaren (oder existierenden) Fahrradladen in der Umgebung. Ohne Wecker wird es aber doch wieder halb zehn. Die Innenstadt von Agde ist mit ihren unzähligen kreuz und quer verlaufenden EInbahnstraßen selbst mit GPS eine Herausforderung, aber letztlich schaffe ich es am Ende doch, mich auf die D-Straße in Richtung Bezier zu begeben. Diese ist stark befahren und kein großer Spaß, aber viele andere Optionen bieten sich hier leider nicht.

Es geht ein paar Hügel hoch und runter und bei Abfahrten mit über 45 km/h und vollem Gepäck horche ich ständig nervös, ob die nächste Speiche kommt. Aber das Rad ist stabil, es bleibt bei der Einen. Obwohl ich vom Tempo gut voran komme, scheinen mir die Kilometer bis Bezier endlos. Die nervige Straße und die wenig abwechslungsreiche Landschaft tragen einen guten Teil dazu bei. In Bezier komme ich zunächst an einem Schild zu einem anderen Fahrradladen vorbei, der direkt am Weg liegt. Da dieser jedoch zu hat, fahre ich wie geplant zum Decathlon. In meinem besten französisch (Einsatz von Händen und Füßen) erkläre ich mein Problem. In fünf Minuten werde er sich der Sache annehmen, sagt der Mechaniker. Nur eine Speiche? 26 Zoll? Oui, Oui.

Ich nutze die Wartezeit, um die Toilette aufzusuchen, mir eine Erfrischung zu gönnen und eine Sonnenbrille (im Angebot, die Saison ist hier schließlich vorbei) zu kaufen. Ich muß auch wirklich nicht allzu lang warten, habe mit 17,45 EUR einen moderaten Betrag zu zahlen und kann beruhigt mit vollständigen Hinterrad weiterfahren. Dennoch werde ich dem Teil nach der Heimkehr nochmal etwas Aufmerksamkeit widmen.

Durch Bezier begleitet mich chaotischer südfranzösischer Stadtverkehr, auch die Landstraße nach Narbonne für die nächsten 25km ist nicht unbedingt entspannend. In Narbonne fahre ich im dichten Getümmel an zwei, drei offenen Cafés vorbei, wo ich eine Kleinigkeit hätte essen können, weil ich das an einer etwas ruhigeren Stelle erledigen möchte, irgendwo, wo Platz für mein Rad auf dem Bürgersteig in Sichtweite ist.

Das Einbiegen auf die Mediterranean Route, den Radweg zurück an die Küste überrascht mich dann allerdings. Schlagartig stehe ich im Grünen, von Narbonne ist nicht mehr zu spüren. Ich fahre auf einem Split-/Schotterweg am Canal de la Robine entlang. Der Belag bremst und ist nicht schön zu fahren, aber die Kanal-Landschaft entschädigt. Der Kilometerstand steigt, aber Versorgungsmöglichkeiten gibt es keine. Dafür öffnet sich irgendwann der Blick: Der Kanal geht mit seinen Ufern durch weiter Wasserflächen, die Bahn nebenan fährt auch auf einem kleinen Damm. Ein wirklich traumhafter Blick. Kurz vor dem Ende des Radwegs ein blick auf alte Salzfelder, kurz danach stelle ich erstaunt fest, daß hier Flamingos im flachen Wasser waten.

Die D-Straße umrundet elegant die kommenden Dörfer, die Anstiege laden nicht dazu ein, einen Umweg zu fahren, zumal die Orte klein sind und daher nicht klar ist, ob die Umwege etwas bringen würden. Erst ab Port Leucate führen wieder sinnvoll kleinere Straßen parallel zur großen D-Straße. Ich fahre dort entlang. Ferienanlagen ohne Ende, aber kaum noch jemand da. Geschäfte haben geschlossen. In Le Barcarès sehe ich dann eines der typischen zentral in den Ferienanlagen angelegten Ovale mit Geschäften, Cafés und Reataurants. Das einzige Restaurant, das überhaupt offen hat, bietet um diese Uhrzeit kein Essen. Das geöffnete Geschäft verkauft Badeschuhe. Der Pizzabäcker bäckt heut keine Pizza und hat seinen Laden nur zu Lüften offen, während er putzt. Was bleibt ist eine Boulangerie/Patisserie. Ich habe seit dem gewohnt kleinen französischen Frühstück 110km hinter mir. Ich verdrücke zwei kleine Quiches, ein Pain au Chocolat und einen Mokkakuchen, dazu drei Cola, Orangina, Schweppes. Dann macht der Laden zu. Ich gehe ersteinmal baden am Strand, bevor ich weiterfahre.

Ein Mix aus Uferpromenade, Radweg und D-Straße führt mich zunächst bis nach Canet-Plage, wo ich nochmal ins Mittelmeer springe. Da es nur noch acht bis neun Kilometer nach St. Cyprien sind, das ich mir locker als Tagesziel ausgeguckt hatte, lege ich diese noch drauf, als sich gegen 18 Uhr, weit vor Sonnenuntergang, der Strand schlagartig leert. Vor mir im Süden thronen die Berge, über die ich morgen nach Spanien fahren werde.

Die Nähe zu Spanien bemerke ich an vielerlei Dingen. Die Ortsschilder sind jetzt in französisch und Catalan, die Preise für das Essen in Restaurants (wenn man mal ein offenes findet) werden geringer. Und: Die Chancen hier jemanden zu finden, der deutsch spricht sind weitaus höher, als jemanden zu finden, der englisch spricht. Zudem ist die Reaktion dann auch eine konsequente Unterhaltung auf deutsch (auch wenn ich aus Höflichkeit versuche, meine drei Brocken französisch anzuwenden), nicht wie bisher, wo nach der Einigung auf englisch selbiges zwar in der Regel halbwegs verstanden wurde, die Antworten dann aber konsequent in französisch kamen, bei Nichtverstehen in anderen Worten (meist mehr und schneller).

Auf dem Tacho stehen 137km.

 

Südwest 2011: Pannentag ist Strandtag

Sonntag, 25.09.2011

Am Himmel gibt es eine graue und eine blaue Zone und beides scheint sich nicht zu bewegen. Die graue Zone liegt gen Osten, ich will ohnehin ein paar Kilometer weiter nach Westen. Und Sonne kann ich später am Strand gebrauchen, wenn ich erstnal ein wenig fahre, dann ist weniger Sonne ganz gut.

Also Frühstück und los. Schon kurz hinter Sete beginnt wieder ein wunderbarer Radweg hinter den Dünen am Strand. Läden, wo ich endlich eine Badehose kaufen könnte, gibt es hier alerdings nicht. Und irgendwann hört abrupt auch der Radweg auf. Ich fahre auf die D-Straße, der nicht asphaltierte Weg daneben gefällt mir nicht. Nicht kurz danach sehe ich im Rückspiegel einen Rennradler. Der Spieltrtieb packt mich und ich ziehe die Geschwindigkeit ein wenig hoch, viele Kilometer will ich eh nicht fahren heute, da kann man sowas schonmal machen. 32 bis 33 km/h. Er schließt auf, grüßt … und hängt sich in einem durch das Gepäck sicher nicht allzu kleinen Windschatten. 10 Kilometer ziehe ich ihn durch die Gegend, bevor wir uns im nächsten Ort trennen.

Noch ist mir nicht klar, daß Cap d’Agde auch der Ort sein wird, an dem ich den Rest des Tages verbringe, ein paar Kilometerweiter wollte ich noch, an der Küste folgen endlose Strände. Ich fahre nach Agde hinein, suche gerade den Weg wieder hinaus, da höre ich hinten unter mir ein lautes „Zinggg“, als ich die Bremse betätige, dann kurzes rhythmisches metallisches Kratzen, dann ist ersteinmal alles normal. Ich teste die Bremse, sie geht noch. Der Bremszug war es also nicht. Rauf auf den Weg am Straßenrand, das Hinterrad untersuchen. Eine Speiche baumelt locker vor sich hin, gebrochen unten neben dem Zahnkranz. Das mateallische Kratzen entstand, als sich die Reste der Speiche am Zahnkranz verbogen. Es ist ein mühsames und langwieriges Stück Arbeit, den Speichenrest zu entfernen. Eine Ersatzspeiche habe ich nicht mit, bin ich doch in einem Land voller Fahrradläden unterwegs, ich würde ohne großes Werkzeug ohnehin nur eine Rollspeiche eingesetzt bekommen, für alles andere muß der Zahnkranz ab. Dummerweise ist Sonntag. Mit dem schweren Gepäck erkläre ich die Fahrt für heute für beendet. Die endlose Suche nach dem besseren Strand wurde durch technischen K.O. entschieden.

Vorsichtig rolle ich zum Centre Ville, der Stadtmitte, gönne mir etwas zu trinken. Dann geht es weiter zum Strand. Supermärkte und auch die kleinen Strandgeschäfte haben hier auch sonntags geöffnet. Und so komme ich endlich zu einer Badehose (und Badeshorts), die ich am Strand auch sofort einweihe. Mein ersehntes Bad im Mittelmeer. Mein MIttagsschläfchen im Sand wird durch eine Wolke und drei Tropfe Regen jäh unterbrochen, ich flüchte mich an die Strandpromenade, wo ich bei einem großen Eisbecher auf die Rückkehr der Sonne warte. Anschließend suche ich mir noch ein Hotel, so daß ich nicht mit all dem Gepäck am Strand stehe. Eigentlich wollte ich campen, aber dann bleibt das Problem, wohin mit den Taschen?

Den Nachmittag verbringe ich am Strand, dann mache ich mich im Hotel frisch und gehe rüber zu Promenade. Vorhin war dort laute Musik, Neonlicht, Essensdüfte . jetzt um halb neun ist hier nichts mehr. Nach etwas suchen finde ich eine offene Pizzeria. Zuerst werde ich eine Weile ignoriert, später gibt es dann doch noch die Karte und das Essen kommt dann auch rechnt schnell.

Auf dem Tacho stehen 42km.

Südwest 2011: Mittelmeer. Wahnsinn.

Samstag, 24.09.2011

Eigentlich liegen heute nicht viele Kilometer vor mir. Keine 80 bis nach Grau du Roi, wo ich auf die Küste stoßen will. Dennoch bin ich zeitig wach, dehne das Frühstück nicht alzu sehr aus und bin um 09:30 Uhr auf der Piste. Heute ist der große Tag: Aus eigener Kraft ab Berlin das Mittelmeer erreicht haben.

Die Temperatur ist schon morgens bei 20°C und steigt, obwohl heute die Sonne kaum scheint. Erst ein Dunstschleier, dann zunehmend dunklere Wolken verdecken den Himmel. Aber das kann meine Stimmung nicht trüben, nach Regen sieht es nicht aus und beim Fahren ist es ganz angenehm, wenn einem einen Tag mal nicht die Sonne auf den Schädel brennt. Den Fahrspaß trüben für die ersten 40km allerdings die stark befahrenen Straßen. Kein Drängeln oder Hupen, keiner, der einem das Recht abspricht, sich mit dem Fahrrad auf der Straße zu bewegen. Aber die Überholmanöver werden merklich enger und nervöser, wenn es voll wird auf den Straßen.

Nach einem kurzen Anstieg zeigt der Höhenmesser runf 90 Meter an und ich weiß, ab jetzt wird es eine Weile bergab gehen und dann topfeben werden. Ein gutes Gefühl. Ich komme gut voran. Die Fahrt bis Vauvert hat bis auf einen kurzen Blick über die Ebene allerdings nicht viel zu bieten. Ich umgehe Nimes und Montpellier und biege in Vauvert von der stark befahrenen D-Straße auf die Gallician Veloroute ab. Über einige Kilometer bin ich so fernab des Autoverkehrs, danach geht es auf wenig befahrene Straßen, die durch ein Gebiet führen, daß sich von den Everglades im wesentlichen durch die Abwesenheit beißender Reptilien zu unterscheiden scheint. Kilometerweit geht die Straße geradeaus, bis ich mich plötzlich zwischen Wein- und Olivenplantagen und großen Feldern mit Gemüse wiederfinde.

Das ist schön anzusehen, birgt aber ein Problem: Als freundlicher Radfahrer möchte man weder Nutzpflanzen noch anderer Leute Garten vollpinkeln. Und so bemühe ich mich, das Problem durch Schwitzen zu lösen, was erstaunlich lang funktioniert. Ich gönne mir sogar eine Pause an einem der diversen Obst- und Gemüsestände.

Dann geht es nach Grau du Roi rein. Meine Route endet auf der Mole – eigentlich. Irgendeine Veranstaltung sorgt dafür, daß diverse Straßen voll oder gesperrt sind – und die Schwenkbrücke ist offen und bewegt sich während meiner Wartezeit nicht. Irgendwann fahre ich zur anderen Brücke zurück, zur Mole wäre es jetzt ein großer Umweg und so stoße ich ein kleines Stückchen weiter kurz vor La Grande Motte auf den Strand. Ich schiebe die Speedmachine durch den Sand – und blicke aufs Meer. Es ist fast unwirklich. Ich stehe einige Zeit da, bevor ich endlich meine Radlerhose und die Schuhe und Socken ausziehe und meine Beine ins Mittelmeer tauche.

Das Wasser ist kühl, aber trotzdem brauche ich noch eine Badehose. In den kommenden Tagen wird das Wetter sonniger und wärmer und das lasse ich mir nicht nehmen. Im nächstgelegenen Laden werde ich alerdings nicht fündig. Dafür komme ich auf dem Weg an der Küste entlang an einem Fahrradladen vorbei, wo ich mir Kettenschmierung (meine ist alle) und einen neuen Schlauch für hinten kaufe. Sicher ist sicher.

Der Weg führt mich hinter den Dünen entlang, irgendwann biege ich auf ein kurzes Stück direkt am Strand ab, nicht asphaltgiert, aber fahrbar und mit einem weiten Blick über den Küstenbogen. Dann geht es auf einen (leider durch Bauarbeiten unerwartet miesen) Weg, der am Kanal, der mitten durch die Wasserfläche hinter(!) dem Strand verläuft, nach Sete führt.

Sete ist dann auch mein heutiges Ziel. Ich folge einer Hotelempfehlung via Twitter in La Corniche. Von hier sind es nur noch ca. 160km auf der von mir gewählten Route bis Perpignan, von dort folgen Girona und Barcelona. Das wäre alles in zwei Tagen zu tun, aber ich reduziere meine Kilometerleistungen ab jetzt und werde einige Tage länger brauchen.

Auf dem Tacho stehen 133km.

Vor mir das tiefe Schwarz der nächtlichen See, am Horizont die Lichter eines großen Schiffes, die langsam kleiner werden, neben mir streift der Strahl des Leuchtturms von Sete durch die Nacht. Die Brandung rauscht, wenn sich die Wellen an den Felsen unter mir brechen. Eine warme Brise weht mir ins Gesicht. Es ist schön. Ich könnte heulen vor Glück.

In zwei Wochen bin ich von Berlin, von meiner Haustür, bis ans Mittelmeer gefahren. Aus eigener Kraft. Jetzt sitz ich hier und kann es kaum fassen. Hinter mir liegen über 1800km. Ich hatte viel Glück mit dem Wetter und die Strecke, die ich ausgesucht habe, hat sich als sehr gut erwiesen. Die Zwischenbilanz nach zwei Wochen könnte nicht besser ausfallen.

Ab jetzt wird es ruhiger, ich habe noch etwas über 300km (geschätzt, genau habe ich den Weg noch nicht ausgerechnet) vor mir. Der Wetterbericht verspricht Sonne, über 25°C jeden Tag und viele Kilometer Strand liegen noch an meinem Weg.