Südwest 2011: Mission Accomplished!

Mittwoch, 28.09.2011

Nur 110km stehen mir bis Barcelona bevor, ich lasse den Tag ruhig beginnen. Nach der ganzen Zeit in Frankreich ist das Hotel-Frühstück äußerst reichhaltig. Käse, Wurst, Obst, Müsli, gekochte Eier und vieles mehr. Da die Etappe erstmal mit ein paar Bergen startet, lasse ich es mir nicht nehmen, Energie zu tanken. Nach dem Frühstück suche ich mir noch einen Supermarkt, um frisches Wasser für Trinkflasche und Camelbak zu kaufen. Das Leitungswasser riecht stark verchlort, dem traue ich nicht über den Weg.

Der Weg rüber nach St. Feliu de Guixols ist zum Warmfahren, es geht nur über ein Hügelchen. Warm bin ich dennoch schnell, das Thermometer zeigt über 25°C und die Sonne brennt. Der nächste Abschnitt nach Tossa de Mar hat es dann schon mehr in sich. Die Küstenstraße windet sich in 100 bis 150 Metern Höhe an steilen Berghängen entlang und bietet immer wieder fantastische Ausblicke auf das Meer und die Buchten. Jedem Anstieg folgt auch eine Abfahrt, mehr als 5% bis 6% werden es kaum, so daß es auch mit Gepäck nie an die Grenzen geht.

In Tossa de Mar gönne ich mir lediglich eine kurze Entsorgungspause bei einer entsprechenden Gelegenheit am Busbahnhof, dann geht es auf den letzten bergigen Abschnitt nach Lloret de Mar, wo ich bei Sandwich und Cola kurz relaxe. Der Ort selbst ist die reinste Tourihölle, so daß ich ihm keine weitere Aufmerksamkeit widme und nach Blanes weiterfahre.

Mir wurde geraten, ab Blanes den Zug nach Barcelona zu nehmen, da ab hier weite Teile auf der N-II, einer großen Straße zurückzulegen sind. Ich aber lasse es mir nicht nehmen, natürlich auch den Rest der Tour aus eigener Kraft zurückzulegen. ZUnächst kann ich mich auf kleineren Straßen an der Küste entlang schleichen, ab Calella gibt es jedoch keine sinnvolle Möglichkeit mehr, um die N-II zu vermeiden.

Wegen der parallel verlaufenden Autobahn entpuppt sich diese Straße allerdings als gar nicht so schlimm, wie gedacht. Sie ist weniger stark befahren als ich befürchtet hatte, es gibt meist einen kofortablen Randstreifen. Und die große Anzahl Rennradler auf der Strecke (auch die wirklich schnellen!) sagt mir, daß es sich um eine gut fahrbare Route handelt.

Ich kome dementsprechend gut voran. Zwischen mir und dem Meer allerdings liegt eine Bahnstrecke und ich sehe immer nur Treppen, um auf die andere Seite zu kommen.

Nach Mataró ist Barcelona auch schon deutlich im Dunst an der Küste zu erkennen.

Ich hänge mich mit 32km/h bis 37km/h an eine gut funktionierende Gruppe Rennradler und frage dann kurz vor Barcelona nach der besten Möglichkeit, zum Strand rüberzukommen. Ich solle noch kurz mitkommen, dann würden sie mir zeigen, wo ich abfahren kann und einen Durchgang ohne Treppen finde. So kommt es auch, ich kann auf eine gut fahrbare Strandpromenade wechseln und an einer Stelle mit Dusche und relativ wenig Leuten schiebe ich die Speedmachine auf den Strand und gehe Baden. Das Meer ist hier wärmer als in Frankreich. Ich hoffe, daß dies nicht an den Abwässern der nahen Stadt liegt.

Für die Weiterfahrt nach Barcelona lase ich meine Radklamotten in der Tasche verschwinden, es geht in Shirt und Shorts weiter. Der Stadtverkehr ist quirlig, die Straßen groß und mit vielen Spuren. In solchen Situationen fällt mir immer wieder auf, daß es einen erheblichen Unterschied macht, ob man sich auskennt. Der gleiche Verkehr in Berlin würde mich kaum so verunsichern. Ich suche mir den Weg zum Port Olimpic, dem Olympia-Hafen. Diese sportliche Assoziation empfinde ich als den passenden Punkt, um offiziell angekommen zu sein.

19 Tage liegen hinter mir, davon zwei ganze und zwei halbe Ruhetage. 2263 Kilometer bin ich gefahren. Das sind im Schnitt knappe 120km pro Tag, bzw. 140km pro ganzem Fahrtag. Ein Platter, ein Speichenbruch, ein knackendes Tretlager und ein eingerissenes Griffpolster sind die Bilanz am Rad, alles  Kleinigkeiten, mit denen bei so einer Tour zu rechnen ist und keine Showstopper.

Ich fahre noch weiter, zum Hafen, zum Plaza Colon, die Ramblas rauf bis zum Plaza Catalunya und dann quer durch die Stadt zu einem Park, in dem auf Radwegen bis fast nach Cerdanyola del Valles fahren kann. Theoretisch, praktisch muss ich mich auf begleitenden Fuß-/Radwegen ein Stück durchschlagen, da der Park gesperrt ist. Schließlich komme ich bei Adrian an.

Auf dem Tacho stehen 133km.

Südwest 2011: Auf und nieder…

Dienstag, 27.09.2011

Noch schnell Mails checken vor dem Frühstück … die Buchung der Rückfahrt, falls ich mit der Bahn fahren will, ist am sichersten noch in Frankreich möglich, also plane ich einen kurzen Zwischenstopp in Cerbère am Bahnhof ein. Zwar bedeutet das eine lange Reise, aber so entfällt der Streß, das Rad flugtauglich zu verpacken und preislich bleibt es auch im Rahmen. Zudem ist es natürlich aus ökologischer Sicht weitaus korrekter.

Das Frühstück fällt äußerst französisch aus, das heißt für Radfahrerverhältnisse eher klein. Und das, wo mir heute die bergigste Etappe der gesamten Tour bevorsteht. Von Saint Cyprien habe ich nur ein paar Kilometer bis Argeles-sur-Mer zum Einfahren, dann geht es in die Ausläufer der Pyrenäen, die hier bis ins Meer ragen. Die Dichte an Männern (kaum Frauen) auf Rennrädern, meist schnieke Carbonbomber, ist nocheinmal merklich höher als ohnehin schon. Allerdings scheinen die meisten eher dem Motto Carbon statt Kondition zu frönen, denn auf der Ebene lassen sie sich problem überholen, aber daß mich auf den 4% bis 6% Anstiegen kaum einer überholt und wenn doch, sich dann die Butter vom Brot nehmen läßt, indem er es nicht schafft, mich bis zum höchten Punkt abzuhängen (und ich leg es wirklich nicht drauf an, ich hab kiloweise Gepäck und eine lange Strecke vor mir!), irritiert mich zutiefst. Haben die denn alle keinen Ehrgeiz?

In Cerbère ist ersteinmal Pause. Zunächst am Bahnhof bei Besorgen der Fahrkarte. Es dauert ewig, bis der Schalter mal besetzt ist, ich nutze die Zeit auf dem WC. Dann radebreche ich der – selbstverständlich – nur französisch sprechenden Dame hinter dem Schalter, an welchem Termin in welchem Zug ich heimfahren will und daß ich das hinter mir stehende Fahrrad mitnehmen möchte. Ein Schwall französischer Wörter prasselt auf mich ein, die Dame verschwindet, diskutiert mit Kollegen, kommt mit einem Kalender wieder, um sich nocheinmal des Termins zu versichern. Beim Eingeben der Daten gibt sie mehrfach ein vernehmliches “merde” von sich. Dafür reicht mein französisch durchaus. Das Ticket ist billiger als erwartet, ich bin verwundert. Schnell stellt sich heraus, daß der Termin einen Monat später als geplant ist. Also nochmal neu. “Merde”. Dann kommt der erwartete Preis raus, die Fahrradkarte wird aufgeschlagen und alles stimmt. Lächeln hat die Dame vermutlich bei ehemaligen DDR-Grenzsoldaten gelernt.

Ich schaue mich auf dem Bahnhof um und entscheide, daß ich bei der Fahrt ab Barcelona lieber den Zug zwei Stunden früher nehme: Fahrstühle oder andere Möglichkeiten, ohne die Nutzung diverser Treppen Bahnsteige zu wechseln suche ich vergebens. Da will ich lieber etwas Zeit haben. Sicher ist sicher.

Anschließend gehe ich im Ort noch etwas essen. Lieblos gegrilltes Fleisch mit Pommes zu unverschämten Preisen. Frankreich will mich loswerden, schwant es mir. Aber für die kommenden Anstiege brauche ich Energie, es hilft nichts. Dann geht es über den ersten Pass. Gut, es sind keine Alpen, aber für mich mit dem auf Umfahrung der Alpen ausgelegten Gepäck sind 202 Meter (direkt ab Meeresspiegel, am Stück, 5%) durchaus eine Leistung. Besonders bei der sengenden Sonne und fast 30°C. Kein Wind. Ich schwitze. Aber es lohnt sich, es bieten sich Ausblicke auf die Küstenlinie und die Buchten, die es wirklich in sich haben.

Ich treffe zwei deutsche Motorradfahrer (die ihre Maschinen allerdings auf dem Hänger hinter dem Auto hergebracht haben), kurz danach einen deutschen Radler. Dieser rät mir, auch hinter Portbou nicht die bequeme Route zu fahren und durch den Naturpark bei Cadaqués. Die Abfahrt in den Ort (eine Stichstraße, die man dann wieder hinauf muss) lohne sich aber nicht.

Und so mache ich es. Hinter Portbou fahre ich auf die kleine Paßstraße mit ihren Serpentinen. Länger und mehr Höhenmeter. Aber dafür darf ich die unter mir durch Tunnel verlaufende neue Straße verächtlich Luschenkurve nennen. Es ist nur keiner da, der zuhört. Das ist aber auch gut so, denn das bedeutet, daß diese Strecke (im Gegensatz zur anderen) fast frei von Autos ist.

Die Abfahrt nach Colera entschädigt, doch gleich kommt der nächste Anstieg. Bei Llanca biege ich wie empfohlen auf die kleine Straße, die an Cadaqués vorbeiführt ab. Noch mehr Umweg, noch mehr Höhenmeter. Aber die Ausblicke sind wiederum gigantisch. Ein Blick auf den Höhenmesser bei der Abbiegung auf die Stichtstraße in den Ort verrät: mehr als 250 Höhenmeter liegen dazwischen. So groß ist meine Wille, mich zu quälen dann wirklich nicht. Und von hier geht es ohnehin noch ein Stück weiter auf etwas über 280 Meter hinauf. Auf der ganzen Strecke überholt mich immerhin ein Rennradler, der aber scheint meinen verächtlichen Tweet über Rennradfahrer und Radrennfahrer gelesen zu haben und zieht grußlos und mit einer erheblichen Geschwindigkeitsdifferenz an mir vorbei.

Die Abfahrt nach Roses bereitet um so mehr Freude. Hohe Geschwindigkeit, schöne Kurven. Ich lasse nur meine hintere Bremse leiden, für den Fall der Fälle will ich, daß die vordere kalt und bereit für eine Vollbremsung ist. Zum Glück brauche ich sie nicht.

Von hier aus geht es erstmal auf stark befahrenen, autobahnähnlichen Straßen, die zum Glück einen mehr oder weniger breiten Seitenstreifen aufweisen, weg von der Küste dorthin führen nur Stichstraßen, an der Küste entlang gibt es keine wirklich sinnvoll fahrbaren Straßen. Ich habe ziemlich viel verbrannt bei den Anstiegen und fühle das jetzt, aber die kleinen Orte hier sind ziemlich tot. Ich versorge mich zweimal an Tankstellen mit ein paar Schokoriegeln und zuckerhaltigen Getränken, nicht nachhaltig, aber es hilft ersteinmal weiter. Außerdem bieten Tankstellen zumindest vorübergehend Schatten.

Endlich geht es auch wieder über kleinere, wenig befahrene Straßen, so daß der Streß etwas nachläßt. Nur noch 25km bis nach Sant Feliu de Guixols, das ist auch mit leerem Magen zu schaffen. Und in den Touriorten an der Küste wird es wieder was geben. Mit entsetzen stelle ich fest: Zwischen mir und den Touriorten liegen nicht nur 25km, sondern auch noch ein verdammter Berg. Nochmal 200 Höhenmeter. Auf knurrenden Magen. Eisern entscheide ich mich, nicht mein Gel anzurühren, was immer als Notreserve dabei ist.

Die Sonne geht unter. Mit Beginn der Abfahrt schalte ich mein Licht ein. Während Radfahrer, die an roten Ampeln halten, hier offenbar ein bekanntes Phänomen sind, scheint mein Licht den Autofahrern erheblich Respekt einzuflößen (und ich rede nicht vom Fernlicht!) – die Bögen werden erheblich größer, die um mich gefahren werden. Die Ausnahme stellen drei Autofahrer dar, die sich im wesentlichen durch ihr deutsches Kennzeichnen auszeichnen. Ich nenne keine Regionen, aber es paßte perfekt zu meinen Vorurteilen.

Palamos streife ich nur, in Castell-Platja d’Aro halte ich in der neonbunt glitzernden Hauptstraße an und zücke das Smartphone. Die HRS-Anwendung nennt zwei Hotels mit Preisen weit jenseits der 100 Euro pro Nacht. Die Campingplätze hier in Spanien haben durchweg bereits geschlossen um diese Jahreszeit. Die nächsten bezahlbaren Hotels liegen in Tossa de Mar bzw. Lloret de Mar. Ihr ahnt es schon: Dazwischen liegen Berge. Ich kann das nicht ganz glauben und starte einen Versuch. Ich schaue beim nächstbesten Drei-Sterne-Hotel (drunter scheint man’s hier nicht zu machen) auf die Preistafel. 50 EUR für die Nacht. Deutlich besser als das, was mir HRS anbot. Ich frage im Hotel: Ja, Zimmer für eine Nacht kein Problem. 41 EUR. Nehm ich.

Ich beeile mich mit dem Duschen, bin noch geprägt von Frankreich. Aber auf der Amüsiermeile ist das Leben lang noch nicht vorbei, Restaurants und Geschäfte haben auch gegen 21 Uhr noch offen und nach den angeschriebenen Öffnungszeiten und dem Eindruck wohl auch noch deutlich darüber hinaus.

Auf dem Tacho stehen 158km.